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Die Abstimmung über das Covid-Gesetz hat dasselbe Ergebnis gebracht wie schon im vergangenen Juni, beziehungsweise ein noch klareres. Der Anteil der Ja-Stimmen ist von damals 60,2 auf aktuell 62 Prozent gestiegen. Das heisst, das Schweizer Volk steht grundsätzlich hinter der Corona-Politik des Bundesrats.

Das ist gut so. Denn eine Extremsituation wie die Pandemie verlangt nach Führung. Wobei Kritik an einzelnen Details der bundesrätlichen Strategie – und vor allem an dessen Kommunikation – absolut angebracht ist und Verbesserungen dringend nötig sind.

Anzumerken ist aber auch, dass die Schweiz das einzige Land auf der Welt ist, das über die Corona-Politik der Regierung abstimmen konnte. Und dies nicht nur einmal, sondern sogar zweimal. So viel zum Vorwurf, unser Land sei eine Diktatur.

Die Sieger der Abstimmung geben sich jetzt versöhnlich: Man müsse jetzt auf die Unterlegenen zugehen, sie wieder einbinden. Absolut meine Meinung.

Aber: Ich frage mich, ob man wirklich auf jeden Unsinn, der in diesem Abstimmungskampf abgesondert wurde, eingehen muss. Mein Wunsch nach der Abstimmung und für die weitere Diskussion ist: mehr Gelassenheit bitte.

Dass in den Social Media jeder Furz eingehend repliziert und dupliziert wird, ist klar. Aber am Montag nach der Abstimmung befasste sich sogar die altehrwürdige NZZ mit einer Runde aus drei Herren, die versuchten, sich auf einem einschlägig bekannten Youtubekanal mit der Abstrusität ihrer Äusserungen gegenseitig zu überbieten. Nebst Daniel Stricker, dem Betreiber des Youtube-Kanals, waren es Josef Ender, Gründer der «Bewegung der Urkantone», und Michael Bubendorf, Sprecher der «Freunde der Verfassung», die da munter schwurbelten.

Auch wenn in der Runde eine Parallelgesellschaft gefordert oder sogar über einen unausweichlichen Bürgerkrieg palavert wird, wir sollten gelassener bleiben. Uns zu provozieren, ist ja genau die Absicht.
Denn was ist dann konkret der erste Schritt dieser Parallelgesellschaft? Eine eigene Krankenkasse. Müssen wir uns da aufregen? Oder sollten wir nicht eher aufzeigen, wie bescheuert die Idee ist?

Nicht die Idee, dass einzelne Bevölkerungsgruppen ihre eigene Krankenkasse gründen. Früher hatten viele Firmen, einzelne Dörfer oder Täler ihre eigene Kasse. So absurd ist die Idee also nicht. Aber dass sich das nicht rentiert, hat man ja gesehen. Darum haben sich die Kleinkassen zu grösseren Verbünden zusammengeschlossen.

Vielleicht sollten wir also ganz gelassen zuschauen, wie die Massnahmenkritiker, Corona- und Impfskeptiker ihre eigene Kasse gründen. Dass die einzelnen Kassen sich gegenseitig Mitglieder abwerben, ist heute Realität. Sie sind alle auf der Suche nach guten Risiken, das heisst, nach Menschen, die weniger krank werden, für die Kasse also wirtschaftlicher sind. Die Skeptiker-Kasse wäre die erste, die mit Ungeimpften vor allem schlechte Risiken sucht. Sehen wir das doch als Chance. Für die anderen Kassen wird es rentabler, weil die ungeimpften Patienten auf den Intensivstationen nun alle in einer Kasse vereinigt sind.

Wie lange dieses Geschäftsmodell wohl funktioniert?

Mehr Gelassenheit wäre auch angebracht, wenn ein radikalisierter Massnahmen-Gegner die Kantone, die das Covid-Gesetz ablehnen, zum Austritt aus der Schweiz auffordert. Stattdessen wird darüber diskutiert, ob der Aufruf zur Sezession ein Straftatbestand sei. Dabei wäre es doch interessant, zu sehen, wie der Kanton Appenzell Innerrhoden mit einer Bevölkerung von 18 500 Personen aus der Schweiz austritt und seine bilateralen Beziehungen zuerst mit Ausserhoden und St. Gallen aushandelt, dann mit der Restschweiz und schliesslich mit der EU. Das wäre doch lustig.

Doch Spass beiseite. Natürlich ist es richtig: Jetzt braucht die Schweiz die grosse Einigung. Man darf nicht auf den Unterlegenen herumtrampeln. Aber die Frage sei erlaubt: Muss man Leuten, die solchen Schwachsinn äussern, wie er vor der Abstimmung geäussert wurde, immer nett begegnen? Muss man jeden Schwachsinn ernst nehmen?

Oder kann man solche Dinge nicht einfach mal beim Namen nennen? Einfach mal sagen, dass das schlicht und einfach Bullshit ist. Egal ob die Vernünftigen sich trauen, dies zu sagen: Nehmen wir solch ausgekochten Gugus vor allem mit etwas mehr Gelassenheit.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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