Roger Kochs Heimat ist 84 Millimeter lang und hat einen Durchmesser von 7,9 Millimetern. Und man kann sie rauchen. Ursprünglich bestand sie rein aus Schweizer Tabak, mittlerweile gibt es sie aber auch zusätzlich mit CBD-Hanf oder als reine Hanfzigarette. «Heimat», das ist Kochs eigene Zigarettenmarke. «Heimat» machte Koch zu einem der umtriebigsten Thurgauer – und zu einem Vorreiter in der internationalen Hanf-Bewegung.
Entdeckt hat Koch seine Leidenschaft für Rauch bereits 1987, als er im Alter von 12 Jahren mit seinem Grossvater Ernst Gsell in einem Waldstück im Thurgauer Dorf Zihlschlacht spazierte. Nur wusste er es damals noch nicht. Gsell, ein leidenschaftlicher Raucher, gab seinem Enkel dort zum ersten Mal eine Zigarette. Heimlich – Rogers seine Eltern durften davon nichts wissen.
Die ersten paar Züge lösten bei Koch einen Reizhusten aus. Dieser verschwand nach einer Weile wieder. Was bei Koch jedoch geblieben ist, ist die Faszination für Tabak. «Diese erste Zigi mit meinem Grossvater war für mich ein früher Wendepunkt in meinem Leben», erinnert sich Koch, der heute in Steinach (SG) die Firma «Koch & Gsell» führt. «Noch im gleichen Sommer habe ich mit meinen Brüdern und zwei Cousins selbstgedrehte Zigaretten auf dem Flohmarkt verkauft», erinnert sich Koch an jenes schicksalhafte Jahr ’87. Die selbstgedrehten Flohmarkt-Zigis enthielten Eichen- und Kastanienblätter, waren eingerollt in Papier und mit Hilfe von Klebestreifen zusammengehalten: «Schädel extra» benannten die Teenies die Marke, die sie unter die Leute bringen wollten.
«Wahrscheinlich hat sich diese Faszination fürs Rauchen bei mir schon als kleiner Junge festgesetzt. Wir hatten sehr oft Gäste, und beim Besprechen wichtiger Themen wurde immer geraucht, und so wurde für mich der Rauch ein Teil von Bedeutsamkeit.» Auch seinen Grossvater sah Koch praktisch nie ohne Glimmstängel im Mund. «Und zu ihm hatte ich schon immer eine sehr enge Beziehung.»
Daher auch der Firmenname «Koch & Gsell» – deren Logo ein Foto des rauchenden Grosspapis ist. Beides Hommagen an den Mann, der Roger Koch mit 12 seine erste Zigi gegeben hat und damit indirekt eine internationale Revolution ausgelöst hat.
Tüfteln bis zur Nikotinvergiftung
In der Schweiz – einem Land, in dem laut Bundesamt für Gesundheit rund jede vierte Person über 15 Jahren raucht – gibt es gegenwärtig rund 160 Tabakbauern, die in neun Kantonen zwei Tabaksorten anbauen. Die eine Sorte, Burley, wird in Lagerschuppen luftgetrocknet. Und die zweite Sorte, Virginia, trocknet künstlich in Öfen.
Freiburg und Waadt weisen heute die grössten Anbauflächen vor – 202 beziehungsweise 153 Hektar. Doch die hiesigen Gewächse benutzen die Tabak-Multis seit jeher nur als Füll- und Ergänzungsmaterial. Wenn in hierzulande hergestellten Zigaretten Schweizer Tabak verwendet wird, ist sein Anteil sehr klein. Für Roger Koch ist das unverständlich.
Wie der Tabak von Amerika in die Schweiz kam
Der französische Botschafter in Portugal, Jean Nicot, brachte den Tabak an den Hof des französischen Königs, um die Migräne von Caterina ‘de Medici, der französischen Königin, zu behandeln. Mit Erfolg. Zu seinen Ehren wurde die Pflanze kurzerhand zu Nicotiana tabacum umbenannt.
