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Wer nur von Schweizern, Parlamentariern oder Studenten spricht, schliesst die Frauen nicht ein, die zur Bevölkerung dieses Landes gehören, im Parlament sitzen und an den Unis studieren. Überall gibt es Frauen: in der Bevölkerung etwa zur Hälfte, im Parlament haben sie das bald erreicht, und in vielen Uni-Hörsälen sind sie bereits in der Überzahl. Das muss sich in einer geschlechtergerechten Sprache widerspiegeln. Darum soll man gendern. Und dort, wo die Vorstellung herrscht, dass für gewisse Berufe nur Männer geeignet sind – Bäcker, Brückeningenieure, Ballonflieger, soll man erst recht gendern, um mehr Frauen in diese Berufe zu locken.

So weit so gut. Doch was uns heute als «gendergerechte Sprache» vorgesetzt wird, ist hässlich, verkopft oder unverständlich. Kein Wunder lehnen viele Leute, mit denen ich immer wieder darüber spreche, Gendern ab. Nicht nur alte weisse Männer, auch Junge und auch Frauen.

Was läuft da schief?

Und viele, die professionell kommunizieren, sagen, man müsse höllisch aufpassen. Ein falsches Wort und man erntet einen Shitstorm. Also gendert man, was das Zeug hält. Das Resultat ist eine Sprache, die mich im Schriftlichen weniger stört, weil ich da schnell darüberlesen kann, die im Mündlichen aber schlicht nervtötend ist.

So ist zum Beispiel auf Radio SRF im Echo der Zeit vom 8.11.2021 innerhalb von 25 Sekunden (3:50 bis 4:15) ganze dreimal von «Migrantinnen und Migranten», die Rede, die an der polnischen Grenze stehen.

Die dauernde Wiederholung von «Migrantinnen und Migranten» ist nicht nur nervtötend. Sie ist auch nicht korrekt. Denn die Menschen, die vom weissrussischen Regime an die polnische Grenze gestellt werden, sind nicht am «Migrieren», also am Wandern. Nein, sie werden durch Krieg aus ihren Heimatländern vertrieben, oder sie flüchten aus unmenschlichen politischen oder wirtschaftlichen Verhältnissen. Also benenne man sie auch dementsprechend: Vertriebene, Geflüchtete, oder Flüchtlinge. Das sind drei Begriffe, die geschlechtsneutral hätten verwendet werden können.

Achtung: Ich bin nicht gegen eine Sprache, die die die Existenz von Männern und Frauen in allen Lebensbereichen berücksichtigt. Aber ich bin gegen schlecht gemachtes Gendern und ich fordere mehr Fantasie.

Ich bin nicht gegen eine Sprache, die die die Existenz von Männern und Frauen in allen Lebensbereichen berücksichtigt. Aber ich bin gegen schlecht gemachtes Gendern.

SRF News schreibt am 2. November 2021: «Dass in diesen Tagen so viele Russinnen und Russen an Corona sterben, liegt […] an der tiefen Impfquote von 33 Prozent und am unterfinanzierten Gesundheitssystem.»

Auch hier ist das Gendern nicht nur plump, sondern macht auch die Aussage inhaltlich falsch. Denn in Russland sterben nicht nur Russinnen und Russen an Corona, sondern auch Leute mit einer anderen als der russischen Staatsbürgerschaft. Korrekt wäre also: «Dass in diesen Tagen so viele Menschen in Russland an Corona sterben…» und so weiter.
Bezüglich der Nationalität zwar faktisch richtig, aber trotzdem hässlich ist «40 Prozent der wahlberechtigten Russinnen und Russen haben ihre Stimme bis heute abgegeben.» (SRF Echo der Zeit, 19.9.2021) Viel eleganter ist: «40 Prozent der Wahlberechtigen in Russland…»

Gleich drei solch unsägliche Verdoppelungen finden sich im SRF Echo der Zeit, vom 20.9.2021:

«Die Rechnung werden letztendlich die Britinnen und Briten bezahlen müssen, sei es als Konsumentinnen und Konsumenten oder verzögert dann als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.»

Abgesehen davon, dass dies inhaltlich falsch ist, weil auch Menschen ohne britischen Pass bezahlen müssen, kann man die plumpen Wiederholungen ganz einfach eliminieren: «werden letztendlich die Menschen in Grossbritannien bezahlen müssen. Sei es über die Konsumpreise oder über die Steuern.»

Auch der nächste Satz aus dem Echo der Zeit vom 20. September des vergangenen Jahres käme problemlos ohne Wiederholungen aus.

«Kanadierinnen und Kanadier wählen heute ein neues Parlament.» (SRF Echo der Zeit, 20.9.2021).

