Das musst du wissen
- Die SCNAT hat anlässlich des Swiss Global Change Days am 13. April 2021 eine Expertenrunde einberufen.
- Dabei ging es darum, wie die Erfahrungen aus der Pandemie helfen können, die Klimakrise zu bewältigen.
- Denn während bei Corona rasch politische Massnahmen ergriffen wurden, geht es beim Klima seit Jahren nur langsam voran.
Warum es dringend ist. Im Jahr 2020 hat die Welt viel unternommen, um die Pandemie zu bekämpfen. Es wurden Hygienemassnahmen eingeführt, die zum Teil restriktiv waren und bis vor Kurzem unvorstellbar schienen. Wie kann eine solche Mobilisierung auf die Klimakrise übertragen werden? Um die Erfahrungen zu vergleichen, hat die Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften SCNAT Forscher, die bei der Pandemie eine führende Rolle in der Öffentlichkeit gespielt haben, zum Austausch mit Klimawissenschaftlern eingeladen.
Die Rollenverteilung. Der Dialog zwischen Wissenschaftlern und Politikern fand hinter den Kulissen statt. Erstere wurden manchmal schlecht behandelt, denn ihre Aufgabe, wissenschaftliche Erkenntnisse zu erzeugen, unterscheidet sich grundlegend von der Aufgabe der Letzteren, die nach den Regeln der politischen Entscheidungsfindung spielen müssen. Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, erklärt zur Eröffnung der SCNAT-Veranstaltung im April 2021:
«Ich möchte einen fruchtbaren Dialog mit der Wissenschaft führen. Wir Politiker sind uns bewusst, dass unsere Rolle eine andere ist als Ihre: Sie sind auf der Suche nach der Wahrheit oder den Wahrheiten, während ich nach der Zustimmung des Parlaments suche. Das bedeutet nicht, dass die politische Welt auf die wissenschaftliche Welt herabschaut, sondern nur, dass wir unterschiedliche Funktionen haben.»
David Bresch, Professor für Umweltsysteme an der ETH Zürich, räumt ein:
«Forscher können den Umfang ihres Untersuchungsobjekts definieren. Politiker können das nicht. Sie müssen alle Aspekte eines Problems berücksichtigen. Meiner Erfahrung nach können wir von diesem Austausch zwischen den zwei Welten viel lernen. Aber das Risiko ist, dass wir in der Arena landen.»
Die Spannungen. Es handelt sich in der Tat um eine politisch-mediale Arena, in der die Wissenschaft zwischen divergierende Interessen geraten kann. Das hat die aktuelle Krise mehrfach gezeigt. «Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik ist durch die Pandemie erschüttert worden», sagt Marcel Salathé, Professor für digitale Epidemiologie an der EPFL und ehemaliges Mitglied der wissenschaftlichen Task Force Covid-19. Er bezieht sich auf die Debatten zum Maulkorb, den die Forscher der Task Force während der Pandemie erhielten, und führt aus:
«Wir sollten nicht zwischen Beratung und Kommunikation wählen müssen. Ich stimme dem Argument nicht zu, dass dies eine ‹Kakophonie› verursachen würde, die die Öffentlichkeit beunruhigen würde. Stimmenvielfalt ist in der Wissenschaft üblich, vor allem, wenn man sich an den Grenzen des neuen Wissens bewegt.»
«Die Kakophonie der einen wird die Melodie der anderen sein», bekräftigt David Bresch. Für Marcel Salathé ist es völlig unverhältnismässig, von den Wissenschaftlern in der Task Force zu verlangen, dass sie ihre Ratschläge exklusiv der Politik vorbehalten.
«Wenn sich Berater in der Task Force freiwillig engagieren, wird ihr Einsatz durch ein gewisses ‹Prestige› dieses Gremiums ausgeglichen. Aber obendrein Exklusivität zu verlangen, ist nicht vertretbar. Der Steuerzahler, der mit seinen Steuern die Forschung finanziert, hat das Recht, die Meinung der Wissenschaftler zu erfahren.»
Wie sieht es mit dem Verhältnis zwischen Bundesämtern und Wissenschaftlern aus? Für Thomas Stocker, Professor für Klimawissenschaften an der Universität Bern und ehemaliger Co-Vorsitzender des Weltklimarats IPCC von 2008 bis 2015, gibt es Raum für Verbesserungen.
