Allmählich machte sich Gerald Kooyman Sorgen. Vor mehr als vierzig Minuten war Bulle Nummer 377 in dem Eisloch verschwunden. Erwartungsvoll lag Kooyman seither mit einer tickenden Stoppuhr in der Hand vor dem Loch, das er im antarktischen Polarsommer 1964/65 mithilfe einer Motorsäge und etwas Dynamit ins Meereis vor der Küste der Ross-Insel geschlagen hatte. Würde der stattliche Weddellrobbenbulle nach dieser langen Zeit wieder auftauchen? Oder hatte er irgendwo fernab ein anderes Atemloch gefunden? Dann wären auch die Messgeräte verloren, die der junge Doktorand der University of Arizona im Fell des wuchtigen Tieres verankert hatte. Kooymans besonderer Stolz: ein selbst entworfener Zeittiefenrekorder auf Basis einer mechanischen Eieruhr, der während des Tauchgangs ein Tiefenprofil in eine mit Russ beschichtete Glasscheibe kratzte.

Seine Sorge erwies sich als unbegründet. Nummer 377 war einfach nur ein besonders guter Taucher. Nach vollen 43 Minuten und 20 Sekunden erschien der Bulle endlich wieder im Loch, und als er prustend nach Luft schnappte, konnte Kooyman ihm die in seinem Nacken befestigten Geräte abnehmen. Die zeigten später, dass das Tier unter den 31 Artgenossen, die der Biologe über zwei Polarsommer hinweg mit seinen Geräten ausstattete, nicht nur den längsten Atem hatte, sondern auch am tiefsten tauchte: Auf der Jagd nach Fischen erreichte er Tiefen von bis zu 600 Metern.

Neue Art, Tiere zu studieren

Dank der modifizierten Eieruhr, die erstmals detaillierte Verhaltensdaten eines tauchenden Tieres aufzeichnete, gilt Kooyman heute als Pionier einer ganzen Forschungsdisziplin: der Wildtiertelemetrie, auch Biologging genannt. Bis dahin hatten Verhaltensbiologen lediglich Laborratten durch Labyrinthe geschickt. Mit der neuen Methode wollten sie vermehrt auch wild lebenden Tieren auf die Schliche kommen. Dazu fangen Wissenschaftler die Tiere mit Fallen, Netzen oder einem Betäubungsgewehr für wenige Minuten ein, um ihnen allerlei Messgeräte, Sensoren und Sender mit auf den Weg zu geben. Die Geräte sollen ihren Träger so wenig wie möglich stören und fallen meist nach einer Weile von selbst wieder ab.

Die Technologie in diesen künstlichen Anhängseln ist inzwischen sehr vielfältig. Ein nach wie vor gebräuchlicher Klassiker ist die Funkpeilung mittels eines am Tier befestigten Senders. Dessen Signale lassen sich mithilfe einer tragbaren Richtantenne anpeilen und damit die Position des Tieres bestimmen. Das hält den Forscher allerdings auf Trab, denn er muss seinem Objekt auf den Fersen bleiben. Einfacher sind da Geräte, welche die gewünschten Daten selbstständig aufzeichnen. In dieser Disziplin gilt Kooymans Tiefenrekorder zwar als bahnbrechend, doch seine Aufzeichnungen waren noch auf maximal sechzig Minuten beschränkt, dann machte die Eieruhr schlapp.

Dagegen registrieren moderne Rekorder über Monate hinweg und zum Teil im Sekundentakt eine ungleich grössere Fülle von Daten. Gleichzeitig wurden die Geräte so klein, dass man sie auch an Vögeln oder Fledermäusen anbringen kann. Seit Ende der 90er-Jahre enthalten sie meist GPS-Empfänger, welche die Position des Tieres genau bestimmen und die Daten entweder direkt via Satellit oder SMS übermitteln oder zum späteren Auslesen speichern. Noch winziger als GPS-Geräte – und daher für Studien mit kleineren Zugvögeln beliebt – sind sogenannte Geolokatoren, die Zeit und Lichteinfall messen. Daraus lässt sich später der Zeitpunkt von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang und damit halbwegs genau der Standort des Tieres bestimmen. Solche Geolokatoren wurden zum Beispiel verwendet, um die Flugrouten der Küstenseeschwalbe aufzuzeichnen.

