Matthias Zehnder, 4. Dezember 2018

Sie verändern die Welt nachhaltiger als jeder Politiker, trotzdem finden sie in den Medien immer weniger statt: die Wissenschaften. Viele Zeitungen haben die Wissensseite abgeschafft und fahren stattdessen eine Seite die «Leben» oder «Gesundheit» heisst mit Softnews rund um Diäten, besseren Schlaf und Yoga. Richtige Wissenschaften wie Physik, Biologie und Chemie, Sprachwissenschaft oder Archäologie haben in diesen «Brigitte-Seiten» der Tageszeitungen keinen Platz.

Deshalb hat sich Beat Glogger «higgs» ausgedacht: Eine Plattform für Informationen über Wissenschaften. Online berichtet «higgs» über Themen aus der Wissenschaft in längeren Texten und kurzen Meldungen. Die Beiträge sind in fünf Themenbereichen angeordnet: Mensch, Tech, Natur, Gesellschaft und Raum&Zeit. Zu diesen fünf Themen gibt es News, Stories, Bildergeschichten und kleine Wissensbeiträge. Die Themenbreite reicht vom Interview mit dem Ethiker über Genverbesserungen beim Menschen, die Vergiftung von Meeressäugern in Europa bis zur Begründung, warum Schlafmangel hässig macht. Die Texte sind flott geschrieben, Themen und Aufmachung sprechen neugierige Leser an, die nicht nur gerne etwas mehr wissen möchten, sondern sich auch gerne von der Natur, der Physik oder der Astronomie faszinieren lassen. Das ist bei «higgs» immer wieder spürbar: Die Macher sind nicht einfach nüchterne Faktendrescher – es sind leidenschaftliche Wissensvermittler, die mit Herzblut auch Dinge erklären, die uns in der Schule im Physik- oder Biologieunterricht sofort in Tiefschlaf haben verfallen lassen.

Die Artikel von «higgs» sind für die Benutzer gratis. «higgs» will «Wissen für alle» anbieten. Und das nicht nur auf der eigenen Plattform, sondern auch als Dienstleister für Zeitungen und Zeitschriften, indem «higgs» die Artikel wie eine Nachrichtenagentur den Zeitungen zur Verfügung stellt. Im Community-Bereich der Website schreibt Glogger: Ein grosses Problem haben wir noch: die Zeit läuft uns davon. Die finanziellen Mittel reichen noch bis Ende Jahr. Dann wird sich entscheiden, ob higgs weiterbestehen kann oder ob es wieder untergeht.

Ich habe deshalb bei Beat Glogger nachgefragt, wie es um «higgs» steht. Hier seine Antworten:

Im Community-Teil schreibt ihr, der Betrieb sei nur noch bis Ende Jahr gesichert. Ist das immer noch so?

Nein, «higgs» geht in ein zweites Jahr. Dank eines Projektbeitrags der Gebert Rüf Stiftung und einer weiteren tüchtigen Investition meiner Firma Scitec-Media machen wir ein Jahr weiter. Das gibt uns Zeit, die stabile Finanzierung aufzubauen. Ich hatte die Zeit, die dafür nötig ist völlig unterschätzt (typisch ungeduldiger Journalist).

Wir haben ein Minimalbudget beisammen, das uns das Überleben sichert und uns Zeit gibt, weiter Mittel aufzutreiben. Auch haben wir einen schönen, bezahlenden Kunden hinzugewonnen. Details kann ich noch nicht bekanntgeben. Wir haben mündliche Zusagen aber noch keine Verträge,und es laufen noch einige Gesuche. Das dauert aber alles wahnsinnig lang. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich in der Kommunikationswissenschaft langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass Wissenschaftsjournalismus nicht durch sich selbst finanzierbar ist und darum die Hochschulen einen Beitrag zur Erhaltung des unabhängigen Wissenschaftsjournalismus leisten sollen.

