Seit über 35 Jahren geben sie zusammen Album um Album heraus – die beiden Exzentriker Dieter Meier und Boris Blank. Wahrgenommen wird fast nur einer: Meier. Er ist der Extrovertierte. Als Sohn eines Bankiers wusste Dieter in den 1970ern nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Er wurde Politaktivist, Pokerspieler und dann Performancekünstler. Später Sänger, Regisseur, Schauspieler, Maler, Buchautor. Als Getriebener jettet er noch heute unablässig um die Welt – bewegt sich zwischen Los Angeles, Buenos Aires und Hongkong – auf der Suche nach dem nächsten Projekt. Er ist Künstler wie Geschäftsmann: In Zürich ist er an mehreren Restaurants beteiligt, in Argentinien baut er Wein an und züchtet Rinder. Das Fleisch wird im Schweizer Detailhandel mit dem Biolabel verkauft – auf der Packung prangt Meiers Konterfei.

Weit weniger sichtbar ist Boris Blank. Und das findet er gut so. Er ist der Perfektionist, der – so sagt er selbst – nur eine Sache wirklich kann. Die aber dafür richtig gut. Blank experimentiert mit Sounds, verwebt diese zu neuen Formen, malt aus Tönen und Rhythmen Klanggebilde. Eingeschlossen in seinem Studio fühlt er sich wohl, die Öffentlichkeit meidet er so gut es geht. Interviews gibt er kaum und seine Bühnenpräsenz ist rar. In 35 Jahren trat er mit seiner Musik fast nie live vor Publikum auf.

Kennengelernt haben sich die beiden gegensätzlichen Charaktere im August 1978 in der Wohnung von Carlos Perón, der damals mit Blank musizierte. Eingefädelt hatte das Treffen ein gewisser Paul Vajsabel, dessen Plattenladen schweizweit als «Mekka für Fans absonderlicher Musik» galt, wie Daniel Ryser in seinem Buch über Yello schreibt. Blank hatte dem Plattenhändler zuvor schon ein paar seiner Stücke vorgespielt. Vajsabel gefiel die Musik; doch er fand, es fehle eine Stimme. So kam Dieter Meier ins Spiel, der damals gerade als Punksänger unterwegs war. Blank brachte zu diesem Treffen einen ganzen Koffer voller Ideen mit – Musikkassetten, auf denen seine musikalischen Experimente aufgezeichnet waren. Produziert hatte er sie neben seinen diversen Jobs als Grafiker, Fernsehmechaniker oder Kurier jeweils in der Nacht. Und das mit rudimentärsten Mitteln. Rückkopplungen und Echos erzeugte er mit einem Revox-Tonbandgerät; später kam ein analoger Synthesizer hinzu: ein Arp Odyssey, ein kleines und bezahlbares Modell. Die Einfachheit seiner Mittel machte Blank mit umso mehr Einfallsreichtum wett: Er war zum Tonjäger geworden. Geräusche aller Art waren seine Beute, die er später verfremdete. So wurde zum Beispiel der Klang eines an die Wand geworfenen Schneeballs in Blanks Sound-Labor zum Bass-Drum. So betrieb der 26-jährige Zürcher, Sohn eines Fabrikarbeiters, eine Art Sampling – lange bevor dieses erfunden war und im digitalen Zeitalter zig Musikrichtungen prägen sollte.

«Meier und Blank sahen aus wie gruslige Banker.»Der Technostar Moby erinnert sich an den Auftritt von Yello im New Yorker Roxy 1983.

Zu Blanks Musik kam die Stimme von Dieter Meier. Dieser war kein professioneller Sänger, dafür aber einer mit Hingabe: «Bei der ersten Session in Peróns Wohnung hat er ins Mikrofon gebrüllt wie am Spiess», erzählt Blank in einem seiner seltenen Interviews auf Radio SRF 3. Der Krach hatte Folgen: Prompt wurde Carlos Perón die Wohnung gekündigt. Von nun an experimentierten Blank und Meier in dessen Studio in der Roten Fabrik.

1980 erschien das Debut-Album Solid Pleasure beim US-amerikanischen Plattenlabel Ralph Records. Auch Carlos Perón war da noch mit von der Partie; doch schon bald verabschiedete er sich von Yello. Und verpasste dadurch, wie die Single Bostich die Band in den USA zum Kult machte. Meier gab in dem Lied Sprechgesang zum Besten, lange bevor der Rap in der Musikwelt Einzug gehalten hatte. Für seine Stimmeinlagen hatte er einen Text geschrieben, der die maschinenhafte Monotonie von Fliessbandarbeit versinnbildlichte: «Standing at the machine every day for all my life – I’m used to do it and I need it – It’s the only thing I want – It’s just to rush, push, cash.»

In der Schweiz kannte noch kaum jemand die Band. In New York nahmen die angesagtesten Radio-DJs den Song in ihr Programm auf. Bostich mauserte sich zur Club-Hymne. Vor allem junge Schwarze und Latinos fuhren auf den harten elektronischen Sound ab. Dass er von zwei Weissen aus einem kleinen Land am anderen Ende des Erdballs kam, war der Musik in keiner Weise anzuhören. Umso erstaunter war das Publikum, als es die zwei jungen Zürcher im Dezember 1983 an zwei Live-Auftritten im New Yorker Club Roxy zu Gesicht bekam: Es erschienen zwei gepflegte Herren in schicken Anzügen, die noch dazu eigenartige Oberlippenbärte trugen. «Sie sahen aus wie gruslige Banker», erinnert sich der Technostar Moby im Buch von Daniel Ryser. Moby selbst hat sich vom Aufzug im Anzug nicht irritieren lassen und sagt, Yello gehöre «zum Einflussreichsten und Bemerkenswertesten in der elektronischen Musik überhaupt».

