Das Aargauer Kunsthaus hat von 2017 bis 2019 54 Werke aus seiner Sammlung im Hinblick auf ihre Herkunft hin erforscht. 50 Bilder gehören zur Sammlung Häuptli aus Aarau, die einen wichtigen Bestandteil der Aargauer Sammlung darstellt. Diese Sammlung entstand zwischen den 1930er- und den frühen 1950er-Jahren. Vier weitere Werke wurden mit einbezogen; davon galten drei von Paul Klee zur Zeit des Nationalsozialismus als «entartet». Ein weiteres stammt von Ferdinand Hodler, dessen Werke damals im internationalen Kunsthandel gut vertreten waren.
Bei 17 Werken ist die Provenienz zwischen 1933 und 1945 lückenlos rekonstruiert und unbedenklich. 23 Werke weisen noch Lücken auf in ihrer Geschichte, weil entsprechende Hinweise noch fehlen. Basierend auf dem aktuellen Kenntnisstand können sie jedoch als unbedenklich eingestuft werden. Bei sieben Werken kann nicht ausgeschlossen werden, dass es Zusammenhänge zu Raubkunst gibt, konkrete Hinweise darauf fehlen jedoch.
Bei weiteren sieben Werken konnte aus diversen Gründen keine Kategorisierung gemäss den Vorgaben des Bundes vorgenommen werden. Der Schlussbericht über die Provenienzforschung kann auf der Website des Aargauer Kunsthauses eingesehen werden. An einer öffentlichen Veranstaltung am 22. August gab das Aargauer Kunsthaus am Beispiel von ausgewählten Werken von Paul Klee zudem Einblick in diese Forschung.
Simona Ciuccio, das Aargauer Kunsthaus hat 54 Kunstwerke aus seiner Sammlung untersucht. Gäbe es noch mehr, die einer Untersuchung bedürften?
Es gibt durchaus noch weitere Werke, die wir untersuchen möchten, aber im Gegensatz zu anderen Häusern haben wir grundsätzlich wenige Kunstwerke, bei denen ein problematischer Hintergrund überhaupt möglich wäre, weil wir ja hauptsächlich spezialisiert sind auf Schweizer Kunst.
Simona Ciuccio
Könnten solche Untersuchungen ohne Unterstützung des Bundes überhaupt durchgeführt werden?
Eigentlich gehört das heute zur Museumsarbeit dazu. Wenn heute ein Werk neu ins Haus kommt, prüft man es immer gleich im Hinblick auf eine möglicherweise problematische Herkunft. Aber man will natürlich ohnehin grundsätzlich über die Geschichte eines Kunstwerks Bescheid wissen. Fundierte Recherchearbeiten jedoch, wie wir sie jetzt gemacht haben, sind für ein Haus unserer Grösse ohne zusätzliche Mittel nicht machbar.
Wie sieht das bei anderen Museen aus?
Es waren zwölf Museen, die in einer ersten Runde ein Gesuch ans Bundesamt für Kultur (BAK) gestellt haben, um Unterstützung für Provenienzforschung zu erhalten. Nun läuft bereits die zweite Runde; die Museen sind also sehr froh, dass sie diese Unterstützung vom Bund erhalten. Wenn mehrere Kunsthäuser Provenienzforschung betreiben, gibt es den Vorteil, dass man sich untereinander austauschen kann.
Auf welche Schwierigkeiten stösst man bei dieser Arbeit?
Provenienzforschung ist wie Detektivarbeit. Man beginnt zu suchen, doch so eine Suche kann auch mal ins Leere laufen. Der Zeitraum, den diese Forschung betrifft, also 1933 bis 1945, ist eine lange Zeit, und es war Krieg. Das bedeutet, dass viele Dokumente schwer oder gar nicht zugänglich sind. Es gibt Archive, bei denen es sehr lange dauert, bis sie geöffnet werden. Möglich ist auch, dass man lange recherchiert, aber ein einziges, wichtiges Puzzlestück einfach nicht findet.
