Das musst du wissen

  • Der Energieverbrauch am Tag macht uns so müde, dass wir abends einschlafen. Anders ist dies bei Narkose und Koma.
  • Träumen können wir nicht nur während wir schlafen, sondern auch während der Anästhesie – ein Zeichen für Bewusstsein.
  • Koma ist dagegen der Inbegriff von Bewusstlosigkeit. Doch andere Körperfunktionen können trotzdem weiter funktionieren.
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«When we all fall asleep, where do we go?» fragt sich die Sängerin Billie Eilish in einem Lied. Eine gute Frage, denn wenn wir schlafen, sind wir nicht wach – wir sind eben «weggetreten» für acht Stunden, befinden uns in einer hoffentlich schönen Traumwelt. Doch unser Bewusstsein, wie wir es im Wachzustand haben, ist nicht da: Schlafen ist ein anderer Bewusstseinszustand. Doch ist es der gleiche Bewusstseinszustand, wie wenn wir im Koma liegen oder wegen einer Operation eine Narkose erhalten? Denn auch da ist vom «Schlafen» die Rede. Der Vergleich liegt nahe, denn es fühlt sich vielleicht ähnlich an. Doch es gibt grosse Unterschiede: Die Auslöser, Prozesse und Auswirkungen in Hirn und Körper sind bei Schlaf, Koma und Narkose jeweils sehr anders.

1. Einschlafen

Was passiert überhaupt, wenn wir einschlafen? Christine Blume, Schlafforscherin am Zentrum für Chronobiologie an der Universität Basel, erklärt, dass der Schlaf den «inneren Akku» wieder aufladen soll. Der Schlafdruck, den wir als Müdigkeit wahrnehmen, entsteht unter anderem durch die Freisetzung von Adenosin. Dieser Stoff bleibt als Abbauprodukt einiger chemischer Verbindungen übrig, wenn wir Energie verbrauchen – und er lagert sich im zentralen Nervensystem ab. Dort bindet er an entsprechende Rezeptoren, blockiert allerdings auch die Ausschüttung von belebenden Botenstoffen wie Dopamin. Deshalb werden wir immer müder, je mehr Energie wir verbraucht haben – bis der Schlafdruck so gross wird, dass wir einschlafen.

«Wenn die Müdigkeit aber nur über Adenosin gesteuert werden würde, wären wir nicht flexibel: Wir könnten nach einer durchgemachten Nacht nicht mehr so schnell zu unserem ursprünglichen Schlafrhythmus zurückkehren, keinen Jetlag überstehen und die Uhrumstellung noch schlechter verkraften», sagt Blume. Glücklicherweise wird unsere Müdigkeit durch einen weiteren Prozess reguliert, der hauptsächlich vom Tageslicht beeinflusst wird. Die sogenannten fotosensitiven Ganglienzellen auf der Netzhaut unserer Augen leiten Informationen über den Anteil an kurzwelligem, «blauen» Licht in unserer Umgebung ans Gehirn weiter – und somit also auch die Information, wie spät es ist. Wenn es nicht dunkel ist, wird dadurch die Ausschüttung des Dunkelhormons Melatonin unterdrückt – und unserer inneren Uhr wird vorgegaukelt, es sei noch gar nicht Zeit, zu schlafen.

Wie viel haben diese beiden ausgleichenden Prozesse des natürlichen Schlafs mit dem «Einschlafen» bei einer Narkose zu tun? «Gar nichts», sagt der Anästhesist Luzius Steiner. «Eigentlich ist das physiologisch ein völlig falscher Begriff.» Denn die meisten narkotisierenden Mittel wie Benzodiazepine, Barbiturate und Propofol blockieren nicht die Ausschüttung von Hormonen, sondern binden an die für Entspannung verantwortlichen GABA-Rezeptoren im Gehirn. «Trotzdem hat sich der harmlose und trivialisierende Begriff des Einschlafens eingebürgert, da die Angst vor Anästhesie mindestens genauso gross ist wie vor Operationen», erzählt der Anästhesist und beruhigt: Auch wenn die Prozesse im Gehirn unterschiedlich sind, fühlt sich das «Einschlafen» für die Person, die es erlebt, sowohl beim Schlaf als auch bei der Narkose sehr ähnlich an.

Eine Frau bekommt in einem Operationssaal eine Narkose über eine AtemmaskeShutterstock/Olena Yakobchuk

Narkosegase sind nur eine der unterschiedlichen Arten, eine Narkose zu induzieren.

Das Koma funktioniert nochmal ganz anders – die Gründe dafür sind nie harmlos. In den meisten Fällen kommt das Gehirn zu Schaden: Es erhält zu wenig oder zu viel Blutzucker, wird durch Alkohol vergiftet oder durch einen Unfall erschüttert, von einem Tumor befallen oder fällt wegen eines Schlaganfalls plötzlich aus. «Egal was der Auslöser ist: Damit wir das Bewusstsein verlieren, müssen entweder der Hirnstamm oder beide Hirnhälften beschädigt sein», erklärt Steiner. «Deshalb sind Menschen bei Schlaganfällen anfangs noch bei Bewusstsein: Weil zunächst oft nur eine Hirnhälfte betroffen ist, kann man entweder nicht mehr reden oder versteht keine Gespräche mehr. Erst wenn die beschädigte Hirnhälfte so sehr anschwillt, dass die andere auch ausfällt, verliert man das Bewusstsein.»

