Das musst du wissen

  • Die Anzahl der landlebenden Insekten ging in den letzten Jahrzehnten weltweit deutlich zurück.
  • Dagegen nimmt die Anzahl der Süsswasserinsekten zu.
  • Regional sind diese Entwicklungen jedoch sehr unterschiedlich.

Die Insekten sterben uns weg. Dies haben verschiedene Wissenschaftler mit Studien zeigen können. Die Gründe für das grosse Sterben allerdings sind sehr vielfältig: Weil sie ihren Lebensraum verlieren. Weil immer mehr Pestizide zum Einsatz kommen. Oder weil künstliches Licht ihren Tag-Nacht-Rhythmus stört. Es ist dabei umstritten, welche Ursachen nun wie grossen Einfluss haben.
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Klar ist aber: Das Insektensterben ist ein Problem. Denn diese sind für verschiedene essentielle Vorgänge in der Natur verantwortlich. Sie befruchten die Bäume im Wald, zersetzen tote Tiere und Pflanzen und dienen als Nahrungsgrundlage für Vögel, Fledermäuse und Frösche. Wenn es zu wenig Insekten gibt, kann das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht geraten. Der Ökologe Roel van Klink vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung und sein Team wollten herausfinden, wie stark sich die Insekten denn nun tatsächlich dezimiert haben. Seine Übersichtsstudie ist im Fachjournal Science erschienen. Die Forschenden werteten 166 Langzeitstudien statistisch aus, die insgesamt viele hundert Standorte in 41 Ländern untersucht haben. Die früheste Studie dazu stammt aus dem Jahr 1925.

Das Resultat: Zu den grossen Verlierern gehören die landlebenden Insekten. Um rund neun Prozent nimmt die Anzahl Individuen einer Art demnach alle zehn Jahre ab. Die neu errechnete Rate ist tiefer als in anderen Studien, das Insektensterben schreitet also dieser Analyse gemäss langsamer voran, als angenommen. Am meisten betroffen von dem Rückgang sind Insekten auf dem Boden, in Bodennähe und in der Luft. Die Zahl von Insekten, die in Bäumen wohnen, ist nahezu stabil geblieben.

Science-Check ✓

Studie: Meta-analysis reveals declines in terrestrial but increases in freshwater insect abundancesKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Autoren haben nach hohen wissenschaftlichen Standards die vorhandenen Studien statistisch ausgewertet. Dennoch ist es schwierig, die unterschiedlichen Arbeiten zu vergleichen. Die Resultate sagen wenig aus über den globalen Zustand, denn ein Grossteil der Studien stammt aus Europa und Nordamerika, lokal kann die Lage aber stark abweichen. Unverhältnismässig viele Studien betrachteten Insektenarten in Gebieten, die vor menschlichem Einfluss weitgehend geschützt waren. Deshalb sind weitere Studien nötig zu Gebieten, wo die menschliche Nutzung intensiv ist und wo die Insekten am stärksten betroffen sind. Diese Publikation bietet eine Übersicht, aber da sie Anzahl Insekten-Individuen zählt und viele Faktoren wie zum Beispiel die Artenvielfalt nicht berücksichtig, ist sie wenig aussagekräftig.Mehr Infos zu dieser Studie...

Dagegen steigt die Anzahl von wassernahen Insekten wie Libellen, Köcherfliegen oder Steinfliegen um etwa elf Prozent an. Diese verbringen zumindest einen Teil ihres Lebens – das Larvenstadium – im Wasser und sind für ihr Überleben darauf angewiesen.

Regional unterscheiden sich diese Zahlen aber stark – auch, wenn die untersuchten Standorte nahe beieinanderliegen. Beide Trends waren schwächer ausgeprägt in geschützten Gebieten.

Dass die einen Insektenarten weniger schnell sterben als befürchtet und die anderen sogar zunehmen, ist eigentlich eine erfreuliche Nachricht. Dennoch sieht Johannes Steidle, Professor für Chemische Ökologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart, darin keinen Grund zur Entwarnung. Gegenüber dem deutschen Science Media Center sagt er: «Erstens sind auch neun Prozent Abnahme pro Jahrzehnt bei landlebenden Insekten langfristig eine Katastrophe. Und zweitens ergeben sich die niedrigeren Gesamtzahlen vor allem dadurch, dass die Daten für Weltregionen ausserhalb von Nordamerika und Europa deutlich geringere oder gar keine Abnahmen zeigen, wobei es aus diesen Regionen aber auch viel weniger Studien gibt.» Er resümiert: «Die Verwendung der Begriffe ‚Insect Armageddon‘ oder ‚Insect Apocalypse‘ ist nach wie vor berechtigt.»

Wo Menschen Städte bauen, geraten die terrestrischen Insekten laut der neuen Studie besonders unter Druck. Wo hingegen Nutzpflanzen wachsen, fällt der Insektenrückgang geringer aus. Das widerspricht dem häufigen Argument, dass intensive Landwirtschaft ein wichtiger Grund für das Insektensterben sei. Allerdings wendet Axel Hochkirch, Professor für Naturschutzbiologie an der Universität Trier, gegenüber dem Science Media Center dagegen ein, dass die Autoren für diese Untersuchungen nur eine sehr grobe Analyse durchgeführt hätten. «Die Nutzungsintensität, also Geräteeinsatz, Nutzpflanzentyp, Anbaumethoden, Pestizide und Düngung konnte nicht berücksichtigt werden. Alle bislang vorhandenen Studien zu den Effekten der Landwirtschaft zeigen, dass es sehr klare negative Auswirkungen der Intensivierung gibt.»
Aber wieso eigentlich nimmt die Anzahl der wassernahen Insekten zu? Die Wasserqualität ist an einigen Orten in Folge von Gewässerschutzgesetzen gestiegen. Das könnte ein Faktor dafür sein, dass die Vertreter der Süsswasserarten zunehmen. Ausserdem spielt die globale Erwärmung möglicherweise eine Rolle sowie der Fakt, dass durch die Landwirtschaft viele Nährstoffe in die Gewässer gelangen.

Ein grundsätzliches Problem der Studie liegt bei der erfassten Grösse: Die reine Anzahl an Individuen einer Art sagt nichts über die Artenvielfalt aus. Diese ist jedoch viel relevanter für die Qualität eines Lebensraumes. Gerade vom höheren Nährstoffangebot profitieren häufig anpassungsfähige Arten, die nicht gefährdet sind oder Arten, die aus anderen Regionen bei uns eingeschleppt wurden. Dafür werden andere Arten mit spezielleren Lebensraumansprüchen verdrängt. So steigt zwar insgesamt die Anzahl der Individuen, aber die Diversität der Arten geht zurück.

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