Welches sind die Quellen, die bei der Provenienzforschung genutzt werden?
Das Erste, was man tut, wenn man Provenienzforschung betreibt, ist, dass man das betreffende Bild von hinten anschaut – anders als die Betrachter, die von vorne schauen. Auf der Hinterseite hat es möglicherweise Zollstempel, die Hinweise geben können, Ausstellungsetiketten, Sammleretiketten oder ein Etikett des Rahmens. Das sind die ersten Fährten, auf denen man sich bewegt. Anschliessend geht man ins eigene Archiv und schaut, ob es irgendwelche Schriften aus dieser Zeit zu diesem Bild gibt. Dann kontaktiert man Nachfahren von Sammlern, wenn es welche gibt, schaut, ob andere Galerien oder Auktionshäuser Informationen haben zu einem Werk oder ob es ein Werkverzeichnis gibt, in dem es auftaucht. Je nachdem, wo die Fährte hinführt, konsultiert man auch noch Archive in den USA, in Deutschland oder anderen Ländern. Manchmal findet man zwar nicht das, was man suchte, aber etwas anderes, das von grossem Interesse ist. Deshalb arbeitet man oft nicht nur an einem Bild, sondern untersucht mehrere Werke parallel. Und selbstverständlich tauscht man sich auch mit anderen Forschern aus.
Wenn ein Werk nirgendwo dokumentiert ist, ist das bereits ein Hinweis auf eine unsaubere Herkunft?
Das ist eigentlich meist eher ein Hinweis darauf, dass es sich um ein unproblematisches Werk handelt, weil es wahrscheinlich im Zeitraum 1933 bis 1945 nicht im Kunsthandel war oder es wenig Besitzerwechsel gegeben hat. Wenn beispielsweise ein Bild vor 1933 direkt von einem Maler an einen Sammler verkauft wurde und viele Jahrzehnte bei diesem blieb, dann sieht die Rückseite des Bildes ziemlich leer aus, und das ist in diesem Fall ein gutes Zeichen.
Bei einigen der von Ihnen untersuchten Werke blieben Fragen offen.
Das ist normal. Wenn man sich vorstellt, dass es lange her ist, dass diese Werke in eine Sammlung aufgenommen wurden, dass es zu dieser Zeit einen Krieg gab und dass man damals noch nicht sensibilisiert war darauf, wie wichtig es ist, alles sauber zu dokumentieren, dann ist es nicht verwunderlich, dass es Lücken gibt. Auf der anderen Seite haben wir auch sehr viel herausgefunden, aber halt noch nicht alles. Das gehört zur Provenienzforschung dazu. Nachforschungen bringen nicht immer die ganze Biografie eines Bildes lückenlos ans Licht.
Anschliessend werden die erforschten Werke kategorisiert. Wie funktioniert das?
Das BAK arbeitet mit den vier Kategorien A, B, C und D. A bedeutet völlig unproblematisch und D besagt, dass ein Werk eindeutig Raubkunst ist und eine faire und gerechte Lösung gefunden werden muss. B heisst, es gibt noch Lücken, aber diese weisen nicht darauf hin, dass es einen Zusammenhang mit Raubkunst gibt. Bei C gibt es Lücken, und diese könnten im Prinzip Hinweise auf Raubkunst sein, müssen es aber nicht. Die Realität lässt sich aber nicht so einfach kategorisieren, das heisst, es gibt bei B und C ganz viele Unterkategorien.
Was passiert mit den Bildern, die noch Lücken haben?
Bei gewissen Werken wissen wir, dass es sehr schwierig wird, offene Lücken noch zu füllen. Bei anderen sind wir weiterhin dran. Schliesslich sind wir bestrebt, unsere Sammlung möglichst gut aufzuarbeiten. Das ist für unser Haus wichtig, aber es ist auch befriedigender, wenn man diese Arbeit ganz machen und dann abschliessen kann.
