«Viele denken, dass es grosse Entbehrungen braucht, bis man auf dem Eis so viel erreicht wie ich. Aber ich habe es ganz anders in Erinnerung. Ich musste auf nichts verzichten. Zwar habe ich schon früh regelmässig trainiert; aber immer nur so viel, wie ich wollte. Man musste mich schon immer mehr bremsen als pushen. Ich wollte ständig aufs Eis. Diese Leidenschaft ist bis heute geblieben.
Dass sie überhaupt entfacht wurde, war Zufall. Denn auch meine Mutter liebte das Schlittschuhlaufen. Als ich fünf Jahre alt war, hat sie mich und meine Schwester auf die Eisbahn am Dolder mitgenommen, weil sie eigentlich für sich selbst trainieren wollte. Für mich hingegen war es der Anfang von allem. Das Eis und ich waren vom ersten Moment an eins. Und weil ich wie die Grossen darauf laufen wollte, habe ich mir alles von ihnen abgeschaut. Das war ganz spielerisch.
Natürlich kommt man nur mit Spielen nicht an die Weltspitze; aber am Anfang übte ich wirklich still in meiner Ecke an der Bande vor mich hin. Dabei fiel ich den Trainern auf. Sie meinten, ich hätte Talent. Und so boten sie uns an, mich zu unterrichten. Doch zuerst wollte ich für mich üben. Dann, mit sieben Jahren, habe ich zugestimmt. Wie viel meine Mutter zu diesem Entscheid beigetragen hat, weiss ich heute nicht mehr. Aber sie war danach immer mit dabei beim Training und später lange auch bei Wettkämpfen.
Aber treibende Kraft war immer ich. Doch meine Mutter hat mich stets unterstützt. Weil wir uns damals nicht mehr als eine Stunde Unterricht pro Woche leisten konnten, hat sie jeweils notiert, was der Trainer korrigierte. So konnte ich auch in meiner Freizeit weiter gezielt an mir arbeiten. Ich machte schnell Fortschritte.
Dabei ging es mir aber nie um Ruhm. Zwar träumte ich seit meiner ersten Begegnung mit dem Eis davon, Weltmeisterin zu werden; dies aber nicht wegen der Popularität, sondern weil es das Ziel eines jeden Sportlers ist. Als Kind fand ich es schrecklich, wenn ich im Zentrum des Interesses stand. Ich war sehr schüchtern. Selbst mein Vater durfte mich nur aus der Ferne filmen, weil mir die Aufmerksamkeit unangenehm war. Glücklicherweise war das an Wettkämpfen aber nie ein Thema für mich. Denn da ging es nicht um mich, sondern um die Sache an sich.
Zur Person
Denise Biellmann, geb. 1962 in Zürich, gewann mit acht Jahren ihren ersten internationalen Wettkampf. Sie wurde dreimal Schweizer Meisterin, Olympiasiegerin in der Kür, Europa- und Weltmeisterin. 1981 zog sie sich aus dem Amateursport zurück, tourte als Stargast, unter anderem für Holiday on Ice, durch die ganze Welt. Sie konnte aber auch bei den Profis grosse Erfolge feiern und wurde elffache Profi-Weltmeisterin. Auch heute tritt sie noch in verschiedenen Eisrevuen auf. 2014 wurde sie als erste Schweizerin in die World Figure Skating Hall of Fame gewählt. Denise Biellmann lebt zusammen mit dem früheren britischen Eiskunstläufer Colin Dawson, mit dem sie auch einmal verheiratet war, in der Nähe von Zürich.
Beim Eiskunstlauf zählen Kraft, Anmut und Beweglichkeit. Woher ich das alles habe? Ich war immer sehr sportlich, habe vorher schon Akrobatik, Ballett und eine kurze Zeit auch Kunstturnen gemacht. Durch das zusätzliche Training auf dem Eis hatte ich bereits alles, was ich brauchte. Das ergänzte sich. Beispielsweise habe ich die Choreografien immer zuerst auf dem Tanzboden geübt. Das gab mir Sicherheit. Erst wenn die neuen Bewegungsabläufe klappten, habe ich sie aufs Eis übertragen.
Die Idee für die nach mir benannte Pirouette, bei der man ein Bein nach hinten über Kopfhöhe in den Spagat streckt und dabei den Schlittschuh mit beiden Händen festhält, kam mir in der Akrobatikstunde. Als ich meiner Mutter davon erzählte, schlug sie vor, die Figur auch auf dem Eis zu tanzen und mich dabei zu drehen. Der Gedanke gefiel mir. Unter anderem, weil eine neue Pirouette mehr Punkte von den Preisrichtern einbringen würde und auch für das Publikum äusserst attraktiv mitzuerleben ist. Deshalb transponierte ich das Ganze gemeinsam mit meinem Trainer aufs Eis.
Die Biellmann-Pirouette im Video
Immer wieder wurde behauptet, die Pirouette sei zu Unrecht nach mir benannt. Das steht sogar auf Wikipedia zu lesen; aber es stimmt nicht. Die dort erwähnte «Iten-Pirouette» ist meiner zwar nicht unähnlich. Aber sie kann allenfalls als Vorform der Biellmann-Pirouette betrachtet werden. Die International Skating Union hat die «Biellmann-Pirouette» ohne mein Zutun nach mir benannt und in die offiziellen Regeln aufgenommen. Es ist für mich eine grosse Ehre und macht mich stolz, in die Geschichte des Eislaufens einzugehen. Mit der Pirouette kann man an Wettkämpfen punkten und die höchste Punktzahl erreichen.
Schöne Momente habe ich aber auch bei der Weltmeisterschaft 1981 erlebt, als ich Erste wurde: Meine Kür war fehlerfrei. Deswegen bekam ich Standing Ovations – obwohl meine härteste Konkurrentin, die US-Amerikanerin Elaine Zayak, in Connecticut ein Heimspiel hatte.
Über all die Jahre, in denen ich aktiv war, hat mir am meisten geholfen, dass ich immer an der langen Leine gehalten worden bin. Meine Familie, mein Partner, meine Freunde und meine Trainer haben mich immer unterstützt. Niemand hat mich gedrängt, sondern ich allein konnte das Tempo vorgeben. Deswegen habe ich bis heute nie die Freude verloren an dem, was ich tue. Und das ist wichtig: Denn nur, wer glücklich ist, ist motiviert.»