Das musst du wissen

  • Als Nebenprodukte in der Industrie können ozonabbauende Substanzen entstehen.
  • Anhand weltweiter Messungen entdeckten Forschende drei neue sogenannte Hydro-Fluorchlorkohlenstoffe, kurz HFCKWs.
  • Die Konzentrationen der Gase sind zwar sehr gering, müssen aber im Auge behalten werden.

Warum wir darüber berichten. Das Montreal-Protokoll, das 1989 in Kraft trat, verpflichtet die Staaten, Inventare zu ozonverändernden Gasen zu publizieren. Doch die Bestandsaufnahme ist schwierig und damit nicht immer zuverlässig. Nun haben Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa drei bisher nicht bekannte Gase nachgewiesen. Dabei handelt es sich um sogenannte Hydro-Fluorchlorkohlenstoffe, kurz HFCKWs.

Die Studie. Für ihre im Fachmagazin PNAS erschienene Studie analysierten die Forschenden Luftproben aus der ganzen Welt. Darin fanden sie unter anderem die unbekannte Fluorchlorkohlenwasserstoff-Verbindungen mit dem Namen HFCKW-132b. Diese Verbindung tauchte in Proben aus dem Jahr 1995 zum ersten Mal auf. Seither hat die Konzentration in der Atmosphäre stetig zugenommen. Genau wie die anderen beiden neuen Gase entsteht HFCKW-132b als Nebenprodukte in industriellen Prozessen.

Ozon, ein ramponierter UV-Schutz. Seit den 1970er Jahren baut sich die Ozonschicht weltweit langsam ab. Besonders betroffen sind die Polarregionen. Am Südpol etwa bildet sich während des Winters ein richtiges Loch, das Ende der 1950er Jahre entdeckt wurde und seither erheblich gewachsen ist.

1985 kamen die ersten Erklärungen: Ozon, das den Planeten vor den schädlichen Auswirkungen der ultravioletten Sonnenstrahlung schützt, wird durch Chlorverbindungen zerstört. Hauptsächlich solche aus FCKWs, die als Kühlmittel in Isolierschäumen oder als Treibmittel in Spraydosen verwendet werden. Aber auch aus Halonen, nämlich Feuerlöschgasen. Im Jahr 1987 wurde das Montreal-Protokoll unterzeichnet, das zwei Jahre später in Kraft trat. Es regelt den Verbrauch, den Import und den Export von ozonschädigenden Substanzen. Dieses internationale Umweltabkommen hat die Emissionen von FCKWs stark reduziert. Die Grösse des Ozonlochs schwankt zwar heute noch von einem Jahr zum nächsten, wird insgesamt aber langsam kleiner.

Doch es ist nur ein Zwischenerfolg. Der starke Rückgang von eingesetzten FCKWs hat zur Suche nach Alternativen geführt. So entstand die Familie der Hydro-Fluorchlorkohlenwasserstoffe, kurz HFCKWs, die vor allem in Kältemitteln wie R22 eingesetzt werden. Diese Gase haben eine geringere ozonabbauende Wirkung als FCKWs, wirken aber auch als Treibhausgase. So trägt beispielsweise eine Tonne des Kältemittels R22 1810-mal mehr zur globalen Erwärmung bei als eine Tonne CO₂.

So werden auch HFCKWs heute streng kontrolliert oder sind verboten und haben allmählich Fluorkohlenwasserstoffen, kurz HFCs wie R134a Platz gemacht. Das ist ein Gas, das in Klimaanlagen, insbesondere in Wohnungen und Autos, weit verbreitet ist. Doch auch dieses Gas zerstört Ozon und erwärmt das Klima. Daher wurde das Montrealer Protokoll bisher sechsmal geändert und ergänzt, um mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten. Letztmals 2016 auf der Konferenz im ruandischen Kigali.

Unbeabsichtigte Emissionen. Ravi Ravishankara von der Colorado State Universität ist Autor einer im letzten August veröffentlichten Studie, die die internationale Gemeinschaft auffordert, «die Löcher im Ozonloch-Abkommen zu stopfen». Er fasst das Problem so zusammen:

«Das Montrealer Protokoll sagt nicht ‘nicht freisetzen’, es sagt ‘nicht brauchen’.»

Mit anderen Worten: Alle Stoffe, die in industriellen Prozessen vorkommen, werden weder kontrolliert noch inventarisiert. Dies ist zum Beispiel bei zwei der durch die Empa neu entdeckten Verbindungen, HFCKW-132b und HFCKW-133a, der Fall. Martin Vollmer, Atmosphärenwissenschaftler und Erstautor der Studie sagt:

«Sie werden bis Anfang 2017 mit unserer Station auf dem Jungfraujoch, sowie in Monte Cimone in Italien und Made Head in Irland beobachtet. Dann verschwanden sie. Unsere Studie zeigt, dass diese Gase wahrscheinlich aus einem Chemiewerk in Pierre-Bénite in der Nähe von Lyon stammen. Dies deutet auf einen Zusammenhang mit der Stilllegung der R134a-Produktion an diesem Standort im ersten Quartal 2017 hin oder auf eine Änderung des industriellen Prozesses.»

Die von Martin Vollmer geleitete Gruppe hat ausserdem anhand von Beobachtungen in Südkorea seit 2016 zahlreiche Fälle identifiziert, wo HFCKW-132b und HFCKW-133a freigesetzt wurden. Die Emissionen stammen offenbar aus den Regionen Shanghai und Süd-Hebei.