Die Königin ordnete an, die Pflanze in ganz Frankreich anzubauen. Und so begann der globale Durchbruch des Tabaks. Die gesundheitlichen Risiken des Tabakskonsums wurden erst Anfang des 18. Jahrhunderts von Ärzten erkannt und beschrieben. Und erst in den 1950er- und 1960er-Jahren wurden erste Studien veröffentlicht, die die mit dem Konsum verbundene Gesundheitsrisiken auch faktisch nachweisen.
«Es war schon immer mein Ding, den Status Quo zu hinterfragen», sagt er. «Und tatsächlich habe ich schnell gemerkt, dass die schlechte Qualität, die Schweizer Tabak nachgesagt wird, ein reiner Mythos ist, der jahrelang einfach weitergegeben wurde. Diese Geringschätzung unseres Tabaks hat mich unter anderem angetrieben.»
Und so begann Koch 2012, selbst Tabak anzubauen. Als Hobby und Wiederaufnahme seines Bubentraums. Hauptberuflich führte Koch zu dieser Zeit ein von ihm gegründetes Büro für Lektorat, Korrektorat und Übersetzung mit Sitz in Buchs, St. Gallen.
«Als ich damals Experten von meiner Idee einer Schweizer Zigarette erzählte, rieten sie mir davon ab, Schweizer Tabak habe kein Aroma. Zudem sei Rauchen sowieso out.» Doch Koch spornte die Kritik nur noch mehr an. Und so verliess er 2015 seine von ihm gegründete Firma. «Das war ein schwieriger Entscheid. Doch ich merkte, dass ich der Firma aus der Pionierphase gewachsen war und ich ihr nicht mehr viel bieten konnte», sagt Koch. «Und ich war schon immer eine Person, die mit dem Kopf durch die Wand geht und Dinge auf der grünen Wiese gestalten will.»
Und so führte ihn seine Idee zu seiner ganz eigenen grünen Wiese im Rheintal – den Garten seines Hauses, in dem er mit seiner Familie wohnt.
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Hier tüftelte Koch Tage, Wochen und Monate an Tabakmischungen. Rauchte, rauchte und rauchte – bis er sich eine Nikotinvergiftung zuzog. Mehrere Stunden lang lag er am Boden und habe ohne Ende geschwitzt. Doch schliesslich hat er seine Mischung gefunden, die Nikotinvergiftung hat sich gelohnt. Und so setzte er 2015 sein ganzes Erspartes aufs Spiel und gründete die Firma «Koch & Gsell». Und lancierte 2016 seine erste Zigarette. Die «Heimat».
Wofür er als 12-Jähriger nur Eichen- und Kastanienblätter, Papier und Klebestreifen brauchte, das gestaltet sich nun anspruchsvoller: Es herrschen strenge Gesetze und Regulierungen, was den Anbau, die Produktion und den Vertrieb von Raucherwaren betrifft. «Ich war ein absoluter No-Name in der Szene und hatte lediglich Know-how im Unternehmensaufbau und im Management, auf das ich durch meine erste Firma zurückgreifen konnte.» Doch genau das sei der Reiz gewesen: «Und sicher auch eine gewisse Überheblichkeit», lacht Koch. «Etwas zu machen, was mich emotional begeistert und treibt – und sicherlich zu Beginn auch überfordert. Irgendwie brauche ich diesen Kick.»
