Das musst du wissen

  • Mehltau ist ein eingeschleppter Pilz, der Weinreben befällt und so ganze Ernten vernichten kann.
  • Forschende haben bei Reben im Gewächshaus bestimmte pilzfördernde Eigenschaften weggezüchtet.
  • Erste Versuche mit diesen Reben sind vielversprechend: viele der Nachkommen waren gegenüber Mehltau resistent.
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Es herrscht Katerstimmung im Weinbauzentrum Wädenswil. Hagel und Starkregen setzen dieses Jahr den Weinreben besonders zu und machten sie empfindlicher auf Pilzbefall. Das Resultat: Neunzig Prozent Ertragsverlust. Im Weinbau ist man sich folglich einig, dass es dringend robustere Rebsorten braucht. Das ist das Ziel des Züchtungsforschers Samuel Wüst, der bei Agroscope am Standort Wädenswil mit neuen Ansätzen resistente Weinreben entwickelt. «Aktuell müssen die Weinbauern bis zu zwölfmal im Jahr Pflanzenschutzmittel spritzen», erklärt der Pflanzenbiologe. «Dies zu vermeiden wäre ein Riesenschritt in Richtung einer nachhaltigeren Landwirtschaft.»

Die grossen Feinde der Weinreben: der echte und falsche Mehltau. Eingeschleppt aus Nordamerika, können diese zwei Pilze ohne Pestizideinsatz den totalen Ernteausfall verursachen. Welche Parzellen auf dem Rebberg in Wädenswil versuchsweise nicht gespritzt wurden, ist sofort ersichtlich. Die zerstörerische Kraft des Mehltaus zeigt sich an Weinreben ohne Blätter, sie sind schwarz und verkümmert. «Die Weinreben hatten keine Chance», sagt Wüst konsterniert.

Schach mit dem Mehltau

Robustere Rebsorten züchtet man in der Regel mittels Einkreuzens von Resistenzgenen aus amerikanischen oder asiatischen Wildreben. Dank solchen Resistenzen kann die Pflanze beispielsweise schneller ihre natürlichen Abwehrmechanismen gegen den Pilzbefall in Gang setzen. Die so gezüchteten Reben, sogenannte pilzwiderstandsfähige Sorten – Fachleute reden von Piwis – unterscheiden sich aber im Geschmack merklich von traditionellen Sorten wie Cabernet Sauvignon oder Pinot noir. Dazu kommt, dass einzelne Resistenzen nur zeitlich begrenzt wirken. «Das Einkreuzen von Resistenzgenen ist zwar effektiv, aber nicht unbedingt dauerhaft», sagt Wüst. In kurzer Zeit passen sich die pathogenen Pilze an. Der Forscher vergleicht es mit Schach: «Der Züchter macht einen Zug, dann der Mehltau, dann wieder der Züchter, dann der Mehltau. Aber irgendwann gehen dem Züchter die Züge aus.»

Darum verfolgen Wüst und seine Kolleginnen eine andere Strategie: Anstatt neue Resistenzen in die Rebe einzukreuzen, züchten sie Eigenschaften der Pflanze weg. Der Pilz ist nämlich auf gewisse Faktoren der Rebe angewiesen, beispielsweise Stoffwechselprodukte und Proteine, damit er sie besonders effizient befallen kann. Lässt man diese Faktoren durch geschicktes Züchten verschwinden, steht der Pilz sozusagen vor verschlossenen Türen. «Der Verlust dieser Eigenschaft ist für die Pflanze folglich nicht nur eine Schwäche, sondern gleichzeitig eine Stärke», sagt Wüst. Doch wie gehen die Forschenden vor?

Sofia van Moorsel
Im Gewächshaus des Forschungsstandorts Wädenswil befinden sich die Nachkommen verschiedenster Weinrebensorten, die auf ihre Pilzresistenz geprüft werden.
Sofia van Moorsel
Im Gewächshaus liegt ein leichter Schwefelgeruch in der Luft, ein Zeichen dafür, dass die Weinreben auch hier behandelt werden müssen. Die Nachkommen warten darauf, getestet zu werden.
Samuel Wüst
Die ausgestochenen Blattrondellen werden auf ihre Resistenz geprüft, indem sie mit dem echten und falschen Mehltau gezielt infiziert werden. Der Pilzbefall zeigt sich mit einem leichten grauweissen Belag. Doch immer wieder bleiben Rondellen pilzfrei.

Versteckte Resistenzen ans Licht bringen

Basis für die Züchtung ist die natürliche Vielfalt der Weinreben. «Einige unserer Sorten wurden wohl bereits von den Römern genutzt», sagt Wüst. Allerdings häufen sich über die Jahrhunderte natürlicherweise kleine Gendefekte, also Schwächen, im Rebengenom an. Sie bleiben aber normalerweise verborgen, weil sie von der zweiten noch funktionierenden Genvariante kompensiert werden. Sobald man aber nah verwandte Sorten kreuzt oder die Reben selbst befruchtet, kommen die Defekte aufgrund der Inzucht ans Licht. «Es ist wie ein Zaubertrick», freut sich der Pflanzenforscher. «Derweil die Eltern noch anfällig sind, tauchen plötzlich unempfindliche Nachkommen auf.» Denn die neue Generation verwehrt aufgrund des Defektes – und dem damit verbundenen Verlust der pilzfördernden Eigenschaft – dem Pilz den Einlass in die Pflanzenzelle.

Die resistenten Nachkommen können nun in gezielten Kreuzungen für die klassische Resistenzzüchtung eingesetzt werden. Eine Alternative zum aufwändigen Züchten wäre die sogenannte Genom-Editierung, bei der einzelne Gene im Erbgut verändert werden. Dafür muss durch die Analyse der Genomsequenz zuerst ermittelt werden, welche Gene für die Resistenz verantwortlich sind. Diese Gene könnten dann gezielt mit einer Genschere herausgeschnitten werden. Aktuell ist diese Technik in der Schweiz allerdings nicht zugelassen. Doch egal ob klassische Züchtung oder modernste Biotechnologie: beides hat den grossen Vorteil, dass nichts Neues oder Exotisches in die Rebsorte hinein gezüchtet wird. «Man muss nur das grosse Potenzial der bestehenden Vielfalt ausschöpfen», betont Wüst. Und fügt scherzend an: «Wer weiss, vielleicht befindet sich die nächste Resistenz in der Tafeltraube vom Supermarkt?»

Die Forschenden haben im Gewächshaus durch Inzucht bereits über zweitausend Nachkommen von verschiedensten Rebsorten erzeugt und aus ihren Blättern 20 000 Rondellen gestochen, um sie nach Mehltauresistenzen abzusuchen. Mit Erfolg: Immer wieder bleiben Blattrondellen pilzfrei. «Wir waren überrascht, wie oft diese Resistenzen vorkommen, auch in bekannten Rebsorten wie dem Silvaner», sagt Wüst. Das verheisst Gutes für die Zukunft von Cabernet Sauvignon und Co.

Dieser Text entstand im Rahmen des CAS Wissenschaftsjournalismus am Maz. Sofia van Moorsel forscht am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften an der Universität Zürich.
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