Das heisst kurz und bündig: «Kanada wählt.»

Es nerven auch die «Jüdinnen und Juden», «Demonstrantinnen und Demonstranten», «Forscherinnen und Forscher», «Expertinnen und Experten», «Ureinwohnerinnen und Ureinwohner», «Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier». Alles Beispiele, die ich in den letzten Monaten in Schweizer Medien gelesen oder gehört habe. Viel besser ist: Die jüdische Gemeinschaft, Demonstrierende, Forschende, Fachleute, Urbevölkerung, Mitglieder des Schweizer Parlaments. Geht doch, mit etwas Fantasie.

Nur so nebenbei sei mir die Frage erlaubt, warum nicht nur Britinnen und Briten, sondern auch Postbeamtinnen und Postbeamten, Bäckerinnen und Bäcker permanent gegendert werden müssen, nicht aber Terroristen?

Völlig abstrus wird es bei folgender Konstruktion: Kürzlich erhielt ich von einem Verein ein Schreiben, in dem alle Mitglieder*innen zur Generalversammlung eingeladen werden. So was ist nur noch peinlich. Denn das Mitglied ist sächlich, auch wenn es in der Mehrzahl die Endung -er trägt.

Peinlich ist auch die Gästin. Als solche wurde die Autorin Nele Pollatschek an eine Veranstaltung eingeladen, wie sie letztes Jahr in einem Beitrag im Magazin schrieb.
Natürlich heisst es der Gast. Wer aber daraus ableitet, dass die eingeladene Person einen Penis hat, hat den Unterschied zwischen Genus und Sexus nicht verstanden. Also das grammatikalische und das biologische Geschlecht. Was einfach nicht dasselbe ist. Marilyn Manson ist ein Star genauso wie Marilyn Monroe – oder ist letzte gendergerecht eine Starin? Ein Sternchen ganz sicher nicht.

Wenn eine Personenbezeichnung mit männlichem Genus für Frauen im Sinne von «Gästin» angepasst werden muss, warum muss das dann im umgekehrten Fall nicht geschehen? Marilyn Monroe ist eine Ikone der 1960er Jahre, Marilyn Manson ist eine Ikone der 1990er Jahre. Braucht es für den Mann auch eine neue Bezeichnung? «Ikoner», «Ikonerich»?

Dasselbe trifft zu für die Koryphäe, die Kapazität, die Persönlichkeit, die Fachgrösse, die Autorität, die Geisel. Das können alles Frauen und Männer sein.

Bei der korrekten nicht geschlechtsdiskriminierenden Sprache muss es auch nicht immer ein Substantiv sein, das für Männer und Frauen steht: Die Basler Zeitung schreibt in ihrer Online-Ausgabe vom 1.4.2021: «die Chrome-Nutzerinnen und -Nutzer hinterlassen immer Spuren.» Besser als eine krampfhafte, gendergerechte Verdoppelung der Person, einfach sagen, was die tun: «… wer Chrome nutzt, hinterlässt immer Spuren.»

Anstatt Expertinnen und Experten kann man auch sagen: «wer wirklich etwas von der Sache versteht.» Und aus «wer seine Ärztin oder seinen Arzt konsultiert» wird: «wer ärztlichen Rat einholt».

Warum ist es wichtig, was sich am unteren Ende einer Person befindet, wenn ich doch über die Tätigkeit dieser Person schreibe und nicht über ihre Geschlechtsteile, fragt Nele Pollatschek provokativ. «Wer aus meinem «Schriftsteller» ein «Schriftstellerin» macht, kann auch gleich «Vagina!» rufen», bringt sie es auf den Punkt. Das habe den gleichen Informationswert, wäre aber komischer und aufrichtiger und ihr deutlich lieber. Sie empfindet das permanente Darauf-beharren, dass es weibliche und männliche Menschen gibt, die eine bestimmte Tätigkeit ausüben als Diskriminierung, weil man ausser dem Geschlecht bei der Berufsnennung keine weiteren persönliche Details preisgeben muss. Zum Beispiel die Hautfarbe, die Religion oder die sexuelle Ausrichtung. Mit gleichem Recht, so resümiert Pollatschek, könnte man von «Schwarzgast» reden, wenn in der Gästeschar auch Personen dunkler Hautfarbe zu finden sind. Und sie fragt, warum sich das aber so falsch anfühle, wenn «Gästin» – also Gast mit Vagina – richtig und wichtig sein soll? Als Konsequenz will Pollatschek das Gendern abschaffen.

So weit würde ich nicht gehen. Denn es gibt unendlich viele Möglichkeiten, nicht geschlechterdiskriminierend zu kommunizieren. Aber dazu braucht es halt etwas Fantasie.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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