Was passiert, wenn die Finanzierung nicht gelingt?

Wie gesagt, wir überleben 2019. Wir glauben fest daran, dass es uns gelingt per 2020 die Finanzierung zu stabilisieren. Wir werden im 2019 auch ein Crowdfunding starten. Aber das ist natürlich sehr schwierig, wenn man nicht wie die «Republik» ein Millionen dickes Startpolster hat.

Ihr schaltet keine Werbung, bietet aber paid content an. Verkauft ihr damit nicht die redaktionelle Glaubwürdigkeit?

Nein, die redaktionelle Glaubwürdigkeit wird nicht verkauft, da wir den Paid Content ja nicht jedem bieten. Es kommen nur «unverdächtige» Absender wie Hochschulen, Akademien oder Ähnliches in Frage.

Umgekehrt müsste man fragen, ob der Tages Anzeiger und die NZZ ihre redaktionelle Glaubwürdigkeit verkaufen. Die bieten nämlich Paid Content (oder wie auch immer das in den jeweiligen Medien heisst) für Anbieter, die wir niemals akzeptieren würden (zum Beispiel Escort Services, Seitensprung-Agenturen, E-Zigaretten, Nespresso).

Wichtig ist ja auch, dass wir uns als offene Plattform verstehen. Das heisst: Wir bieten Platz für andere saubere Anbieter. Gegenwärtig ist das der Biologe Atlant Bieri mit seinem Kinderprogramm «Atlant&Arin» und die Plattform für Politikwissenschaften «De Facto». Hier wählen wir so aus, dass wir Inhalte annehmen, die wir selbst nicht produzieren können. Aber auch Eigenproduktionen gehören in diese Kategorie, indem wir deren Finanzierung unabhängig von «higgs» mittels Sponsoren sichern: «Pioniergeist» und «Wissenschaft persönlich». Mit weiteren Partnern sind wir für andere Themenkooperationen im Gespräch.

Wäre es nicht sauberer, Werbung zu verkaufen?

Ob das sauberer wäre, darüber kann man streiten. Tatsache ist, dass Werbung nur nervt. Und ich will mein Publikum nicht nerven.

Wie sehen die Zugriffszahlen aus? Ihr gebt online nur prozentuale Zahlen.

Die Zahlen geben wir wie alle neu gegründeten Online-Plattformen erst nach einem Jahr an. Wobei in unserem Fall die direkten Zugriffe auf «higgs» oder unsere Social-Kanäle gar nicht so relevant sind. Tatsache ist, dass wir Zeitungen beliefern, die insgesamt eine Leserschaft von über eine Million Personen haben und deren Online-Portale mit 2.5 Mio bestätigten UCs. Damit ist «higgs» in der Schweiz. klar der Vertreiber von Wissen mit der grössten Reichweite (wenn man das so genannte «Wissen» von 20 Minuten ignoriert).

Erfreut stellen wir zudem fest, dass wir uns mehr und mehr von Facebook emanzipieren können. Zwar generieren wir derzeit noch immer den meisten Traffic via diese Datenkrake. Aber der Anteil an Usern, die via FB unsere Geschichten lesen sinkt – bei stetig steigenden User-Zahlen.

Wie stark ist Higgs vom Publikumserfolg abhängig?

Natürlich sind wir wie jedes Medium vom Publikum abhängig. Da stellen wir fest, dass wir jetzt schon eine treue Community haben. Die Abos auf FB steigen stetig, «Nau» haben wir längst überholt. «Infosperber» zu schnappen, ist zwar noch ein Stück, aber unser nächstes Ziel. Wir orientieren uns im Feld immer an dem, der vor uns liegt.

