Gut drei Viertel der Schweizer Bevölkerung gehört einer Religionsgemeinschaft an. Regelmässig in Gottesdiensten sind aber viel weniger Menschen – gemäss Bundesamt für Statistik etwa ein Zehntel. Anders etwa in den USA: Schätzungen zufolge besuchen dort rund 40 Prozent der Bevölkerung wöchentlich einen Gottesdienst. Wieso in manchen Ländern mehr Personen gläubig sind als in anderen, haben Religionswissenschaftler der Universität Rochester in den USA in einer weltweiten Studie untersucht. Ihr Befund: Wo sich der Staat um die Sicherheit und die Bedürfnisse der Bevölkerung kümmert, suchen die Menschen weniger Hilfe von Gott.

Zu diesem Schluss kamen die Forscher, indem sie eine Umfrage unter knapp 500’000 Personen aus 155 Staaten analysierten. Darin gaben die Teilnehmenden an, ob Religion in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen würde. Diese Daten verknüpften die Forscher mit Zahlen zu den Bildungs- und Gesundheitsausgaben der Staaten. Ausserdem ermittelten sie die Lebensqualität in den Ländern: Wie viele Menschen lesen und schreiben können, wie viele Kinder ihr erstes Lebensjahr überleben sowie den Anteil der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. So zeigte sich: Je tiefer die Lebensqualität ist, desto mehr Personen sind gläubig.

«Wenn die staatliche Grundversorgung nur schlecht funktioniert, tragen religiöse Institutionen viel zum Wohl der Menschen bei», sagt der Religionssoziologe Jörg Stolz von der Universität Lausanne. Entwickle sich in einem Land aber ein Sozialstaat, würden die Leistungen der Religionen tendenziell ersetzt: Bei gesundheitlichen und seelischen Problemen steht ein Arzt oder Psychiater bereit, anstatt dass man auf Rituale und Gebete angewiesen ist. Nicht religiöse Gebote, sondern ausgefeilte Gesetzestexte regeln das Zusammenleben der Menschen, und anstelle von Almosen helfen die Sozialversicherungen Bedürftigen.

Gott nicht plausibel

Doch die Leistungen der Sozialstaaten alleine würden die Abkehr von den Religionen nicht erklären, sagt Stolz. «Auch der Bildung kommt eine grosse Rolle zu. Sie kann dazu führen, dass Gott für die Menschen nicht mehr plausibel ist.» Die Wissenschaft könne oft überzeugendere Erklärungen bieten als die Religionen, etwa für Katastrophen. Darum ist sich Stolz sicher: «In der Schweiz und anderen westlichen Ländern wird die Zahl der Konfessionslosen weiter zunehmen.»

Anders weltweit: Die Zahl der religiösen Menschen nehme insgesamt zu, weil die Familien in armen und somit frommen Staaten eher kinderreich sind, sagt der Experte. «Doch Fortschritt und Verwestlichung führen dazu, dass auch diese Menschen langfristig immer weniger gläubig werden», sagt Stolz. Über kurz oder lang dürfte die Bedeutung der Religionen also abnehmen: «Westliche Demokratien sind für Religionen ein hartes Pflaster.»


Besonders in den Westschweizer Kantonen ist der Anteil der Konfessionslosen hoch – den Spitzenwert erreicht Neuenburg, wo über 44 Prozent der Bevölkerung keiner Konfession angehören. In Appenzell Innerrhoden dagegen sind nur 9 Prozent konfessionslos. Ausser in der Romandie haben sich vor allem in den Städten viele Menschen von der Religion abgewandt.
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