Am 1. April 2016 beginnt Koch mit dem Verkauf der «Heimat». Und merkt schnell, dass er mit seinem Produkt den Nerv der Zeit trifft – vermehrt setzen Konsumenten hierzulande auf Nachhaltigkeit, lokale Produkte und Ware ohne Zusatzstoffe. «Nach nur einer Woche haben wir bereits 3 500 Päckchen verkauft, wir sind von der grossen Nachfrage regelrecht überrollt worden», erinnert sich Koch. Doch was vordergründig nach einem Erfolg aussieht, ist hinter den Kulissen nahe einer Katastrophe. Denn das verkaufte Produkt war schlecht. «Viele haben die Zigarette einmal probiert, dann nie wieder.» Der Tabak fiel raus, der Filter fiel raus. «Wenn wir heute noch einmal mit dem jetzigen Wissen starten könnten, hätten wir ganz andere Marktanteile.» Achtzig Prozent der produzierten Zigaretten hätten es gar nicht erst in die Regale geschafft – Ausschussware.
Wieso aber mit einem schlechten Produkt starten? «Ich musste mich entscheiden», sagt Koch. «Wir hatten bereits Verträge mit Abnehmern und Vertreibern, die wir einhalten mussten und haben bereits über ein Jahr lang alles ausprobiert.»
Tatsächlich hat es Koch geschafft, mit seinem Produkt bereits zu Beginn namhafte Deals abzuschliessen: Coop machte beim Vertrieb mit. Ebenso die Kioskkette Valora.
Doch Koch ruhte sich nicht auf seinen Tabakblättern aus und tüftelt bereits an seinem nächsten Coup, der ihn weltberühmt machen sollte. «Diesmal kein emotionaler, sondern ein unternehmerischer Entscheid. Die Marktlücke lag auf der Hand», sagt Koch. Die Rede ist von Cannabidiol, kurz CBD.
Die weltweit erste Hanfzigarette
Unter der Marke Heimat lancierte Roger Koch 2017 die weltweit erste industriell hergestellte Zigarette mit einer Mischung aus Tabak und CBD-Hanf. Das Produkt sorgte international für Aufsehen. Für einmal spielten Koch die Schweizer Regulierungen und Gesetze in die Hände, denn in den meisten anderen Ländern wäre seine Idee illegal gewesen. Die Rechtslage unterscheidet sich hierzulande nämlich darin, dass jeglicher Konsum von Hanf legal ist, solange die THC-Grenze ein Prozent nicht überschreitet. In Deutschland beispielsweise ist jegliches Derivat aus der Hanfpflanze illegal. Und da Kochs Hanfzigaretten das allgemein verträgliche CBD beinhalten, während der high-machende THC-Anteil bei unter einem Prozent liegt, werden sie nach Schweizer Betäubungsmittelgesetz auch nicht als Droge eingestuft.
Das kleine Hanf-1x1
THC: THC steht für Tetra-Hydrocannabinol und ist einer der bisher über 100 entdeckten Cannabinoide, die in der Hanfpflanze vorkommen. Da THC der psychoaktivste Wirkstoff ist – also die berauschenden Highs verursacht – ist er am besten erforscht: Er dockt ähnlich wie Morphin oder Heroin an die Nervenzellen des Gehirns an und betäubt diese. Neben der Ausschüttung von Glückshormonen kann THC auch Paranoia, Angst und Psychosen auslösen.
CBD: CBD steht für Cannabidiol und ist der Wirkstoff, der in der Cannabis-Pflanze neben THC am zweitmeisten vorkommt. CBD wirkt nicht psychoaktiv und ist ein wichtiger Teil in der medizinischen Forschung. Einzelne Studien zeigen, dass die Substanz bei Angstzuständen, Epilepsie oder Multipler Sklerose helfen kann. Welche medizinische Heilwirkung Cannabidiol allerdings tatsächlich aufweist, ist noch nicht ganz geklärt. Klinische Studien wurden bisher weitgehend an Ratten durchgeführt, nicht an Menschen. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die Substanz weder gesundheitsschädlich noch macht sie abhängig.
