Das musst du wissen

  • Ein Gentechnik-Moratorium verbietet in der Schweiz seit 2005 den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen.
  • Ende 2021 läuft das Anbau-Verbot erneut aus. Am 16. Juni debattiert das Parlament über eine nochmalige Verlängerung.
  • Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass Gentech-Pflanzen eine grössere Gefahr darstellen als herkömmliche Pflanzen.
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Letztes Update: 8. Juni

Es ist eine grosse Debatte um kleine Eingriffe ins Genom: Seit gut dreissig Jahren wird in der Schweiz über die grüne Gentechnik diskutiert. In dieser Zeit hat sich in der Wissenschaft vieles verändert: Nutzen und Risiken dieser Pflanzenzucht-Methode wurden erforscht und neue, innovative Züchtungsverfahren etabliert. In der Schweizer Politik jedoch stehen die Ampeln weiterhin auf Rot: So ist davon auszugehen, dass das Parlament am 16. Juni der Verlängerung des Gentech-Moratoriums um weitere vier Jahre zustimmt. Damit wird die Debatte – und vor allem eine klare Entscheidung – ein weiteres Mal vertagt. Doch woran liegt das? Hier liefern wir eine Übersicht zur Situation in der Schweiz.

Was ist das Gentech-Moratorium?

Seit 2005 besteht das Gentech-Moratorium. Es ist ein striktes Verbot für den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Schweiz. Ausgenommen ist der Anbau zu Forschungszwecken. Rechtlich ist das Gentech-Moratorium im Gentechnikgesetz abgesichert. Mittlerweile hat das Parlament dieses Verbot dreimal verlängert – nun läuft es im Dezember 2021 wieder aus. Jedoch will der Bundesrat weiterhin alles beim Alten lassen: Das Moratorium soll um weitere vier Jahre bestehen bleiben. Das Parlament debattiert am 16. Juni darüber.

Wieso will der Bundesrat eine Verlängerung des Gentech-Moratoriums?

Der Bundesrat nennt zwei Hauptgründe, warum er das Moratorium verlängern will:

1. Ungeklärte Fragen seitens der Wissenschaft

Der Bundesrat sagt, man wisse noch zu wenig über die Gentechnik und insbesondere über die neuen gentechnischen Verfahren wie Gen-Editing. Dazu gehört etwa die Genschere CRISPR/Cas oder sogenannte Zinkfinger-Nukleasen, mit denen Gene zielgenau eingefügt oder aus- und eingeschaltet werden können. Diese Methoden sind präziser und schneller als herkömmliche Gentechnik-Verfahren, bei denen neue – artfremde oder arteigene – Gene an einer zufälligen Stelle im Erbgut eingebaut werden.

Geneditierte Pflanzen würden jedoch gemäss Bundesrat noch nicht lange genug eingesetzt, um als sicher eingeschätzt zu werden. Hingegen bestehe mit der konventionellen Mutationszüchtung, bei der mittels Chemikalien oder radioaktiver Bestrahlung Erbgutveränderungen hervorgerufen werden, eine lange und sichere Praxis.

zVg

Beat Keller.

Für den Gentechnik-Experten Beat Keller von der Universität Zürich macht dies aus wissenschaftlicher Sicht keinen Sinn. «Man weiss mittlerweile viel über die Gentechnik – wahrscheinlich mehr als über die konventionelle Mutationszüchtung», sagt der Professor für Pflanzenbiologie. So gibt es nach wie vor keine Hinweise darauf, dass gentechnisch veränderte Pflanzen eine grössere Gefahr für Umwelt, Tiere und Mensch darstellen als herkömmliche Pflanzen, wie verschiedene Studien aus der EU und der Schweiz zeigen. «Gentechnische Züchtungsverfahren weisen nicht mehr Risiken auf als die klassische Züchtung», sagt Beat Keller. Denn das Züchtungsprodukt sei dasselbe, wie wenn es durch natürliche Mutationen entstehe oder mit konventionellen Verfahren hergestellt werde. Allgemeine Risiken seien beispielsweise eine Schädigung von Nützlingen, Resistenzentwicklungen bei Schädlingen oder der Verlust von genetischer Diversität.

Die Agrarbiologin Monika Messmer, Leiterin der biologischen Pflanzenzüchtung am Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick (FiBL) teilt Kellers Ansicht nicht ganz: «Die Risikofrage lässt sich nicht pauschal beantworten, da das Risiko stets von der Kulturart, den eingefügten Genen und der Methodik abhängt», sagt sie. Bei der Anwendung von CRISPR/Cas zum Beispiel, bestehe die Gefahr von sogenannten off-target Effekten. Das sind Schnitte an der falschen Stelle im Genom, welche zu unerwünschten Mutationen führen können. Gemäss Messmer sei es daher durchaus sinnvoll, das Moratorium zu verlängern, um gentechnisch veränderte Pflanzen ausführlich zu testen.

2. Stellenwert in der nachhaltigen Landwirtschaft klären

Das Moratorium soll gemäss Bundesrat weiter dafür genutzt werden, um zu diskutieren, welchen Stellenwert gentechnisch veränderte Pflanzen in einer nachhaltigen Landwirtschaft haben können.

zVg

Monika Messmer.

