Das musst du wissen

  • Ein Experiment untersuchte, wie sich Online-Vorlesungen auf die Leistung von Studierenden auswirkt.
  • Bei schwächeren Studierenden verringerte sich die Wahrscheinlichkeit, Prüfungsfragen richtig zu beantworten.
  • Bei stärkeren Studierenden hingegen erhöhte sich die Prüfungsleistung sogar.

Warum das interessant ist. Eine wachsende Zahl von Untersuchungen, sowohl in der Schweiz als auch im Ausland, zeigt, dass die Schliessung von Schulen und die Umstellung auf Online-Schulunterricht im Frühjahr 2020 die Ungleichheiten zwischen Schülern verstärkt haben. Das zeigt zum Beispiel eine grosse Studie der Universität Zürich bei Primar- und Sekundarschülern. Hingegen ist die Frage der Ungleichheiten in Bezug auf den Fernunterricht an Universitäten noch wenig untersucht. Doch nun liefert eine neue Studie der Universität Genf interessante Erkenntnisse. Die Studie wurde im Journal of the European Economic Association veröffentlicht.

Worum geht es in der Studie? Angesichts der überfüllten Hörsäle haben sich Forschende schon lange vor der Pandemie für die Auswirkungen des Fernunterrichts interessiert. Michele Pellizzari, Professor am Institut für Ökonomie und Ökonometrie der Universität Genf und Mitautor der Studie, erklärt:

«Die Universität wollte testen, ob der gestreamte Unterricht eine Lösung sein könnte, vor allem um die überfüllten Hörsäle im ersten Semester zu entlasten.»

Um die Auswirkungen dieser Arbeitsweise zu analysieren, verfolgten die Forscher 1495 Studierenden der Geneva School of Economics and Management im Frühjahr und Herbst 2017 über zwei Semester hinweg. Das Experiment umfasste acht grosse Pflichtkurse des ersten Jahres. Nach dem Zufallsprinzip erhielt jede Woche eine Gruppe von Studierenden die Möglichkeit, den Kurs online und live statt persönlich zu besuchen. Anschliessend verglichen die Forschenden den Effekt dieses Online-Unterrichts mit den Prüfungsergebnissen.

Die Ergebnisse. Die Forschenden fanden folgendes heraus:

  • Im Durchschnitt nutzten nur zehn Prozent der Studierenden, die die Möglichkeit hatten, den Online-Unterricht.
  • Insgesamt gab es keine nachweisbaren Auswirkungen auf die Prüfungsergebnisse. Das ändert sich jedoch, wenn die Forschenden die verschiedenen Kategorien von Studierenden betrachteten.
  • Für die besten 20 Prozent der Studierenden – jene mit der höchsten Punktzahl am Ende der Sekundarstufe – die eine Woche lang Zugang zu den Online-Kursen hatten, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, eine Frage zu dem Thema richtig zu beantworten um 2,5 Prozent. Und zwar unabhängig davon, ob sie die Online-Option nutzten oder nicht.
  • Für die untersten 20 Prozent sank die Wahrscheinlichkeit um zwei Prozent.

Dieser Unterschied von fünf Prozent zwischen den Studierenden mit dem höchsten Potenzial und denen am anderen Ende des Spektrums sei nicht unbedeutend, kommentiert Michele Pellizzari.

«Sie müssen bedenken, dass die Wahrscheinlichkeit, richtig zu antworten, für jede Frage erfasst wurde, und dass die meisten Prüfungen zwischen 30 und 60 Fragen umfassen.»

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Die Interpretation. Entgegen der üblichen Vorstellung, waren die Studierenden mit den niedrigsten Werten diejenigen, die am regelmässigsten am Unterricht teilnahmen. Michele Pellizzari:

«Bei schlechtem Wetter oder einer Grippewelle verzichten die begabtesten Studierenden eher darauf, zum Unterricht zu gehen, weil sie wissen, dass sie den Stoff verstehen werden, wenn sie ihn zum Beispiel aus Büchern lernen. Andere kommen eher zum Unterricht.»

Im Rahmen dieser Studie stellte die Möglichkeit des Online-Unterrichts für Begabtere ein zusätzliches Tool dar, das den positiven Effekt erklären könnte. Schwächere Studentinnen und Studenten hingegen hat es möglicherweise dazu verleitet, nicht mehr zum Unterricht zu gehen, was einen negativen Effekt hatte.»

Was es über die aktuelle Situation aussagt. Michele Pellizzari weist darauf hin, dass das 2017 in der Studie getestete System sehr einfach ist: Es bietet die Möglichkeit, den Kurs im Streaming live zu besuchen, aber bietet keine weiteren Funktionen.

«Seit Beginn der Krise sind die implementierten Lösungen ausgefeilter, mit mehr Kontrolle, pädagogischer Unterstützung, Diskussionsforen und Kontakten mit Lehrpersonen. Dies sind Elemente, die möglicherweise die Ungleichheiten reduzieren können. Aber im Allgemeinen zeigen unsere Ergebnisse, dass der Präsenzunterricht immer noch vorzuziehen ist, und dass er besonders für die am wenigsten begabten Studierenden wichtig ist.»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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