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Welches von zwei Produkten wählt eine Konsumentin oder ein Konsument, wenn das eine «naturrein» ist und auf dem anderen «mit Zusatzstoffen» steht? Nur die wenigsten wählen wohl das nicht-natürliche Produkt. Denn «Natur» ist gut, und «Chemie» ist schlecht. So glauben wir – und unterliegen einem doppelten Denkfehler.
Denn erstens sind alle Stoffe, die die Natur hervorgebracht hat, chemische Stoffe. Oder einfacher gesagt: Alles ist Chemie – sei es ein Plastikbecher oder ein Holzteller. Ersterer besteht aus Polyethylen, lange Ketten von Kohlenstoff und Wasserstoff. Der Holzteller enthält vor allem Cellulose, ein langkettiges Molekül aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff. Der Unterschied ist gering, ausser eben, dass Polyethylen aus dem Chemiewerk stammt und Cellulose aus der Natur.
Auch ein knackiger Apfel ist Chemie: Denn in einem chemischen Prozess, der durch Sonnenenergie angetrieben ist, verwandelt er Wasser und Kohlendioxid in Traubenzucker. Eine chemische Substanz.
Zweitens ist es keineswegs so, dass alles, was die Natur hervorgebracht hat, gut ist. Arsen, Anthrax, Cyanid, Nikotin, Botox – alle hochgiftig und rein natürlich. Arsen verursacht Genmutationen und dient seit der Antike als Gift. In geeigneten Dosen aber auch als Arznei. Botox ist eines der stärksten Nervengifte überhaupt, das von einem Bakterium gebildet wird, wenn zum Beispiel Bohnenkonserven verderben.
Selbstverständlich gibt es auch künstliche Gifte. Und selbstverständlich muss deklariert sein, wo es von was wie viel darin hat. Aber die Tatsache, dass ein Stoff aus dem Chemielabor schädlich sein kann, spricht noch nicht gegen alle künstlichen Substanzen generell.
Wer also den Begriff «Chemie» als Synonym für «schlecht» verwendet, beweist vor allem eins: Dass er von der Natur keine Ahnung hat.