Besser angepasste Pflanzensorten sind nicht zuletzt wegen des Klimawandels nötig, damit beispielsweise Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmittel sparsamer eingesetzt werden können. Hier haben die neuen gentechnischen Verfahren durchaus Potenzial, ist auch die Agrarbiologin Monika Messmer überzeugt: «Gerade mit gentechnisch veränderten Pflanzen, die resistenter gegenüber Krankheiten und Schädlingen sind, müssten weniger Pestizide eingesetzt werden.» Doch man könne sich nicht nur auf einzelne Gene fokussieren, da das Zusammenspiel von Pflanzen mit ihrer Umwelt, beispielsweise mit Mikroorganismen im Boden, äusserst komplex sei. Das Potenzial ist also vorhanden, wie gross es jedoch genau ist, ist schwierig zu sagen.

Zudem, so sagt Messmer, müsste mit entsprechenden Regelungen ausgeschlossen werden, dass gentechnisch veränderte Pflanzen in Monokulturen angebaut werden. Zu diesem Schluss kam schon vor bald zehn Jahren auch das Nationale Forschungsprogramm NFP 59 «Nutzen und Risiken der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen».

Doch wieso genau sind Monokulturen genau bei gentechnisch veränderten Pflanzen ein Problem? Laut Beat Keller besitzen Agromultis zum Beispiel Patente für gentechnisch veränderte Sojasorten, die meist gegenüber dem Herbizid Glyphosat resistent sind. Diese Soja wird deshalb jedes Jahr auf demselben Feld in Monokulturen angebaut und mit Herbiziden behandelt – grösstenteils in Brasilien und Argentinien. Dies schädige nicht nur die Umwelt, sondern auch Kleinbauern, welche vom Saatgut-Markt abhängig sind, sagt Keller. Dafür sei aber «schlechte agronomische Praxis» und eine falsche Anwendung der Gentechnik verantwortlich – nicht die Technologie an sich. Denn Glyphosat-Resistenz könnte auch mit der konventionellen Züchtung hergestellt werden.

Auch Monika Messmer sieht in solchen Anbaukonzepten mit herbizidresistenten Pflanzen keine Zukunft für die Schweizer Landwirtschaft. Und auch sie sieht das Hauptrisiko der Gentechnik in der schlechten agronomischen Anwendung. Als Beispiel nennt sie den Gentech-Mais, der gegen den Maiswurzelbohrer resistent ist. Daher wird er oft in Monokulturen angebaut – wodurch der Schädling seinerseits die besten Voraussetzungen hat, schnell Resistenzen zu entwickeln. «Solche Praxen sind nur Symptombekämpfung», sagt Messmer. Wenn einzelne Gene global genutzt werden, um die Pflanzen resistent gegen Schädlinge zu machen, bräuchte es laut Messmer ein sorgfältiges Management der Gene. Denn die Schädlinge und Krankheitserreger überwinden die grossflächig eingesetzte Resistenz der Pflanze schneller als sonst üblich. Nachhaltigere Konzepte jedoch würden bis heute fehlen, so die Forscherin.

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Schadet das Moratorium der Forschung in der Schweiz?

Laut dem Bericht des Bundesrats zur Änderung des Gentechnik-Gesetzes, schadet das Verbot dem Forschungsplatz Schweiz nicht: Denn die Forschung sei vom Verbot ausgeschlossen. So wird beispielsweise seit 2014 auf einem Freilandfeld der Agroscope in Zürich Reckenholz Grundlagenforschung betrieben. Allerdings ist angewandte Forschung, wie die Entwicklung neuer Gentech-Sorten, für Forschende nicht attraktiv. Das Moratorium bremse die Innovation, ist Beat Keller überzeugt. Denn um in der Forschung Sorten zu generieren, die auch für die Praxis geeignet sind, müsste die Entwicklung Hand in Hand mit der Züchtung gehen. Doch das Moratorium verunmöglicht das. Gerade für Start-Ups sähe Keller im Gen-Editing grosse Chancen: «Ohne das Moratorium könnte sich eine Schweizer Szene entwickeln, welche mit kleinerem Aufwand vielversprechende Produkte auf den Markt bringen könnte». Eine Investition für eine Region mit einem Moratorium hingegen wäre wirtschaftlicher Selbstmord.

Gibt es aktuell überhaupt Gentech-Sorten, die für die Schweiz interessant wären?

Für den Anbau in der Schweiz wären momentan nur zwei Krankheits-Resistenzen interessant: Äpfel, welche gegen Feuerbrand resistent sind, und Kartoffeln, welche verschiedenen Fäulniserkrankungen standhalten. Mit solchen Sorten könnten Pflanzenschutzmittel, welche wegen dieser Krankheiten verspritzt werden, drastisch reduziert werden. Doch diese Sorten würden gemäss der Einschätzung von Beat Keller mit dem geltenden Gentechnikgesetz niemand anbauen wollen. Dies sieht auch der Schweizer Bauernverband so, denn seit Jahren wiederholt er, dass die Schweizer Bevölkerung keine Gentechnik wolle, weil sie gentechnisch veränderte Pflanzen und Lebensmittel als Gefahr für Mensch und Umwelt sehe. Dies bestätigt eine Umfrage aus dem Jahr 2019: 36 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer schätzten die Gentechnik zur Herstellung von Lebensmitteln als sehr gefährlich, vierzig Prozent als eher gefährlich ein.