«Man hat den Eindruck, dass die Bundesämter die Antworten der Wissenschaftler nicht immer einholen. Sie sollten ihnen jedoch öfter zeigen, dass sie nützlich sind.»
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In Anlehnung an die Debatten über die Redefreiheit von Task-Force-Mitgliedern, erzählt er eine Anekdote aus dem IPCC:
«Vor Veröffentlichung eines IPCC-Syntheseberichts, hat eine Regierung versucht, die Publikation einer Seite mit mehreren Grafiken zu verhindern. Diese zeigten eindeutig die Auswirkung der fossilen Brennstoffe auf den Klimawandel. Glücklicherweise haben wir es trotzdem geschafft, sie zu veröffentlichen.»
Komplexität kommunizieren. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der Pandemie und der Klimakrise ist ihre Komplexität und die Bedeutung von Unsicherheiten. Die Präsentation des nächsten IPCC-Berichts wurde angepasst, um sie besser darzustellen. Tanja Stadler, Professorin für Bioinformatik an der ETH Zürich und Mitglied der wissenschaftlichen Task Force von Covid-19, erklärt:
«Es ist wichtig, dass die Task Force einen direkten Dialog mit der Öffentlichkeit führen kann. Es ist auch wichtig, die Unsicherheit von Indikatoren zu kommunizieren, beispielsweise die Reproduktionszahl Re.
Für uns Wissenschaftler war die grösste Veränderung, dass aus vorläufigen Ergebnissen etablierte Fakten wurden. In gewisser Weise sind wir ins kalte Wasser geworfen worden.»
Renate Schubert, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der ETH Zürich, arbeitet an interdisziplinären Themen wie dem Klima. Sie stimmt zu:
«Solange nicht akzeptiert wird, dass die Ratschläge von Wissenschaftlern auch einen Teil Unsicherheit einschliessen, kann es kein Vertrauen geben. Ansonsten könnte man leicht sagen: Die Forschenden sind schuld, da sie sich nicht einigen können. Es ist eine echte Herausforderung, die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren.»
Das bisherige Scheitern und absehbare Turbulenzen. «Wir waren nicht so erfolgreich wie die Task Force im Umgang mit der Pandemie. Das zeigen die Rekordwerte von CO₂ in der Atmosphäre», räumt Thomas Stocker ein. Eine Ursache sei auch das Eindringen bestimmter Industrielobbys in die öffentliche Diskussion. Diese haben seit den ersten Arbeiten zum Thema im Jahr 1978 viel dazu beigetragen, das Klima zu diskreditieren.
David Bresch:
«Wir haben 20 Jahre vergeudet. Das hängt mit der Komplexität der Welt und auch mit kurzfristigem Denken zusammen. Die Klima- und Biodiversitätskrise sind Probleme, denen sich die Menschheit noch nie stellen musste. Vielleicht tun wir nicht genug, weil wir nicht genügend spüren, dass die Dinge falsch laufen?»
Die neue Situation. «Das Vertrauen in die Wissenschaft hat sich während der Pandemie verbessert, aber ich denke, die turbulentesten Zeiten stehen uns in den nächsten zwei bis drei Jahren noch bevor», befürchtet Salathé. Die Gefahr ist, dass die neue Dynamik sozialer Medien instrumentalisiert wird, um das Vertrauen zu untergraben.»
Trotzdem gibt es auch gute Nachrichten: Das Engagement junger Menschen in der Klimabewegung ist eine davon, so Thomas Stocker.
«Niemand hatte vorhergesehen, dass die Jugend-Klimabewegungen einen so prominenten Platz im Prozess der Klimagovernance einnehmen würden.»
Die Erfahrungen der nationalen wissenschaftlichen Task Forces werden für die Schnittstelle zwischen Klimaforschung und Umsetzung in politisches Handeln zweifelsohne nützlich sein. Wird dies ausreichen? Das CO₂-Gesetz kommt im Juni vors Volk, aber es wird nicht ausreichen, um das ganze Ausmass der Klima-Herausforderung zu bewältigen. Vielleicht auf die gleiche Weise, wie einige Regierungen anfangs versucht waren, den Weg der Abschwächung der Epidemie zu gehen, «mit ihr zu leben», anstatt eine effektivere, aber teurere Strategie zu verfolgen. Das Gleiche gilt für die Netto-Null- Strategie.
Heidi.news
