Was wäre, wenn die weltweiten Treibhausgas-Emissionen nach jahrzehntelangem stetigem Anstieg endlich zurückgehen würden?

Das hofft das Schweizer Unternehmen Climeworks: Der Weltmarktführer in der Technologie zur Gewinnung von CO₂ aus der Atmosphäre, DAC (Direct Air Capture), hat 2017 die erste industrielle Anlage in Betrieb genommen, die CO₂ aus der Umgebungsluft filtern und verwerten kann. Nun setzt die Firma einen neuen Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Am 8. September hat sie Orca eingeweiht, die weltweit grösste Anlage, die CO₂ aus der Atmosphäre filtern und dauerhaft unterirdisch speichern kann. Sie befindet sich in der Nähe des geothermischen Kraftwerks Hellisheidi in Island und kann bis zu 4000 Tonnen CO₂ pro Jahr filtern – das entspricht dem Ausstoss von etwa 600 Menschen in Europa.

Wie funktioniert das?

Das Kohlendioxid wird durch einen von Climeworks entwickelten Spezialfilter aus der Luft abgeschieden. Nach einem von der isländischen Firma Carbfix entwickelten Verfahren wird das Gas dann mit Wasser vermischt und in 800 bis 2000 Meter Tiefe in die Basaltgestein-Schichten gepumpt, wo es für Millionen von Jahren verbleiben soll.

«Die Kombination aus Druck, Feuchtigkeit und Mineralien verwandelt das CO₂ in Gestein. Alles, was wir tun, ist, den natürlichen Prozess der Mineralisierung zu beschleunigen», sagt Christoph Beuttler, Leiter der Klimapolitik bei Climeworks. Nach Angaben der Geschäftsführerin von Carbfix, Edda Aradottir, werden 95 Prozent des Kohlendioxids innerhalb von zwei Jahren in Stein umgewandelt.

Die Wahrscheinlichkeit eines plötzlichen, unkontrollierten Gasaustritts aus dem Untergrund ist gleich Null, so Beuttler. «Wenn das CO₂ einmal im Gestein ist, kann es durch nichts mehr in die Luft gelangen, nicht einmal durch ein Erdbeben oder einen Vulkanausbruch.»

So funktioniert die CO₂-Entfernung und -Speicherung.

Nur wenige geeignete Standorte auf der Erde

Die Auswahl von Island ist nicht zufällig. Das Land verfügt nicht nur über günstige geologische Bedingungen, sondern auch über eine Vorreiterrolle bei der Nutzung der geothermischen Energie. Die Nutzung erneuerbarer Energiequellen ist eine Voraussetzung für Anlagen wie Orca, die natürlich nur dann sinnvoll sind, wenn sie weniger Treibhausgase erzeugen als sie der Atmosphäre entziehen.

«Die globale Erwärmung ist ein weltweites Problem, daher spielt es keine Rolle, wo das CO₂ entfernt wird. Um Transportkosten zu vermeiden, wäre es jedoch sinnvoll, das Kohlendioxid dort zu filtern, wo es dauerhaft gespeichert wird. Und solche Orte gibt es nicht viele auf der Welt», sagt Beuttler.

Weltweit sind fünfzehn DAC-Anlagen in Betrieb, die laut einem Bericht der Internationalen Energieagentur aus dem Jahr 2020 zusammen mehr als 9000 Tonnen CO₂ pro Jahr abscheiden können. Im Jahr 2022 wird das kanadische Unternehmen Carbon Engineering voraussichtlich die grösste Anlage der Welt in den Vereinigten Staaten bauen: Sie wird eine Million Tonnen CO₂ pro Jahr verarbeiten können.

Eine «massive Aufäumaktion»

Bei seiner Gründung im Jahr 2009 verpflichtete sich Climeworks, bis 2025 ein Prozent der weltweiten Emissionen zu erfassen. Selbst wenn das Ziel nicht erreicht wird, werden Technologien mit negativen Emissionen zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen IPCC der Vereinten Nationen ist der Ansicht, dass sie unerlässlich sind, wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen wollen. Die Emissionen gehen zu langsam zurück und CO₂ muss aus der Atmosphäre entfernt werden, sagt Holly Jean Buck von der University at Buffalo, Autorin eines Buches über Climate Engineering. «Das ist die grosse Aufräumaktion, die wir in diesem Jahrhundert durchführen müssen», sagt sie gegenüber dem Guardian.