Aber auch technische Gründe haben dafür gesorgt, dass Roger Koch mit seiner Idee der erste war: «Tabak ist trocken, Hanf ist wegen des enthaltenen Harzes klebrig und körnig. Sämtliche Produktionsmaschinen für normale Zigaretten waren also ungeeignet für so ein Produkt.» Weil keiner seiner Produktionsmitarbeiter je in der Tabakindustrie gearbeitet hat und sie ergo auch nicht wussten, was nicht geht, entwickelte das Unternehmen eine Maschine, die an den klassischen Tabakmaker angedockt werden kann und so die Herstellung von Hanfzigaretten ermöglicht. Die für die Herstellung der Produkte verwendeten Verfahren hat Koch & Gsell mittlerweile patentieren lassen.
Koch schwebte 2018 mit seiner neuen CBD-Zigarette auf Rauchwolke Sieben. Zeitungen aus Russland, Indien, China und den USA berichteten über die Innovation. Die Zollverwaltungen von Italien, Österreich, Deutschland und Frankreich mussten offizielle Statements herausgeben, dass seine Hanf-Zigis nicht exportiert werden dürfen. Und im Tessin beschlagnahmte die Kantonspolizei sämtliche dort in den Verkauf gelangten CBD-Glimmstängel, weil Coop es versäumt hat, eine entsprechende kantonale Genehmigung einzuholen. Die Revolution war perfekt.
«All dies war natürlich nicht geplant», sagt Koch. «Aber es sind ja oft die Geschichten, die das Leben schreibt, die besser sind als jedes Marketing.»
Das Unternehmen musste in den Maschinenpark investieren, die Absätze wuchsen ab 2018 nicht mehr so schnell wie 2017 – und es wurde zu viel in Marketing und Verkauf investiert.
Der finanzielle Schaden war damit gross: Im Frühling 2019 musste Koch für seinen Traum die Nachlassstundung beantragen. Diese gewährt Unternehmen Zeit, um mit den Gläubigern eine Lösung zu finden und damit einen Konkurs abzuwenden. Investitionen in Forschung und Entwicklung, die neuen Maschinen sowie die Expansion im In- und Ausland hatten zu massiver Überschuldung geführt. Und Koch gelang es nicht, das notwendige Kapital rechtzeitig über Investoren zu finden.
«Das war eine sehr harte Erfahrung», sagt er. «Um die Pleite doch noch abzuwenden, mussten wir die Betriebskosten reduzieren, den Umsatz steigern und dadurch schliesslich auch wertvolle Mitarbeiter entlassen.»
Kürzlich hat das Kreisgericht Rorschach einen entsprechenden Nachlassvertrag genehmigt. Koch konnte den Konkurs abwenden, während diverse Gläubiger immer noch auf ihr Geld warten.
«Das tut mir natürlich auch sehr leid. Doch es treibt auch an, um mit neuen Ideen möglichst schnell mit der Begleichung der Schulden beginnen zu können.»
Und Koch schreitet bereits zu neuen Zigarettenprodukten. Und vielleicht auch zu neuen, kleinen Revolutionen. So beispielsweise 2019 mit Europas erster Zigarette, die reinen CBD-Hanf und weder Tabak noch Nikotin enthält. «Mit diesem Produkt haben wir es geschafft, die so wichtigen Zulassungen in einzelnen EU-Ländern zu erhalten.» Neben Luxemburg und Belgien sollen bald die Märkte in Polen, Dänemark und Österreich erschlossen werden. «Gleichzeitig arbeiten wir auch an CBD-Snus und CBD-Tee, aber hier ist vieles noch geheim.»
Und wie sieht es bei Koch mit einer «Rauchpause» aus? «Vielleicht gibt es nächstes Jahr mal eine kürzere Pause», lacht Koch. «Ich liebe das Reisen. Besonders Inseln, Strände und das Meer haben es mir angetan.» Koch scheint sich also beruflich als auch privat treu zu bleiben, obwohl er sich ständig selbst neu erfindet: Der Sprung ins kalte Wasser. Und danach mit Feuer eine Zigi anzünden.