2. Bewusstsein

Doch was heisst das überhaupt – das Bewusstsein verlieren? Der Anästhesist Steiner spricht von einem «schwarzen Loch», also einem Aussetzen der Wahrnehmung. Doch dazu muss man wissen, dass Bewusstseinsstörung ein Spektrum ist. An deren Spitze steht das Koma, bei dem Betroffene gar nicht mehr aufgeweckt werden können. In der Medizin wird dieses Spektrum mit der Glasgow-Koma-Skala gemessen. Damit wird überprüft, ob noch Reflexe da sind, ob jemand die Augen öffnen und sprechen kann. «Wenn jemand nicht ansprechbar ist, ist die Person allerdings nicht zwingend bewusstlos», sagt Steiner. Er verweist zum Beispiel auf das sogenannte Locked-in-Syndrom, bei dem Betroffene zwar bei Bewusstsein sind, aber nicht mehr nach aussen kommunizieren können.

In der Regel kann man allerdings sagen: Koma ist die absolute Bewusstlosigkeit. Bei Schlaf und Anästhesie hingegen behält man das Bewusstsein. «Solange wir träumen, sind wir bei Bewusstsein. Nur wenn die Anästhesie extrem hoch dosiert werden würde, könnte sie zu Bewusstlosigkeit führen», sagt Steiner. Wir träumen nämlich nicht nur, wenn wir schlafen, sondern auch während einer Anästhesie. Laut einer Studie träumen rund zwanzig Prozent der narkotisierten Personen. «Einige wenige kriegen auch mit, was während der Operation geredet wird», so Steiner. «Die meisten Menschen, die wir behandeln, spüren aber selbst dann keine Schmerzen, wenn sie träumen oder mitbekommen, dass die Operation im Gange ist. Die Anästhesie ist schliesslich nicht nur hypnotisierend, also schlaffördernd, sondern auch analgetisch, also schmerzunterdrückend.»

Science-Check ✓

Studie: Dreaming during anesthesia and anesthetic depth in elective surgery patients: a prospective cohort studyKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie basiert auf einer Befragung nach einer Operation. Träumen und das Erinnerungsvermögen an die Träume sind sehr subjektiv und deshalb sind Eigenangaben nicht sonderlich aussagekräftig. Ein Elektroenzephalografie (EEG), also eine Messung der Hirnaktivität wäre eine zuverlässigere Variante gewesen, um zu messen, wie viele Testpersonen wirklich träumen: Allerdings wird die Hirnaktivität durch die Anästhesie gedämpft, weshalb sich ein EEG auch nur bedingt geeignet hätte.Mehr Infos zu dieser Studie...

Aber ist Anästhesie denn so anders wie Schlaf, wenn wir sogar träumen können? Der grosse Unterschied ist, dass sich Schlaf durch eine wechselnde Abfolge von REM-Schlaf und Nicht-REM-Schlaf auszeichnet – die sogenannte Schlafarchitektur. REM steht für Rapid Eye Movement, in dieser Phase bewegen sich unsere Augen schnell und wir träumen intensiver. Während einer Anästhesie gibt es allerdings keine REM-Phase. «Für den Erholungseffekt von Schlaf braucht es aber genau diesen Wechsel zwischen beiden Schlafphasen», erklärt Steiner. «Um die Anästhesie zu kompensieren, kann es in den Nächten nach der Operation deshalb auch den sogenannten REM-Rebound geben, wo wir besonders häufig und sehr farbig träumen.»

3. Körperfunktionen

Das intensive Träumen in der REM-Schlafphase macht sich übrigens auch körperlich bemerkbar. Das zeigt sich besonders gut, wenn man sich die Gehirnaktivität von Schlafenden mittels Elektroenzephalografie (EEG) ansieht. Die Hirnaktivität wird beim Einschlafen immer langsamer, um dann in der REM-Phase wieder so weit zu beschleunigen, dass sie fast der Hirnaktivität von wachen Personen gleicht. Mit der Atemfrequenz, Puls und Blutdruck verhält es sich genau so, erklärt die Schlafforscherin Christine Blume: «Die Werte sinken ab und können dann in der REM-Phase ansteigen – deshalb wachen wir manchmal mit klopfendem Herzen aus einem Albtraum auf.» Die Muskeln erschlaffen währenddessen hingegen komplett: Damit wir nicht physisch in der realen Welt auf unsere Traumwelt reagieren.

Eine Frau hat die Augen geschlossen und liegt in einem Krankenhausbett, mit einem Netz mit Sonden auf dem Kopf.Shutterstock/Roman Zaiets

Ein EEG zeigt die Gehirnwellen an.