Die Hitparaden und damit die breite Masse eroberten Yello mit einer Stimmübung und viel Selbstironie. «Oh yeah», machte Dieter Meier im Studio, um seine Stimmbänder zu lockern. Tonjäger Blank schneidet mit und packt den gedehnten, sonoren Sound in einen Song. Oh Yeah schafft es in zwei erfolgreiche Hollywood-Filme. Yello werden weltbekannt. Schnipsel des Songs werden seither immer wieder verwendet; so begleitet Oh Yeah in der TV-Serie The Simpsons jeden Auftritt des Muskelmanns Duffman. Ähnlich wie Oh Yeah startet später auch The Race durch – das Stück mit dem unverwechselbaren Motorengeräusch. Die Aufnahmen bescheren Yello einen bis heute nicht endenden Geldregen.

Typisch für Yello – und vielleicht das Geheimnis ihres Erfolgs – ist die Verspieltheit. «Boris und ich sind dauernd auf der Suche nach unserem inneren Kind», betont Meier immer wieder in Interviews. Und das gilt nicht nur für die Musik: Yello sind ein Gesamtkunstwerk. Auch auf Plattencovers und in Musikvideos, bei denen Dieter Meier Regie führt, finden Yello eine eigene Bildsprache – und sie kultivieren die Selbstironie. Die Videos sind mitunter regelrechte Familienprojekte: Blanks Frau, seine Tochter und der Sohn des vierfachen Vaters Meier standen für mehrere Clips vor der Kamera.

Doch nicht jeder Videodreh war die reine Freude. 1987 erschien The Rhythm Divine, ein langsamer, gefühlvoller Song, bei dem die Soulsängerin Shirley Bassey den Gesangspart übernahm. Für viele ist dieses Lied Boris Blanks Meisterstück. Beim Videodreh kam es allerdings zum Eclat. Dieter Meier war für Bassey offenbar zu streng, wollte zu viele Wiederholungen. Nach Drehschluss liess die Diva ausrichten: «Ich will mit Yello nie wieder etwas zu tun haben». Den gemeinsamen Song jedoch führt sie noch heute in ihrem Programm.

Was Shirley Bassey mit Yello produzierte, könnte man nach heutigen Definitionen als einen Vorläufer des Trip-Hop bezeichnen. Wobei Klangtüftler Blank mit derartigen Kategorisierungen nie viel anfangen konnte. Auch als in den 1990er-Jahren die Stunde des Techno schlug und die Interpreten sich auf Blank beriefen, war dessen erste Reaktion Ablehnung. Er empfand den neuen Sound so ganz anders als seinen eigenen: monotoner, härter, einfacher produziert. Also begegneten Yello dem Techno- Hype auf die ihnen eigene Weise: mit einer Spielerei. Das Duo lancierte ein Projekt namens Hands on Yello und forderte aufstrebende Technokünstler heraus, Stücke von Yello neu zu interpretieren. Daraus entstand ein Remix-Album – eine Hommage der Technowelt an Yello.

Das Album Touch Yello erschien 2009. Die Produktion an einem Live-Konzert vorzustellen, kam für Yello nicht in Frage. Stattdessen gaben Meier/Blank als erste Band ein virtuelles Konzert: Ihren Auftritt nahmen sie vor einem Green Screen auf und fügten ihn in eine digital erzeugte Bühne ein. Vom Tonband als Produktionsmittel haben sich Yello schon längst verabschiedet. Bisweilen reicht sogar ein Smartphone. Möglich macht dies Blanks neueste Entwicklung: der Yellofier. Diese App verwandelt das Telefon in einen Sampler, Step Sequenzer und Effekt-Gerät. Es mischt selbst aufgezeichnete Geräusche zu Musik, die fast wie Yello klingt.

Dann im Jahr 2016 die grosse Wende: Yello kehrten auf die Bühne zurück. In mehreren Konzerten stellten sie das Album Joy vor. Die Reaktionen waren gemischt. Einige Kritiker fanden, die Band klinge abgestanden, altmodisch, wie eine aufgewärmte Yello. Die echten Fans sahen dies anders. Sie feierten ihre Helden, die fast nie live zu sehen sind.

Bis heute produzieren Dieter Meier und Boris Blank gemeinsam Musik. Daneben widmet sich Meier seinen anderen Projekten – und dem Rampenlicht. Blank hingegen sitzt im Studio mit der Zuverlässigkeit eines Fabrikarbeiters. Alle paar Monate kommt Meier vorbei, um zur Musik seine Texte und die Stimme beizusteuern. So leben die beiden Avantgardisten eine musikalische Symbiose, die seit mehr als drei Jahrzehnten funktioniert. «Wir führen eine Art Seemannsehe», sagte Meier einmal. «Wenn mir Boris seine neuen Stücke vorspielt, ist es immer wieder wie ein Soundtrack zu einem nicht existierenden Film, der mich inspiriert zu Texten und Melodien.»

Dieses Porträt stammt aus dem Buch «Zürcher Pioniergeist» (2014). Es porträtiert 60 Zürcherinnen und Zürcher, die mit Ideen und Initiative Neues wagten und so Innovationen schufen. Das Buch kann hier bestellt werden.
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