Was uns sehr freut, unser Publikum ist sehr aktiv. Unsere Beiträge werden immer öfter kommentiert. Das heisst, wir sind relevant für die Debatte. So lagen wir im Klout-Score, den es ja leider nicht mehr gibt, bei der letzten Erhebung im Sommer auf Platz 20. Vor etablierten Medientiteln wie dem «Blick am Abend» und der «WOZ». Natürlich ist es uns noch nicht gelungen, aus einer relativ engen Blase rauszukommen, aber das ist mit fehlenden Mitteln für Offline-Kampagnen sehr schwierig.

Ganz wichtig ist auch: Wir haben auf FB ein relativ junges Publikum mit Alterspeak bei 25-34-Jährigen. Und: 52 Prozent unserer FB-User sind weiblich. Das freut uns, wo es doch sonst immer heisst, Wissenschaft sei etwas für Männer. Ebenfalls freut uns, dass 30 Prozent der User auf der Website aus Deutschland kommen, ohne dort ein Wort PR gemacht zu haben.

Welche Zeitungstitel beliefert ihr?

  • Print Fix: Südostschweiz, Zürcher Oberländer, Freiburger Nachrichten, Bieler Tagblatt, Tössthaler, Blick am Abend.
  • Print Fix, aber nicht jede Woche, weil die noch eine eigene Rumpfredaktion für Wissen haben: AZ und alle angeschlossenen Titel.
  • Fix, 1x pro Monat: Stadtanzeiger Winterthur Stadi (bis er Ende Jahr stirbt).
  • Online Fix: Blick, Nau.
  • Regelmässigen Artikelaustausch betreiben wir mit Sonntag/Doppelpunkt.
  • Wer sporadisch Artikel beziehen will, muss dafür bezahlen.
  • Das Interessante am Mediensystem «higgs» ist, dass wir garantierte Abnahmen haben. Wir schliessen mit den abnehmenden Zeitungen Abkommen. Zum Vergleich: Wenn die SDA Wissen verbreitet, ist nicht garantiert, dass diese Inhalte irgendwo publiziert werden – oder vielleicht erscheinen sie nur zu einer kurzen Meldung gerafft. «higgs» hingegen bietet Publikationsgarantie und Konstanz. «higgs» ist ein punktgenaues Bewässerungssystem, die SDA eine Giesskanne.

Und wie schon gesagt: Für 2019 steht eine Erweiterung der Abnehmer an. Wer das genau ist, kann ich aber noch nicht sagen. Wir kommunizieren das gemeinsam mit unseren Partnern.

Wie viele Vollzeitstellen auf wie viele Köpfe umfasst Higgs?

Higgs ist personell winzig und lebt von Querfinanzierungen plus Vorinvestitionen meiner Firma. Journalistische Vollzeitstellen sind es für «higgs» momentan 1.4, nächstes Jahr 2. Dazu kommen ein Social Media Manager und ein Mediamatiker-Lehrling und ¼ Administrativkraft. Sales, Marketing und Management mache ich momentan in Fronarbeit. Mit den in Aussicht stehenden Erweiterungen für 2019 werden wir hier eine professionelle Kraft in Teilzeit anstellen. Man kann sich noch bewerben.

Wie sieht die Konstruktion mit der Stiftung aus?

Am 12. Dezember gründen wir die Stiftung Wissen für alle. Eine gemeinnützige und steuerbefreite Stiftung, die den Zweck hat, den Wissenschaftsjournalismus allgemein und eine Plattform im Speziellen zu fördern. Das Gründungskapital der Stiftung stammt von einem Dutzend Unternehmern und Wissenschaftlern, die privates Geld einschiessen, weil sie die Notwendigkeit von «higgs» erkannt haben. Das Produkt «higgs» und die Stiftung sind vollkommen getrennt. Wir wollen eine unabhängige Aufsicht haben, die uns auf die Finger schaut. Darum schiesse ich persönlich kein Geld in die Stiftung ein und ich bin nicht im Stiftungsrat. Die erste Aufgabe der Stiftung wird es sein, eine Fundraiserin/Campaignerin anzustellen, die als erste Aufgabe hat, Geld für den grossen Sprung zu beschaffen.

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