Drüben in den USA erleben sie die schlimmste Grippesaison seit Jahren, schreibt die New York Times. Und auch bei uns will sie nur langsam abebben. Die Hälse, Nasen, Nebenhöhlen werden also noch eine Weile weiter schleimen, rotzen, triefen. Schleim: Was uns vor allem beschäftigt, wenn wir krank sind und was wir möglichst rasch und diskret wieder loswerden möchten, ist eine weitverbreitete biologische Strategie. Zeit für einen kleinen Streifzug durch die vielfältigen Funktionen einer Substanz, die etwas mehr Wertschätzung verdient hätte.

Wenn wir verschnupft sind kommt es im Nasen- und Rachenraum, mitunter auch bis in die Nebenhöhlen, unweigerlich zu verstärkter Schleimbildung. Der klassische Rotz heisst im Fachjargon vornehmer «Nasensekret» – was schon mal sehr hübsch ist, weil es sich um dasselbe Wort wie das englische Geheimnis, «secret», handelt. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet die medizinische Wissenschaftssprache Sekret für «Drüsenprodukt, -flüssigkeit, Ausscheidung», was vom lateinischen secernere, also «ab-, aussondern, ausscheiden, trennen» kommt. Im ursprünglichen Sinn steht das lateinische secretum für «Abgeschiedenheit, einsamer Ort, Heimlichkeit». Sehr passend also, dass wir lieber diskret in eine Armbeuge niesen oder in ein Taschentuch rotzen als das Drüsenprodukt allzu offensichtlich aus der Nase zu befördern.

Zur Menge an produziertem Nasensekret variieren die Angaben stark. Mancherorts ist von einem Liter bis sogar zu zwei Litern pro Tag zu lesen, von dem der grösste Teil nicht ans Tageslicht kommt, sondern durch die Hintertür den Rachen hinunter entsorgt wird. Im Laufe einer Erkältung wechselt das Sekret typischerweise seine Konsistenz und Farbe: Es wird immer dickflüssiger und geht von klar allmählich zu gelblich-grünlich über. Die Färbung kommt vor allem von weissen Blutkörperchen, die den Infekt zu bekämpfen versuchen. Hinzu kommen noch Zellbestandteile der in Mitleidenschaft gezogenen Nasenschleimhaut, allerlei Enzyme und abgetötete Erreger. Hartnäckig hält sich die Vorstellung, dass der Farbton des Rotzes Rückschlüsse auf die Art des Infekts zulässt: Je stärker die Färbung, desto eher hätte man es demnach mit einer durch Bakterien verursachten Erkältung zu tun – und desto öfter verschreiben Hausärzte einer Übersichtsstudie zufolge auch Antibiotika. Doch erhärten lässt sich der Zusammenhang kaum, es dürfte sich um einen medizinischen Mythos handeln.

Ein Mann niest einen Schauer aus Schleim und Spucke in die Luft.Alamy

Für die Umstehenden abstossend, für den Niesenden aber nützlich: Der Spray aus Spucke und Schleim entsorgt Krankheitserreger.

Schleim: die Pufferzone zur Aussenwelt

Beim Husten dagegen ist die Lage klarer: Ist er mit Auswurf verbunden, dann sind allermeistens Viren schuld, genauer Rhino-, Corona-, Influenza- oder Parainfluenzaviren. Schleim ist aber auch da die Norm, auch ohne Infekt: Das die Luftröhre und tiefer liegende Abschnitte der Atemwege auskleidende Schleimhautgewebe hat eine automatische Reinigungsfunktion – mithilfe von kleinen Flimmerhärchen werden Schleim und hängengebliebene Partikel in Richtung Mundraum befördert. Kommt es entzündungbedingt zu einer vermehrten Sekretproduktion, dann sind die Atemwege bald komplett verschleimt, was den Erregern dummerweise einen perfekten Nährboden bietet. Durch das Abhusten des Schleims versucht der Körper verzweifelt und oft ohne nachhaltigen Erfolg, den schädigenden Einflüssen entgegenzuwirken und diese zu beseitigen.

Schleimhäute gibt es aber nicht nur in Nase und Hals, sondern an vielen weiteren Orten im Körper. Eigentlich überall da, wo der Körper in einen Austausch mit der Welt treten und nicht einfach eine ledern-undurchlässige Grenze ziehen will, vor allem entlang des Verdauungstrakts. Während die Hautoberfläche von einer Schicht keratinierter toter Zellen bedeckt ist, sind Schleimhäute Feuchtgebiete, die oft aus einer einzigen Lage von Epithelzellen bestehen. Der Schleim wird von dort eingebetteten sogenannten Becherzellen produziert. Verglichen mit allen Schleimhäuten ist die Oberfläche unserer «normalen» Aussenhaut verschwindend klein. Die Haut hat eine Fläche von 1,5 bis zwei Quadratmetern, bei den Schleimhäuten geht man von gegen 50 Quadratmetern aus. Manche Schätzungen in der Fachliteratur vermuten gar ein Total von mehreren hundert Quadratmetern – die Grössenordnung eines Tennisfelds.

