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Letzte Woche hat der Tagesanzeiger einen Meinungsartikel publiziert, der sich dagegen wehrt, dass der Begriff «Skeptiker» als Schimpfwort verwendet wird. Und er forderte auf, gerade in Zeiten der Corona-Pandemie skeptisch zu sein. Skeptisch gegen die Wissenschaft, skeptisch gegen die Politik.
Seine Aufforderung ist nicht ganz falsch (wenn man «skeptisch» als kritisch hinterfragend versteht) – wurde aber weitherum falsch verstanden. Vor allem in Kreisen der «Corona-Skeptiker».

Denn prompt schickte mir einer von ihnen – ein Kollege, der mich seit Beginn der Pandemie mit abstrusen Meldungen zu Corona zuspammt, der Corona verharmlost, Zahlen und Massnahmen anzweifelt – diesen Artikel. Weil er sich darin bestätigt sieht. Denn er bezeichnet sich selber nicht als Corona-Verharmloser, sondern eben als «Skeptiker».

Stellt sich die Frage: Was ist ein Skeptiker? Denn auch ich bezeichne mich als solchen. Aber zwischen mir und meinem Kollegen, dem Corona-Skeptiker, besteht ein tiefer Graben.

Die Begriffe «Skepsis» oder «Skeptiker» leiten sich ab vom altgriechischen Wort «skopein», was so viel bedeutet wie «hinsehen» oder «untersuchen». Der Wortstamm findet sich heute noch in vielen Begriffen. Zum Beispiel im Mikroskop , mit dem man kleine Dinge erkennt. Im Teleskop , mit dem man weit entfernte Objekte entdeckt. Oder im Endoskop , mit dem man in einen Körper hineinsehen kann. Es geht also ums Genau-Hinsehen, ums Erkennen – und nicht ums grundsätzliche Anzweifeln.

Wohl gibt es die philosophische Lehre des Skeptizismus. Gemäss dieser Lehre hören konsequente Skeptiker nie auf, zu hinterfragen. Und so halten sie nichts für wirklich beweisbar, lehnen die Objektivität von Tatsachen ab, die Wahrscheinlichkeit oder auch die Glaubwürdigkeit. Das mag für philosophische Debatten interessant sein, bringt uns aber bei der Bekämpfung der Pandemie nicht weiter.

Wenn ich mich als Skeptiker bezeichne, meine ich das im Sinne von René Descartes, dem Wegbereiter der Aufklärung. Er hat im 17. Jahrhundert den Zweifel als Mittel auf der Suche nach gesichertem Wissen verstanden. Bei ihm ist Zweifel eine Methode, ein Werkzeug – wie ein Mikroskop, mit dem er zu gesicherten Fakten finden kann. Und heute noch ist Skepsis angebracht, wenn man daraus keinen Fundamentalismus macht.

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Aber genau das machen Corona-Skeptiker. Sie suchen nicht die Fakten, sondern ziehen grundsätzlich alles in Zweifel – wissenschaftliche Grundlagen und Massnahmen – alles, was ihnen nicht ins Weltbild oder in den Alltag passt. Sie tun dies aus Prinzip. Und damit sind wir beim Dogma. Was uns in der Bekämpfung der Pandemie nichts bringt.

Noch einen Begriff wollte der Tagesanzeiger rehabilitieren. Jenen des «Querdenkens». Und hat damit gleich nochmals – absichtlich oder unabsichtlich bleibe mal dahingestellt – eine Strömung befeuert, die den Support dieser grossen Tageszeitung definitiv nicht verdient. Denn auch die Querdenker haben, wie die Skeptiker, einen Begriff gekapert, der an sich etwas Gutes meint.

Querdenken bedeutet, sich nicht sich bloss in ausgetretenen Bahnen bewegen, unkonventionell und kreativ sein. Bloss habe ich das von den Querdenkern ausser beim Verkleiden oder Malen von Plakaten noch nicht gesehen. Was sie tun, ist nicht Querdenken, sondern Sich-Querstellen.

Gefragt ist jetzt aber nicht grundsätzliche Opposition, Verharmlosen des Virus, Anzweifeln von Tests und Massnahmen und Verbreiten von Schauermärchen über Masken und Impfung.

Gefragt sind jetzt Skeptiker im Sinne von René Descartes, die Fakten erkennen wollen. Und Querdenker mit konstruktiven Vorschlägen zur Eindämmung der Pandemie.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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