Äpfel und Kartoffeln in Papiertütenpixabay/Darcy Rogers

Auch für Bio-Betriebe sind gentechnisch veränderte Sorten keine Option. Der Grund dafür ist: In der Bio-Verordnung sind solche Sorten gesetzlich verboten. Doch: wieso ist die Gentechnik prinzipiell beim Biolandbau ausgenommen? Dazu sagt Messmer: «Gentechnische Verfahren greifen auf der Zellebene ein, weshalb diese Methoden aus Vorsorge- und ethischen Prinzipien von der Bio-Suisse-Regelung ausgenommen sind.». Mit einer Kombination von sogenannt systembasiertem Landbau und der Qualitätsstrategie von Bio-Sorten sieht Messmer bessere Chancen als mit neuen Techniken.

Für andere Exponenten aus der Biolandwirtschaft ist Bio und Gentech hingegen kein Widerspruch. So dachte Urs Niggli, der ehemalige Direktor des Forschungsinstituts für Biologischen Landbau – dem Arbeitgeber von Monika Messmer – in den letzten Jahren laut über eine Vereinbarkeit dieser beiden Welten nach. Was ihm allerdings von Bio-Kreisen auch angekreidet wurde.

Wie ist die Lage in unseren Nachbarländern?

In der Europäischen Union sind insgesamt über siebzig gentechnisch veränderte Lebensmittel zugelassen. Die EU verfügt seit 2003 über Koexistenz-Richtlinien, also Vorschriften, die ein Nebeneinander von konventioneller Landwirtschaft und Landwirtschaft, die auf genetisch veränderte Sorten setzen, regeln. Jedoch erlaubt das Europäische Recht den Mitgliedstaaten, nationale Verbote für den Anbau einer europäisch zugelassenen Gentech-Sorte zu erlassen.

So zum Beispiel bei der mit der klassischen Gentechnik hergestellten Maissorte MON810, auch Bt-Mais genannt. Von 27 EU-Ländern haben 17 von der sogenannten Ausstiegklausel Gebrauch gemacht, das heisst: In nur zehn Ländern ist der Bt-Mais erlaubt. Nur in wenigen Ländern – wie Spanien und Portugal – findet der Anbau aber auch tatsächlich statt. Diese Mais-Sorte ist also nicht besonders begehrt und mittlerweile auch schon wieder veraltet.

Grundsätzlich unterliegen auch geneditierte Pflanzen in der EU derselben gesetzlichen Regelung wie Pflanzen, welche mittels klassischer Gentechnik hergestellt sind. Dies hat der Europäische Gerichtshof 2018 entschieden. Daraufhin beauftragte der EU-Rat seine Kommission mit einer Studie, mit der sie bis im diesjährigen April die neuen Techniken unter die Lupe nehmen sollten. Diese kam zum Schluss, dass die jetzige EU-Gesetzgebung nicht die richtige ist, um geneditierte Pflanzen zu regulieren. Damit geht die Diskussion in der EU in die nächste Runde.

Was passiert, wenn das Moratorium in der Schweiz nicht verlängert wird?

«Würde das Moratorium auslaufen, könnte man trotz des bestehenden, strengen Gentechnikgesetzes die zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen anbauen», sagt Beat Keller. Seiner Meinung nach würde dies aber höchstwahrscheinlich niemand tun. Denn die Erfahrung zum Beispiel in Deutschland hat gezeigt, dass Bauern, die gentechnisch veränderten Mais anbauten, mit der Zerstörung ihrer Felder durch Aktivisten zu rechnen haben. Vielen war dieses Risiko zu hoch und haben sich wieder von den gentechnisch veränderten Sorten abgewandt.

Weil der Anbau von Gentech-Pflanzen in der Schweiz ohne Moratorium prinzipiell möglich wäre, muss der Bundesrat bei einer Nichtverlängerung des Moratoriums die Wahl zwischen Lebensmitteln mit und ohne Gentechnik gewährleisten. Ein solches Gesetz für ein geregeltes Nebeneinander vom Gentech-Anbau und bestehenden Anbau-Konzepten der Schweizer Landwirtschaft fehlt jedoch bis heute. Damit scheint die Schweiz punkto Gentech-Regelung blockiert. «Die Politik hat sich mit der Situation arrangiert und sich dem Marketing-Argument der gentech-freien Produkte verschrieben», sagt Keller. Die Wissenschaft sei dabei ein schwacher Player. Denn: Eine Landwirtschaft, welche von staatlicher Unterstützung lebt, müsse gar nicht kompetitiver werden. Alle scheinen sich mit der Situation also irgendwie abgefunden zu haben. Aber: Die Verlängerung des Moratoriums ist gemäss dem Bundesrat nicht unendlich möglich, sondern nur so lange, als dies ausreichend begründet ist.

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