Schleim ist unsere körpereigene Pufferzone zur Aussenwelt. Und er hat allerlei interessante Eigenschaften. Weil Schleimhäute fragil sind, hat der Schleim eine wichtige Schutzfunktion, er fängt Schmutz und Mikroorganismen ein und vermindert mechanischen Stress. Der Schleim besteht aus einer Reihe verschiedener Moleküle, entscheidend für die Konsistenz sind die sogenannten Mucine. Neben den Becherzellen steuern auch noch eine Vielzahl weiterer Zellen Zutaten zum Schleimcocktail bei. Man geht heute davon aus, dass man die Schleimschicht als ein erstes Immunorgan ansehen kann – Schleim als dynamisches System, das eng an das körpereigene Immunsystem gekoppelt ist.

Schleim: die weitverbreitete biologische Waffe

Nicht nur Menschen, auch viele Tiere, beispielsweise Fische nutzen diese immunologische Vorhut. Alle Arten von Knochenfischen hüllen ihre Aussenhaut noch zusätzlich in eine Schleimschicht, um erstens den Reibwiderstand mit dem Wasser zu reduzieren und zweitens eine erste Abwehr gegenüber Mikroben und Pilzen aufzubauen. Und drittens: Der Schleim dient darüber hinaus als Sonnenschutz – tatsächlich sind Forscher daran, aus den entsprechenden Schleimbestandteilen eine neue umweltverträgliche Klasse von Sonnencremes zu entwickeln.

Diskusfische nutzen diese etwas unklare Grenzsituation zwischen eigenem Gewebe und Aussenwelt für die Aufzucht der Jungtiere, ohne gleich in Kannibalismusverdacht zu geraten. Die Jungfische ernähren sich von der Schleimschicht auf den Körpern der Eltern, mitunter knabbern sie dabei auch die obersten Hautschichten an. Der Schleim reagiert auch hier auf die veränderten Umstände: Sobald die Jungtiere auf der Welt sind wird er mit Proteinen und Aminosäuren angereichert, entsprechend der Bedürfnisse der heranwachsenden Fische.

Fischer halten ein Stück Glibber in die Höhe, in den ein kleiner Schleimaal eingehüllt ist.NRK/ Ivar Lid Riise

Norwegische Fischer zeigen ihren glitschigen Fang: Fühlt sich ein Schleimaal bedroht, hüllt er sich in massenweise glibberigen Schleim.

Der unbestrittene King of Schleim in den Meeren ist der Schleimaal. Wird er angegriffen, sondern bis zu hundert entlang seines ganzen Körpers aufgereihte Drüsen in Sekundenschnelle grosse Mengen einer Substanz ab, die im Kontakt mit Meerwasser zu einem grossen Schleimvolumen aufquillt, das feindliche Mäuler und Kiemen zuverlässig verstopft. Forscher sind fasziniert von diesem Instant-Schleim: Er ist strukturell einzigartig, da er reissfeste, fadenförmige Fasern enthält, die tatsächlich Ähnlichkeiten mit Spinnenseide haben. Verschiedene Verwendungen dieser speziellen Schleimfasern werden derzeit intensiv erforscht: neue biologisch abbaubare Polymere, Gele als Füllmaterial und sogar Mittel, um Blutungen bei Unfallopfern und Chirurgie-Patienten zu stoppen.

Auch der Octopus kaurna ist ein Schleimer: Er baut sich dank Schleim ein Versteck. Das in den Küstengewässern Australiens beheimatete Tier hat einen Weg gefunden, temporäre Sandhöhlen im Meeresboden zu bauen, in die er sich zurückziehen kann. Das funktioniert nur dank einer stabilisierenden Schleimschicht, mit der der Oktopus sein Schlupfloch auskleidet.

Zu den interessantesten Sekreten des Tierreichs überhaupt gehört ausserdem der Schleim der gewöhnlichen Gartenschnecke: Helix aspersa produziert einen Schleim, der reich an Proteinen und Hyaluronsäuren sowie Antioxidantien ist. Diverse Kosmetikfirmen gewinnen solchen Schleim in kommerziellen Mengen und veredeln ihn zu Hautpflegemitteln. Die besondere Wirkung war übrigens schon den alten Griechen bekannt. Schneckenschleim wurde äusserlich wie innerlich angewandt, als Sirup zum Beispiel gegen hartnäckigen Husten – Schleim gegen Schleim.

Wissenschaftler interessieren sich aber auch für die besonderen physikalischen Eigenschaften des Schneckenschleims zwischen Haft- und Gleitmittel, die es Schnecken erlaubt, glatte Oberflächen hochzukriechen. Roboterschnecken könnten von den Erkenntnissen profitieren – und synthetische Schleime müssen gar nicht unbedingt auf besonders exklusiven Substanzen basieren, hat man bei Experimenten gefunden. Auch Haargel oder Erdnussbutter erwiesen sich als gute Stellvertreter.

Und andere Landlebewesen? Haben natürlich auch Verwendung für Schleim aller Arten. So sorgt extrem zäher Speichel bei Chamäleons dafür, dass es für Beute kaum ein Entrinnen gibt. Unlängst berichteten Forscher im Fachmagazin «Nature Physics», dass der besondere Zungenschleim der Tiere gegen vierhundertmal zäher ist als menschlicher Speichel – so bleiben auch Beutetiere hängen, die fast ein Drittel des Chamäleons wiegen. Rotz Blitz.

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