Grafik, die zeigt, wie die Globale Erwärmung auf 1,5 oder 2 Grad begrenzt werden könnte.MCC - Mercator Research institute on Global Commons and Climate Change

Neben Massnahmen zur Emissionsreduzierung muss CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, so die Prognose des Forschungsinstituts MCC.

Laut Christoph Beuttler von Climeworks könnte allein Island das gesamte CO₂ unterirdisch speichern, das zur Erreichung des internationalen Klimaziels entfernt werden müsste. «Island hat die Kapazität, 1,2 Billionen Tonnen CO₂ durch Mineralisierung zu speichern. Wir liegen weit über dem vom IPCC vorgeschlagenen Wert», sagt er.

Schweizer CO₂ in Island?

Im Rahmen ihrer «langfristigen Klimastrategie» will die Schweiz schwer vermeidbare Emissionen – zum Beispiel aus der Landwirtschaft oder bestimmten Industrieprozessen – mit CO₂-Absaug- und -Speichertechnologien ausgleichen.
Im Juli unterzeichnete Bern eine Absichtserklärung mit Island, in der sich beide Länder verpflichten, diesen Ansatz zu unterstützen. Die Schweizer Regierung hofft auch, das produzierte CO₂ nach Island zu exportieren, da in der Schweiz noch keine geeigneten Standorte für die Tiefenlagerung gefunden wurden.

US-Solar- und Windkraft zur CO₂-Abscheidung

Die von Climeworks vorgeschlagene Lösung, in die auch der US-Riese Microsoft investiert hat, ist umstritten und wirft einige Fragen auf.
Würden die DAC-Kraftwerke ausschliesslich mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben, bräuchte man die gesamte Wind- und Solarstromproduktion der USA aus dem Jahr 2018, um 100 Millionen Tonnen CO₂ zu vermeiden, was einem Viertel der weltweiten CO₂-Emissionen pro Jahr entspricht, so eine 2020 veröffentlichte Studie. Zusammen würden diese Anlagen eine Fläche benötigen, die grösser ist als Sri Lanka.

Martine Rebetez, Professorin für Klimatologie an der Universität Neuenburg, erkennt zwar die Notwendigkeit dieser Technologien an, weist aber darauf hin, dass es noch Unbekannte in Bezug auf die Sicherheit, den CO₂-Fussabdruck und die Kosten gibt. «Im Moment ist es das Billigste und Dringendste, die CO₂-Emissionen zu stoppen», sagt sie gegenüber der Nachrichten-Website watson.ch.

«Wer glaubt, dass wir die CO₂-Emissionen weiterhin langsam reduzieren und auf eine technische Lösung hoffen können, irrt», stimmt Sonia Seneviratne, Klimaforscherin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, zu.

Der Preis der Untätigkeit

Beuttler von Climeworks zweifelt nicht an der Notwendigkeit, Massnahmen zur Emissionsreduzierung zu ergreifen: «Das ist das Wichtigste, was wir tun können, um den Klimawandel zu bekämpfen.» Er fügt jedoch hinzu, dass eine Abschwächung irgendwann nicht mehr möglich oder so kostspielig sein werde, zum Beispiel in der Luftfahrt, dass es notwendig sein wird, die Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entfernen.

Derzeit kostet es etwa 600 Dollar, eine Tonne CO₂ zu filtern und zu speichern, aber in Zukunft könnte dieser Betrag auf 200 Dollar gesenkt werden, prognostiziert Beuttler: «Bäume zu pflanzen ist definitiv eine billigere Lösung. Aber man bräuchte drei Planeten Erde, um CO₂ allein durch Wälder zu beseitigen.»

Die Kosten der Untätigkeit, selbst wenn man die durch Naturkatastrophen verursachten Schäden berücksichtigt, wären in jedem Fall höher, sagt er: «Abgesehen von den Kosten sind negative Emissionstechnologien auch eine Chance. Sie werden sich zu einem der grössten Wirtschaftszweige entwickeln und viele Arbeitsplätze schaffen. In diesem Bereich hat die Schweiz, die heute zu den führenden Ländern gehört, ein grosses Interesse daran, an der Spitze zu bleiben.»

Dieser Text erschien zuerst bei swissinfo.
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