Das musst du wissen

  • Impfdebatten werden oft auf Social Media befeuert. Forscher zeigen: Dies trifft nicht nur auf die Covid-Impfung zu.
  • Schon bei der Impfung gegen die Grippe verfestigten Fehlinformationen im Netz die Ansichten von Kritikern.
  • Um solche künftig zu verhindern, nimmt die Wissenschaft auch die Medien in die Pflicht.

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Ein Piks entzweite die Gesellschaft. Impfen – Ja oder Nein? Die hitzige Debatte rund um die Covid-Impfung liess noch vor wenigen Monaten die Meinungen von Befürwortern und Gegnern aufeinanderprallen, unter anderem in den sozialen Netzwerken. Dort fanden sich Personen mit Impf-Vorbehalten nicht selten durch Fake-News in ihrer Skepsis bestätigt – zum Beispiel durch Links und Posts über vermeintliche Risiken einer Impfung. Fehlinformationen über den Nutzen von Impfstoffen sind auf Kanälen wie Twitter, Facebook und Co. allerdings kein spezifisches Corona-Phänomen, wie eine aktuelle im Fachmagazin Plos One erschienene Studie zeigt.

Science-Check ✓

Studie: Characterizing polarization in online vaccine discourse – A large-scale studyKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie stützt sich auf einen sehr umfangreichen Datensatz. Dies macht die Untersuchung zuverlässig. Allerdings beschränkt sich die Analyse auf Twitter – wenn auch manche Tweets wiederum via Links zu Facebook-Posts führten.Mehr Infos zu dieser Studie...

Darin untersuchten zwei Forscher aus Dänemark Tweets aus der Zeit vor der Pandemie, die sich um ganz verschiedene Impfungen drehten. Zum Beispiel um die Grippeimpfung oder jene gegen Gebärmutterhalskrebs. Die Forscher wollten verstehen, wie der Impfdiskurs in den sozialen Medien funktioniert und wie dies mit kritischen Einstellung zu Impfungen zusammenhängt. Denn Impfverweigerung ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO eine der grössten Bedrohungen für die globale Gesundheit. Zurückgegangen sind die Impfraten teils paradoxerweise aufgrund des Erfolgs der Impfstoffe bei der Verhütung von Krankheiten. Dies hat laut WHO in der Bevölkerung zu einer gewissen Nachlässigkeit geführt. Doch auch die sozialen Medien spielen eine entscheidende Rolle, halten die Forscher aus Dänemark fest: Vor allem Fehlinformationen in den sozialen Medien tragen zu Misstrauen und Impfskepsis bei – sie vermitteln ein falsches Bild von den Vor- und Nachteilen von Impfstoffen.

Impfskeptiker setzen auf Youtube-Videos

Wie sind die beiden Forscher genau vorgegangen? Für ihre Analyse haben sie mehr als sechzig Milliarden Tweets aus dem Zeitraum von 2013 bis 2016 unter die Lupe genommen. Zum einen wählten sie diese anhand von Zufallsstichproben aus, zum anderen suchten sie gezielt nach Tweets mit Stichworten wie impfen, geimpft oder ungeimpft. Mithilfe neu entwickelter Methoden aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz brachten sie einem Computer bei, zu erkennen, welche Ansichten über Impfstoffe hinter einem bestimmten Tweet steckten. So unterteilten sie die Schreibenden in Befürworterinnen und Gegner.

Bei der Analyse zeigte sich: 45 Prozent aller Twitternden waren Impfbefürwortende, zwanzig Prozent hatten gegenteilige Ansichten und 35 Prozent hatten eine neutrale Einstellung zur Impfdebatte. Impfbefürwortende verwiesen in ihren Tweets häufig auf Nachrichtenmedien und Wissenschaftsseiten. Jene mit gegenteiligen Meinungen hingegen teilten in ihren Profilen auffällig oft Youtube-Videos sowie Seiten mit Fake News und Verschwörungstheorien. Youtube-Videos teilten sie fast zehnmal häufiger als Impfbefürwortende. Insgesamt liessen sich die Links der Skeptikerinnen und Zweifler in fünf Kategorien einordnen: Webseiten, die für Pseudowissenschaft und Verschwörungstheorien bekannt sind, Nachrichtenseiten, soziale Medien, Youtube sowie kommerzielle Webseiten, die alternative Gesundheitsprodukte verkaufen. Letzteres sei insofern überraschend, als dass massnahmenskeptische Personen häufig aus Angst vor finanziellen Interessenkonflikten gegen die Impfung seien, halten die beiden Studienautoren fest.

Kein Austausch mit Menschen anderer Ansicht

Die Untersuchung bestätigt ausserdem den sogenannten Echokammereffekt: Personen mit unterschiedlicher Meinung zu einem Thema – hier die Impfdebatte – stossen im Internet kaum auf Ansichten aus dem gegenteiligen Lager. Denn in den sozialen Netzwerken sorgen Algorithmen dafür, dass Menschen vornehmlich mit Personen interagieren, deren Meinung mit ihrer eigenen übereinstimmt. Folglich hängen die Informationsquellen, denen man auf Social Media begegnet, stark von der eigenen Einstellung zu Impfstoffen ab, schlussfolgern die Autoren. «Je grösser die Ablehnung gegenüber Impfstoffen, desto weiter von der Norm entfernt ist das Medienbild, dem die Menschen in ihrem Freundeskreis ausgesetzt sind», sagt der Datenwissenschaftler und Co-Autor Bjarke Mønsted in einer Mitteilung.

Appell an Medien: Vorsicht bei Anti-Impf-Argumenten

Ihre Studie zeige, dass medizinische Fehlinformationen im Internet ein weitaus grösseres Problem darstellen könnten, als bisher angenommen, schreiben die Forscher. Überzeugungen und Verhaltensweisen in eng vernetzten, homogenen Gemeinschaften seien sehr widerstandsfähig. Sie böten einen fruchtbaren Boden für Randgruppen-Narrative, während Mainstream-Informationen abgeschwächt würden. Diese Erkenntnis sei wichtig, um daraus Schlüsse für die Corona-Impfdebatte abzuleiten.

Laut den Forschern bedeutet das auch: «Wenn die Gesundheitsbehörden mehr Unterstützung für Impfstoffe wollen, liegt die Verantwortung nicht nur bei den Tech-Giganten, sondern auch bei den Medien», sagt Bjarke Mønsted. Dies vor allem, wenn es darum gehe, medizinische Fehlinformationen zu vermeiden. Es sei wichtig, dass Medien kein falsches Gleichgewicht zwischen den Ansichten herstellen würden, indem sie Anti-Impf-Argumenten, die in der wissenschaftlichen Literatur nicht belegt sind, die gleiche oder vielleicht sogar mehr Sendezeit einräumen. «Die Medien sollten medizinische Informationen und Fehlinformationen nicht als gleichwertige Ansichten darstellen.» Denn Impfungen zum Schutz vor Krankheiten bleiben schliesslich auch nach der Pandemie wichtig.

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