Mit der Coronakrise ist die Stunde der Sofakartoffeln gekommen: Das Feierabendbier ist zwar mittlerweile wieder möglich, dennoch können wir nicht bedenkenlos viele Leute treffen oder in eine Bar gehen. Feierabend heisst deshalb für viele: Ab auf das Sofa und die nächste Folge der Lieblingsserie schauen. Oder vielleicht auch die nächsten zwei. Oder drei.

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Es gibt viele gute Gründe, Serien zu schauen. Nebst Entspannung finden wir darin auch Bereicherung: Wir sehen fern, um uns mit Themen auseinanderzusetzen, die uns interessieren. Oder um grosse Gefühle zu erleben, Aufregung und Nervenkitzel, die uns der Alltag nicht immer bietet. Auch soziale Faktoren spielen eine Rolle: Wenn in der Mittagspause wieder diese neue Show das Gesprächsthema ist, möchte man natürlich mitreden können. Und schliesslich ist es eine Bewältigungsstrategie. Fachleute sprechen auch von Eskapismus. Denn: Beim Fernsehen können wir den Problemen der realen Welt entfliehen und in eine spannende, fiktionale Welt eintauchen.

Doch wie jeder Konsum kann auch Serienkonsum zu einer Sucht werden. Den stundenlangen Serienkonsum nennt man Binge-Watching. Das englische Wort «binge» bezeichnet eine masslose Tätigkeit. Binge-Watching ist ein neueres Phänomen. Vor allem ein Grund leistet ihm Vorschub: Noch nie war es so einfach, an Serien und Filme heranzukommen. Um einen Filmmarathon machen zu können, musste man früher DVDs kaufen. Heute bieten uns Streamingdienste eine immense Auswahl schier endloser Unterhaltung, die bequem per Mausklick und zum kleinen Preis erhältlich ist. «Binge-Watching ist neu normal», verkündete Netflix 2013: Eine Umfrage hatte ergeben, dass 61 Prozent der Abonnenten regelmässig zwei bis sechs Episoden einer Serie schauen. In der Schweiz ist lediglich der Konsum unter Jugendlichen bekannt: 54 Prozent streamen täglich oder mehrmals pro Woche Serien, wie eine Umfrage 2018 ergab. Eine klare Definition, ab wann Serienschauen zu einer ungesunden Sucht wird, gibt es noch nicht. Das Phänomen ist noch relativ wenig erforscht.

Serien rauben den Schlaf

Klar ist: Diese Weise der Realitätsflucht betreiben häufig auch depressive Personen, deswegen könnten sie eher zu Binge-Watching neigen. Sie suchen Trost in den Serien. Ebenso könnten einsame Menschen eher einen Hang zu ausuferndem Fernsehkonsum haben. Denn dabei gehen sie eine Art Freundschaft mit den fiktiven Figuren ein, es entwickelt sich eine einseitige Beziehung, die das Gefühl der Zugehörigkeit stärkt und die Einsamkeit lindert.

Binge-Watching kann sich auch negativ auf die Gesundheit auswirken. Es stört zum Beispiel oft den normalen Schlafrhythmus. Schlafprobleme nehmen zu, je öfter man exzessiv Serien schaut. Schlaf und mentale Gesundheit aber sind eng miteinander verbunden. So können Schlafstörungen das Risiko für Depressionen, Angsstörungen oder Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität vergrössern. Was einen wiederum anfälliger macht für übermässigen Serienkonsum. Ein Teufelskreis.

Doch zuviel Bildschirmzeit hat auch ganz konkrete körperliche Auswirkungen. Unsere Augen werden davon zwar nicht viereckig – aber trocken. Denn wenn man konzentriert auf den PC blickt, sinkt die Liedschlagfrequenz. Die Folge: Der Tränenfilm wird nicht mehr gleichmässig über den Augapfel verteilt, es entstehen Risse darin und die Augen werden gereizt. Bei trockenen Augen reagiert man lichtempfindlich, es können Sehstörungen auftreten oder die Lider anschwellen. Dies nennt sich digitaler Sehstress.

Blaues Licht – eine Gefahr?

Manche vermuten gar noch verheerendere Auswirkungen: Die Displays von Handys, Tablets und Laptops sind heute mit Leuchtdioden, sogenannten LEDs, ausgestattet. Diese erzeugen weisses Licht, in dem sie gelbes und blaues Licht mischen. Blaues Licht aber ist womöglich schädlich für das Auge: Energiereiches Licht wie das blaue könnte zu fotooxidativem Stress für die Netzhaut führen. Das bedeutet: Im Auge entstehen besonders reaktive Sauerstoffmoleküle, die Eiweisse und Fette schädigen und letztlich Sehzellen absterben lassen können. Diese Sehzellen werden nicht mehr ersetzt, die Sicht verschlechtert sich. Das zeigen die Ergebnisse einer französischen Studie, welche Wissenschaftler an Ratten durchgeführt haben.

Blauem Licht begegnen wir indes nicht nur bei LEDs. Es ist in geringerem Masse auch Bestandteil von anderen Lampen und besonders von natürlichem Sonnenlicht. Letzteres übertrifft LED-Licht bei weitem, was die Helligkeit angeht. Diese wird in Lux gemessen. An einem klaren Tag erreicht die Helligkeit der Sonne um die 100 000 Lux. Die durchschnittliche Bildschirmhelligkeit beträgt rund 50 Lux. Bei diesem Vergleich müssen wir allerdings berücksichtigen, dass wir selten über längere Zeit direkt in die Sonne starren, in den Bildschirm hingegen schon. In der oben erwähnten französischen Studie führten bei einer grossen Helligkeit von 6000 Lux alle Beleuchtungsmittel zu fotooxidativem Stress in den Ratten. Bei 500 Lux – normaler Zimmerlampenlichtstärke – waren jedoch nur die LEDs schädlich.

Wissenschaftler sind sich in dieser Frage allerdings nicht einig. Der amerikanische Arzt David Ramsay, ein Spezialist für Netzhauterkrankungen, vertritt die Meinung, dass die geringe Menge an blauem Licht von elektronischen Geräten weder die Netzhaut noch irgendeinen anderen Teil des Auges beeinträchtigt. Die Frage ist also nicht abschliessend geklärt.

Zum Schluss gibt es doch noch eine gute Nachricht für alle Serien-Junkies: Wenn ein Paar Serien schaut, kann das die Beziehung stärken und zu mehr Nähe führen. Die Qualität der Beziehung steigt nämlich, wenn die Partner ein soziales Netzwerk teilen. Versteht man sich im realen Leben aber nicht so gut mit Freunden oder Familienmitgliedern des Lebenspartners, können Bücher, Filme oder eben TV-Sendungen diesen Mangel kompensieren. Man kann es sich also ohne schlechtes Gewissen hin und wieder vor dem Fernseher bequem machen. Am besten zu zweit.

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