Das wäre übrigens auch unpraktisch, wenn wir auf einem OP-Tisch liegen und plötzlich zucken oder herumfuchteln würden. Deshalb unterdrückt die Anästhesie neben Analgesie und Hypnose auch die Reflexe und entspannt die Muskeln. Darüber hinaus unterbinden Anästhetika die Atemfrequenz und weiten die Gefässe, also sinkt der Blutdruck ab. Aber es gibt auch Unterschiede je nach Anästhetikum: Propofol senkt den Puls, Ketamin erhöht ihn. Doch in der Regel sind steigender Puls und Blutdruck Zeichen dafür, dass die Operation für den Körper schmerzhaft ist. Um erkennen zu können, wie sehr die behandelte Person bei Bewusstsein ist, wird das bereits angesprochene EEG verwendet, an dem sich die Hirnaktivität erkennen lässt – das EEG sieht bei Narkose übrigens anders aus als bei schlafenden Personen.

«Würden wir ganz viel Anästhetika verwenden, würde das EEG wohl so aussehen wie beim tiefen Koma und zu einer flachen Linie werden», sagt Steiner. Bis auf die Hirnaktivität lässt sich jedoch kaum eine generelle Aussage über Körperfunktionen während eines Komas treffen, da dies von der jeweiligen Komaursache abhängt. «Koma beschreibt lediglich, dass das Bewusstsein ausgefallen ist. Was dann noch im restlichen Körper geschieht, ist ein anderes Thema», so Steiner. So werden zum Beispiel zwar die meisten komatösen Personen beatmet. Doch manche atmen trotz kompletter Bewusstlosigkeit selber: «Die Atmung wird vom Hirnstamm aus gesteuert. Wenn dieser beim Koma intakt bleibt, ist auch die Atmung aktiv.» Generell bleiben beim Koma übrigens auch einige Reflexe erhalten, die nicht vom Gehirn gesteuert werden: Der Patellarsehnenreflex, also das Zucken beim Schlag auf das Knie, funktioniert zum Beispiel noch.

4. Aufwachen

Bestenfalls kommen zum Kniereflex noch weitere Körperfunktionen hinzu, falls man aus dem Koma aufwacht. Was auch immer nicht mehr funktioniert hat im Körper, funktioniert dann wieder. Aber: Ab wann die Erinnerung wieder einsetzt und man als betroffene Person wirklich wieder seine Umgebung wahrnimmt, ist schwer zu sagen. «Das ist nicht wie ein Schalter, zack, und man ist wach. Wer 14 Tage im Koma war, wacht nicht auf und kann sofort Schach spielen», sagt Steiner. Also mehr ein langsames Aufklaren als ein Aufwachen. Ähnlich verhält es sich bei der Anästhesie. Hier wird man wach, wenn der Körper die entsprechenden narkotisierenden Stoffe abgebaut hat. «Als Anästhesisten begleiten wir den Prozess: Wir sehen, wie die Atmung wieder ansteigt, wie Betroffene wieder schlucken und die Augen öffnen können. Dann sind sie für uns wach – aber die Erinnerung setzt erst wieder ein, wenn sie zum Beispiel den Schmerz lokalisieren können – das kann sich durchaus wie ein Schalter anfühlen.»

Eine Hand schwebt über einem altmodischen Wecker, um sein Klingeln auszuschalten.Unsplash/Maks Styazhkin

Zu oft wird der Schlaf von einem klingelnden Wecker beendet.

Als wirklich «wach» beziehungsweise «klar» gilt man nach Koma und Narkose übrigens erst, wenn man Fragen korrekt beantworten kann. Dabei ist das manchmal selbst dann nicht möglich, wenn man gerade aus einem Tiefschlaf aufgewacht ist. Auch wenn es sich dann im verschlafenen Zustand nicht so anfühlen mag: Im Unterschied zu Anästhesie und Koma hat der natürliche Schlaf einen Erholungseffekt auf unseren Körper. «Wenn wir genug Erholung haben, werden die Adenosinrezeptoren wieder frei. Zyklische Prozesse sind so gebaut, dass sie irgendwann wieder aufhören», sagt Steiner zum Schlaf-Wach-Rhythmus. Ausser natürlich, der Schlaf wird durch äussere Einflüsse unterbrochen oder beendet – zum Beispiel durch das erbarmungslose Klingeln des Weckers.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Der Schlaf ist ein natürlicher, zyklisch auftretender Erholungsprozess. Ein Koma hingegen ist nicht erholsam, der Auslöser ist nie harmlos und häufig plötzlich. Man kann daraus nicht oder erst nach einer Weile aufgeweckt werden – und wacht schlimmstenfalls gar nicht mehr auf. Die Anästhesie hingegen ist reversibel, sie endet, wenn das Operationsteam sie enden lassen will. Deshalb ist auch der Begriff «künstliches Koma» heikel, da eine Anästhesie ein kontrolliertes Abdämpfen und nicht wie beim Koma ein unkontrollierter Ausfall der Hirnfunktion ist. Trotzdem: Für die Betroffenen können sich alle drei Bewusstseinszustände ähnlich anfühlen.

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