Foodwaste gibt es nicht nur in der Landwirtschaft, im Detailhandel oder zu Hause am Küchentisch, sondern auch bei der industriellen Fischerei. Von den jährlich 80 Millionen Tonnen Fisch aus den Meeren gelten gemäss der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) rund sieben Millionen Tonnen als sogenannter unerwünschter Beifang. Also ganze acht Prozent der Fische, die aus dem Meer gezogen werden.

Unerwünschter Beifang kann nicht verwertet werden, da er sich nicht zum Verzehr eignet, die Verarbeitung zu aufwändig wäre oder, weil es sich um Jungtiere handelt, deren Verkauf verboten ist. Solche Fische werden wieder zurück ins Meer geworfen. Meist überleben das die Tiere jedoch nicht. Zum unerwünschten Beifang zählen auch Meeressäuger wie Wale, Delphine oder Dugongs, sowie Meeresschildkröten und Vögel wie Albatrosse. Sie verheddern sich in den Netzen oder bleiben an Haken hängen und verenden.

Wikimedia Commons/Julien Willem

Die putzigen Dugongs, auch Seeschweine genannt, verheddern sich manchmal in Fangnetzen. Hier ein Tier im Roten Meer vor Ägypten.

Dass es überhaupt Beifang gibt, liege in der Natur der Sache, sagt die Ökologin Rebecca Lewison vom Coastal and Marine Institute der San Diego State University. «Jedes Mal wenn wir grossflächig Netze oder Haken ins Meer halten, werden wir sehr wahrscheinlich auch Arten erwischen, auf die wir es gar nicht abgesehen haben.»

Eines der am häufigsten verwendeten Netze ist das Schleppnetz. Im Wesentlichen besteht es aus einem grossen Sack, der von einem oder zwei Booten durch das Meer gezogen wird. Dabei kann das Netz mittels Gewichten auf verschiedenen Tiefen gehalten werden. Diese Methode ist sehr effizient und kann bei vielen frei im Wasser schwimmenden Fischen eingesetzt werden. Die Schwärme werden mittels Echolot geortet.

Das Problem ist, dass das Netz alles einfängt, was seinen Weg kreuzt. Dementsprechend sind auch die Beifänge sehr hoch. Insbesondere bei der Garnelenfischerei: Gemäss FAO kann hier der unerwünschte Beifang bis zu 14 Mal höher liegen als das, was am Ende behalten wird. Das heisst, für jedes Kilogramm Garnelen werden bis zu 14 Kilo Fisch und andere Meerestierarten entsorgt. Allein auf die Garnelenfischerei geht so weltweit die Hälfte der unerwünschten Beifänge zurück.

Umstrittener Unterwasser-Zaun

Noch problematischer ist das Treibnetz. Dieses wird wie eine Art Gartenzaun unter dem Wasser aufgebaut. Dabei hängt es an Bojen und treibt im Wasser, bis es wieder eingeholt wird. Die Fische verfangen sich mit ihren Kiemen in den feinen Maschen und sterben. Auch bei dieser Methode gibt es sehr viel Beifang. Delfine, Wale, Haie, Schildkröten und Seevögel verheddern sich. Zudem kann es leicht passieren, dass ein Treibnetz auf dem Meer vergessen wird. Es treibt dann als sogenanntes Geisternetz jahrelang als tödliche Falle auf dem Meer.

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Eigentlich wurde hier nach Garnelen gefischt. Stattdessen finden sich auch massenweise Fische und andere Meerestiere im Netz – nutzloser Beifang.

Traurige Berühmtheit erlangte die Langleine. Sie besteht aus einem bis zu hundert Kilometer langem Seil, an dem in regelmässigen Abständen kürzere Angelschnüre mit Ködern angebracht sind. Diese Methode eignet sich vor allem für grosse Arten wie Schwertfisch oder Thunfisch. Nachdem die Fische angebissen haben, bleiben sie unter Umständen ein bis zwei Tage am Haken, bis sie endlich ins Boot geholt werden. Ein grosses Problem ist auch, dass Seevögel, Haie, Meeresschildkröten oder Delfine anbeissen und so einen qualvollen Tod sterben.

Beifang-Hotspots

Mit der Menge des Beifangs auf den Weltmeeren befasst sich Ökologin Rebecca Lewison seit Jahren. Sie sagt, es sei kaum möglich zu sagen, welche Methoden mehr Beifang produzieren und welche weniger. «Alles, was aus einem Netz besteht, hat typischerweise eine höhere Beifangquote», so Lewison. «Aber auch die Fischerei mittels Haken kann einen grossen Einfluss haben. Das Problem ist, dass die Beifänge sehr variabel sind.»