Können Sie ein Beispiel nennen für ein Werk, bei dem es hinsichtlich der Herkunft noch Lücken gibt, die möglicherweise problematisch sein könnten?
Das Gemälde «Märkische Landschaft» von Erich Heckel beispielsweise. Es entstand zwischen 1913 und 1915, wurde gleich danach mehrmals an verschiedenen Orten ausgestellt und verschwand dann bis 1964, als es in der Sammlung Häuptli auftauchte, die wir jetzt untersucht haben. Zu dieser Zeit arbeitete jemand an einem Werkverzeichnis von Erich Heckel und machte das Ehepaar Heckel darauf aufmerksam, dass dieses Gemälde in Aarau ist. Darauf entspann sich ein Briefwechsel zwischen Othmar Häuptli und den Heckels, der erhalten geblieben ist. Die Heckels folgten einer Einladung nach Aarau und schauten sich das Bild an. Das ist belegt. Aber es fanden dann natürlich auch viele mündliche Gespräche statt, die nirgends aufgezeichnet und wohl kaum vollständig rekonstruierbar sind. Somit werden wohl Lücken in der Biografie des Bildes bestehen bleiben, und es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass es problematische Besitzerwechsel gegeben hat. Dagegen spricht, dass für Erich Heckel die Situation offensichtlich zufriedenstellend war. Ihm selbst wurde also kein Schaden zugefügt. Trotzdem weiss man nicht, was mit dem Bild passiert ist.
Ist Provenienzforschung heute Pflicht oder einfach selbstverständlich?
Wir haben uns diese Pflicht selbst auferlegt, weil dies heute zur Museumsarbeit einfach dazugehört. Manchmal hängt es auch nicht von den Ressourcen ab, ob zufriedenstellende Resultate erarbeitet werden können, sondern weil die Quellen versiegen. Es kann sein, dass es mal kein Resultat gibt.
Lücken in der Biografie eines Ihrer Werke ändern nichts daran, dass die Bilder dem Aargauer Kunsthaus gehören?
Nein, das wird nicht infrage gestellt. Die Sammlung, die wir untersucht haben, ist seit 1983 in unserem Haus und gehört damit auch der Öffentlichkeit. Bei keinem der Werke mit bestehenden Lücken gibt es einen anderen Grund zu handeln, als den, weiter zu recherchieren.
Was geschieht mit Werken, die eindeutig als Raubkunst identifiziert werden?
Dann richtet man sich nach den sogenannten Washingtoner Prinzipien von 1998, einer Übereinkunft, die die Schweiz mit vielen anderen Staaten unterschrieben hat, und die besagt, dass man sich bemühen muss, eine faire und gerechte Lösung zu finden. Es gibt aber viele Möglichkeiten, wie das stattfinden kann. Wenn es Erben gibt, nimmt man mit ihnen Kontakt auf und schaut, welche Möglichkeiten es gibt. Das heisst aber noch nicht, dass ein Werk auf jeden Fall ein Museum verlassen muss. Man kann sich auch anders einig werden. Institutionen haben heute eine rechtliche, eine institutionelle, aber auch eine moralische Verantwortung für ihre Sammlungen, der sie gerecht werden müssen und innerhalb derer sie in Problemfällen eine gerechte, faire Lösung für alle Beteiligten finden müssen.
Kann man sagen, dass es bei der Provenienzforschung in erster Linie darum geht, die Werke zu dokumentieren, und nicht, sie möglichst irgendwem zurückgeben zu wollen?
Es geht darum, so viel wie möglich über ein Werk herauszufinden und es zu dokumentieren – auch öffentlich. Genauso wie man die Farben und Malschichten eines Gemäldes untersucht, schaut man, wo sich das Bild zeit seines Lebens befunden hat. Das ist darum wichtig, weil ohne eine lückenlose Dokumentation nicht entschieden werden kann, welches der nächste Schritt sein könnte.