Sind Sie heute Morgen mit dem falschen Fuss aufgestanden und deshalb jetzt schlecht gelaunt? Freuen Sie sich! Es wartet ein produktiver Tag auf Sie. Schlecht gelaunte Menschen haben oftmals die Fähigkeit, ihre Aufmerksamkeit gut zu fokussieren, ihre Zeit umsichtig zu organisieren und Aufgaben, die sie erfüllen müssen, sinnvoll zu gewichten. Herausgefunden haben das Tara McAuley, Professorin für Psychologie an der kanadischen Universität Waterloo, und ihr Kollege Martyn S. Gabel in einer Studie, die im Fachblatt Personality and Individual Differences veröffentlicht wurde, wie der Blick vor einiger Zeit schrieb. Die Wissenschaftler untersuchten die Auswirkungen der Laune von 95 Studienteilnehmenden beim Lösen täglicher Anforderungen, die einen hohen Grad an Selbstkontrolle, Lernfähigkeit und strategisch-zielgerichtetem Handeln erfordern. Sie unterschieden dabei zwei Gruppen: In der einen waren Menschen mit einer hohen emotionalen Reaktivität. Diese beschreibt die Empfindlichkeit, Intensität und Dauer von Gefühlsreaktionen. Personen mit einer hohen emotionalen Reaktivität reagieren emotional schnell, intensiv und andauernd auf Ereignisse von aussen.

Beim Test schnitten sie besser ab als jene mit einer geringen emotionalen Reaktivität. «Die emotionale Reaktivität unterscheidet sich von Person zu Person. Das beginnt schon in sehr frühen Jahren und hat Auswirkungen auf die mentale Gesundheit in der späteren Entwicklung», so Tara McAuley. Das könnte bedeuten, dass Menschen mit einer hohen emotionalen Reaktivität eher an negative Gefühle gewöhnt sind und deshalb von schlechter Laune weniger abgelenkt werden, wie andere Studien belegen.

Schlecht gelaunt, aber kritisch

Ein weiterer Fürsprecher für schlechte Laune ist der Psychologe Joseph Forgas von der australischen Universität New South Wales. Aus seinen kürzlich im Journal Current Directions in Psychological Science zusammengetragenen Ergebnissen zieht er den Schluss, dass Schlechtgelaunte kritischer denken und nicht jeden Unsinn glauben, den sie lesen oder hören, wie der Tages-Anzeiger schrieb. Gutgelaunte Menschen lassen sich eher einlullen oder blenden von pompösen Dampfplaudereien. Das ist zwar normal, denn Menschen sind grundsätzlich so programmiert, dass sie erst einmal glauben, was sie hören. «Rationalität zählt nicht zu den dominanten Merkmalen menschlichen Denkens», sagt Forgas. Skepsis koste Kraft, erklärt der Psychologe. Dieser Aufwand wird in guter Stimmung instinktiv eher gemieden, denn sie legt nahe, dass doch alles super läuft.

«Schlecht Gelaunte glauben nicht jeden Unsinn»Joseph Forgas, Psychologe

Nobelpreisträger Daniel Kahneman argumentiert in eine ähnliche Richtung. Im beschwingten Zustand bleibe das Denken oberflächlich. Wenn alles gut ist, gibt es keinen Grund zu Panik oder einen Anlass, an etwas zu zweifeln. Schlechte Laune hingegen wirkt wie ein schwaches Alarmsignal: Etwas stimmt hier nicht und läuft schief. Laut Forgas versetze das das Denken und Verarbeiten von Informationen in einen anderen Modus. Statt sofort zu glauben, werde erst einmal kritisch geprüft, auf Details geachtet und nachgedacht. In den Versuchen des Wissenschaftlers hielten gut gelaunte Menschen manche sinnfreien Sätze eher für wahr. Sie betrachteten in manchen Fällen abstraktes Gekritzel für bedeutungsvoll und liessen sich leichter hinters Licht führen.

Schlecht gelaunt. aber achtsam

Gute Laune ist aber nicht nur die Antwort auf den richtigen Fuss am Morgen, sondern sie ist zu einer gesellschaftlichen Erwartung geworden. Wer nicht positiv denkt, ist ein Verlierer und wird mit Kopf-Hoch-Parolen zurück in die Reihe der Gute-Laune-Soldaten beordert. Laut dem deutschen Psychologen Thomas Prünte tut man sich jedoch mit einem Zwang zur Heiterkeit keinen Gefallen. Er sagte in einem Interview mit 20 Minuten: «(…) der Zwang zum positiven Denken erzeugt Stress und kann Ärger hervorrufen.»

«Der Zwang zum positiven Denken erzeugt Stress»Thomas Prünte, Psychologe

Für Prünte ist es hingegen viel wichtiger, konstruktiv zu denken statt zwanghaft positiv. «Differenziert zu denken heisst auch, die negativen Gedanken ernst zu nehmen, Zweifel und Ängste wohlwollend anzunehmen, mögliche Gefahren und Hindernisse zu durchdenken, um sich dann zuversichtlich ans Werk zu machen. Das ist konstruktiv.» Seiner Erfahrung nach laufen Menschen, die sich krampfhaft positiv anzutreiben versuchen, Gefahr, sich selbst zu übergehen. Das sei nur selten eine Strategie zur Bewältigung schwieriger Situationen. Manchmal sei es wichtig, es sich richtig schlecht gehen zu lassen, um den darin verborgenen Bedürfnissen auf die Spur zu kommen. Statt Probleme mit dem Positiv-Befehl abzutun, wende man sich ihnen zu. «Was ist die Botschaft schlechter Laune? Was will sie uns mitteilen? Sie könnte ein Hinweis sein, dass Soll- und Ist-Zustand nicht übereinstimmen.

Ein schlechtes Gefühl ist ein Alarmsignal, das uns mitteilt, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist.» Man habe angesichts solcher Gefühle zwei Möglichkeiten: hinwenden oder ignorieren. Wer schlechte Gefühle permanent übergehe, laufe Gefahr, in eine Erschöpfungsdepression oder Ähnliches zu fallen. Man muss jedoch auch wissen, wann Schluss sein sollte mit der Aufmerksamkeit für negative Gefühle. «Wenn man sich immer mehr zurückzieht, sich von der Aussenwelt distanziert und sich mit den eigenen Gefühlen überfordert fühlt, sollte man sich unbedingt Hilfe holen. (…) Wichtig ist es, einem geeigneten Zuhörer zu begegnen, der einen nicht mit Plattitüden belästigt, sondern in der Lage ist, auf einen einzugehen», empfiehlt Thomas Prünte.

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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