Das zeigen auch die Ergebnisse ihrer Studie, in der die Forscherin vor einigen Jahren die globalen Beifang-Daten analysiert hat. Demnach gibt es Regionen wie etwa der Nordatlantik oder die Gewässer um Neuseeland und Australien, wo eher wenige Meeressäuger, Schildkröten, Haie und Vögel in den Netzen und an den Haken hängen bleiben. Regelrechte «Beifang-Hotspots» stellen dagegen die Küstengewässer um Südamerika dar und auch das Mittelmeer.

Die Beifangmenge hänge von einer Kombination von Fischfang-Intensität und den Tierbeständen ab, sagt Lewison. Im Mittelmeer verenden beispielsweise sehr viele Meeresschildkröten, weil die Tiere dort in grosser Zahl vorkommen und gleichzeitig auch die Fischerei sehr intensiv ist. Im Ostpazifik sind es hingegen vor allem die Meeressäuger, die sich in den Netzen verheddern und im Südwest-Atlantik die Seevögel, die an den Haken der Langleinen hängen bleiben.

Beifänge besser verhindern

Das Problem mit dem Beifang wollen Forschende lösen helfen und entwickeln darum schon seit langem Netze und Haken so weiter, dass es weniger Beifang gibt. Zudem gebe es inzwischen Anreize aus der Politik, etwa das Verbot von Rückwürfen ins Meer, sagt Christopher Zimmermann, Leiter des Instituts für Ostseefischerei in Rostock. Diese Anreize sollen die Fischerei dazu bringen, Lösungen zu suchen – beispielsweise selektivere Fanggeräte zu entwickeln und zu verwenden, oder Fangplätze zu nutzen, an denen weniger unerwünschte Beifänge auftreten. «Für die Beifänge von Säugern, Vögeln und Reptilien gibt es eine Vielzahl spezifischer, manchmal verblüffend einfacher Lösungen», sagt Zimmermann.

Einige davon sind bereits umgesetzt. So besitzen moderne Schleppnetze Notausstiege für Beifang-Arten. Das können beispielsweise runde Fenster im Netz sein, durch die zu kleine Fische entkommen können. Umgekehrt gibt es für Schildkröten oder Haie eine Art Eingangssperre am Anfang des Netzes. Ebenso werden Langleinen verbessert. Es gibt beispielsweise spezielle Haken mit einer runden Form, von denen sich eine Schildkröte beim Einholen der Leine leichter lösen lässt. Und Seevögel werden mit Lärmanlagen von den todbringenden Haken ferngehalten.

Umstrittene Nachhaltigkeits-Labels

In der Schweiz sind rund zehn verschiedene Fisch-Labels in Gebrauch. Sie sollen dem Konsumenten zu unterscheiden helfen, was nachhaltig gefangener Fisch ist und was nicht. Doch die Fisch-Labels stehen immer wieder in der Kritik. Derzeit vor allem das blaue Siegel des Marine Stewardship Councils MSC. Denn das Label wird von der Organisation auch dann vergeben, wenn ein Bestand bereits überfischt ist. Ebenso werden Fischereien zertifiziert, welche die problematischen Grundschleppnetze verwenden oder bis zu 50 Prozent unerwünschte Beifänge mit bedrohten Arten aufweisen. Der WWF und andere Umweltorganisationen fordern darum, dass MSC seine Richtlinien überarbeitet.

Generell gebe es bei verschiedenen Fisch-Labels Nachholbedarf, sagt Eva Hirsiger, Projektleiterin «Standards & Labels» bei der Organisation Praktischer Umweltschutz Schweiz (Pusch). «Die Einhaltung sozialer Kriterien wie beispielsweise minimale Arbeitsstandards oder ein Verbot von Kinderarbeit wird nicht überall gefordert», sagt Hirsiger. Ausserdem: «Um das Problem der Überfischung langfristig in den Griff zu bekommen, reichen Labels nicht aus.» Dazu brauche es auch für nicht zertifizierte Fischereien strenge Fang- und Beifangquoten, die auch durchgesetzt werden.

 

Diese Massnahmen zeigen Wirkung. So hat Lewison in einer Studie zeigen können, dass in Australien seit der Einführung von solchen Massnahmen 90 Prozent weniger Schildkröten in den Schleppnetzen landen. Ebenso liess sich in Hawaii, Alaska und dem Südpolarmeer die Zahl der getöteten Albatrosse und Sturmvögel reduzieren.

Doch nicht überall sinken die Beifänge, stellt Lewison fest. «Beifang bleibt eine grosse Bedrohung, weil viele Nationen und regionale Fischerei-Behörden keine Massnahmen treffen oder sie nicht durchsetzen, kritisiert sie. «Es gibt viele gute Lösungen, doch leider nur wenig effiziente Umsetzung.»

 

Serie

Massloser Fischfang

Warum uns die Fische ausgehen, liest du im 1. Teil der Serie.

Im 2. Teil erfährst du, wie die Forschung zusehends das Bild der «dummen Fische» widerlegt und so die üblichen Fang- und Tötungsmethoden infrage stellt.

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