Sind diese Emissionen besorgniserregend? Sind diese Treibhausgase, die ausgestossen werden, ohne in den Inventaren aufzutauchen, ein Problem? Die Meinungen der Experten sind nuanciert. Der auf Chemie und Atmosphärenwissenschaften spezialisierte Ravi Ravishankara sagt:

«Diese Emissionen sind noch zu gering, um die Ozonschicht zu beeinträchtigen, aber ihr Nachweis zeigt, dass das Problem der Emissionen dieser Zwischenprodukte angegangen werden muss.»

Frédéric Chevallier, Forscher am Labor für Klima- und Umweltwissenschaften in der Nähe von Paris, meint seinerseits:

«Das sind ‘naive’ Emissionen, aber deren Regulierung ist wichtig, unabhängig von den ausgestossenen Mengen.»

Der Studienautor Martin Vollmer meint:

«Ihre Auswirkungen sind viel geringer als die von FCKW, weil diese Gase in der Atmosphäre schneller zerstört werden und weil die Mengen relativ gering sind. Aber unsere Beobachtungen zeigen, dass es ein Problem gibt. Im Prinzip wird HFCKW-133a von der Industrie zur Wiederverwendung aufgefangen. Wenn es entweicht, handelt es sich entweder um einen Zwischenfall oder um eine absichtliche Freisetzung. Wir zeigen, dass die Luftanalyse ein wertvolles Werkzeug für die Überwachung des Montrealer Protokolls ist, weil wir jetzt wissen, wie wir winzige Spuren von Gas nachweisen und die Quelle identifizieren können.»

Analytische Leistung. Die gefundenen Gehalte an HFKW und HFCKW sind unglaublich niedrig, nämlich Teile pro Billion, kurz ppt. Das bedeutet, dass ihre Konzentration in der Grössenordnung von 0,0000000001 Prozent liegt. Wie können solche Spuren überhaupt gemessen werden? Martin Vollmer erklärt:

«Wir haben eine Methode entwickelt, um die Luft zu konzentrieren: Wir nehmen zwei Liter Luft und fangen dann mit einer Klappe den darin enthaltenen Stickstoff und Sauerstoff ein. Das Volumen wird auf wenige Mikroliter reduziert, was die Konzentration der enthaltenen Substanzen um etwa eine Million vervielfacht.»

So erreicht der Anteil der Substanzen einen Bereich, der mit Analysegeräten wie Chromatographie und Massenspektrometrie gemessen werden kann.

«Ein amerikanisches Unternehmen entwickelt ein ähnliches Analyseinstrument und wir freuen uns darauf, da es mehr Beobachtungsstationen ermöglichen wird.»

Identifikation der Quelle. Der analytische Fortschritt erlaubt es auch, die Quelle der Emissionen genauer zu orten. Die Ortung basiert dabei auf sogenannten inversen Modellen, die anhand von meteorologischen Daten den Weg einer Substanz zurückverfolgen können. Martin Vollmer erklärt:

«Natürlich haben wir Unsicherheiten über den Standort der Quellen. Aber sie bleiben in einem vernünftigen Rahmen, besonders in Europa und den USA, weil es eine gute Abdeckung von Luftanalysestationen gibt.»

In den letzten etwa 30 Jahren habe es eine starke Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft gegeben, um diese inversen Modelle zu verbessern, erklärt Frédéric Chevallier, ein Spezialist auf diesem Gebiet. «Sie basieren auf der Physik atmosphärischer Ausbreitung und verwenden einen statistischen Ansatz, der bereits 1774 von Pierre-Simon Laplace vorgeschlagen wurde.» Dies sei die einzige Möglichkeit, eine Emission zu ihrer Quelle zurückzuverfolgen. Er fügt hinzu:

«Das Freisetzen von Stoffen in die Atmosphäre ist ein irreversibles Phänomen; man kann nicht deterministisch zur Quelle zurückgehen, genauso wenig wie man aus einer Suppe Gemüse machen kann.»

Im Falle der chlorierten und fluorierten – nicht natürlichen – Gase kartieren die Wissenschaftler die Regionen, in denen sie wahrscheinlich emittiert werden – beispielsweise grosse Industrieregionen. Da es für diese Substanzen keine Quellen in Naturräumen oder Meeren gibt, reduziert sich das Untersuchungsgebiet auf bebaute Flächen.

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Basierend auf diesen Karten sowie Winddaten und Detektionsmessungen bestimmen statistische Modelle die wahrscheinlichste Emissionsregion. Dabei ist die Unsicherheit umso geringer, je höher die Anzahl der Messstationen ist. Für CO₂ bereitet die Europäische Weltraumorganisation ESA den Start von zwei Satelliten, Sentinel 7A und 7B, im Jahr 2025 vor. Ihre Beobachtungen, gekoppelt mit inversen Modellen, werden es dem Kontinent ermöglichen, eine viel genauere Bestandsaufnahme seiner Treibhausgasemissionen zu erhalten.

Die nächste Generation von Kältemitteln. Derweilen beginnt sich eine vierte Generation von Kältemitteln durchzusetzen, wie etwa das sogenannte HFO1234yf in Autoklimaanlagen. HFOs sind Hydrofluorolefine, Moleküle, die sich zu schnell abbauen, um die Stratosphäre zu erreichen, und die viel weniger wärmend sind als frühere Generationen.

Könnte dies der Heilige Gral der Klimatechnik sein? Nicht wirklich, denn bei ihrem Abbau wird eine Säure, TFA, freigesetzt, die sich in Boden und Wasser anreichern kann. Mit Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, Pflanzen und Wasserlebewesen, die bisher nur unzureichend bekannt sind. Hinzu kommt, dass einige HFOs entflammbar sind – also wieder nur ein Zwischenerfolg.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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