Unglücke vorhersehen

Jedoch beschränkt sich modernes Biologging längst nicht mehr auf die geografische Position des Tieres. Bewegungssensoren messen Beschleunigung und Lage im Raum, Kameras liefern Aufnahmen aus der Perspektive des Tieres, und selbst Atem- und Herzfrequenz, Körpertemperatur oder Sauerstoffsättigung des Blutes lassen sich überwachen. Mit all dem Aufwand sind Biologger erstaunlich vielfältigen Fragestellungen auf der Spur. Sie reichen von der grundlegenden Biologie und Ökologie einer Art über optimierte Schutzkonzepte für bedrohte Arten bis hin zu einem besseren Verständnis, wie Tiere auf Veränderungen der Umwelt, etwa durch den Klimawandel, reagieren.

Auch der Mensch kann davon profitieren, wenn sich etwa die Ausbreitung einer Vogelgrippe dank genauerer Daten zu den Zugrouten besser vorhersagen lässt. Und Biologen am Max-Planck-Institut im deutschen Radolfzell arbeiten an der Idee, mit Sendern ausgerüstete Tiere als Frühwarnsystem für Erdbeben oder Vulkanausbrüche einzusetzen. Sie statteten an den Hängen des Ätna lebende Ziegen mit GPS-Sendern aus und zeichneten über Jahre hinweg ihre Bewegungsmuster auf. Und tatsächlich: Stunden vor grösseren Ausbrüchen – noch bevor Geologen in ihren Messdaten Anzeichen für eine Eruption sahen – beobachteten die Forscher eine ungewöhnlich erhöhte Aktivität bei den sizilianischen Ziegen. Allerdings reichen ihre Daten noch nicht für eine zuverlässige Vorhersage.

Das könnte sich nun bald ändern, denn im Februar startete «Icarus» ins Weltall. So nennt sich eine neue Satellitentechnologie, mit deren Hilfe Wildtierdaten direkt in den Orbit gesendet werden können. Dafür wird bald eine erste Testantenne auf der internationalen Raumstation ISS installiert. Der entscheidende Vorteil: Die dazugehörigen Sender wiegen zwischen einem und fünf Gramm. Damit liessen sich auch kleine Vögel und sogar Insekten ausstatten, ohne dass sie unter der Last zu leiden hätten. Abertausende oder gar Millionen solcher ihren Standort funkenden Tiere sollen dann zu einem Internet der Tiere zusammengeschlossen werden und völlig neue Erkenntnisse über das Leben auf der Erde liefern, so die Vorstellung der Forscher.

Als der noch heute aktive Gerald Kooyman 1964 seine ersten Eieruhren auf Weddellrobben platzierte, konnte er kaum ahnen, wie sich diese Disziplin einmal entwickeln würde. Dabei hat ihr Goldenes Zeitalter, so die Meinung vieler Wissenschaftler, eben erst begonnen.

Beobachtung aus der Ferne: Luchs und Dachs

In der Schweiz begann die Erforschung von Tieren mittels Telemetrie Anfang der 1980er-Jahre. «Damals dachten viele Experten, im alpinen Gelände funktioniere die Verfolgung über Funksender gar nicht», sagt Urs Breitenmoser, Leiter des Wildtierprogramms Kora. Denn in den Bergen werden die Funkstrahlen oft abgelenkt. Der Biologe liess sich aber nicht entmutigen: Im Jahr 1983 stattete er erstmals einen Luchs mit einem Senderhalsband aus. Er unternahm lange Wanderungen, um den Funkkontakt zu seinem Schützling nicht zu verlieren. So konnte er dessen Reviergrösse ermitteln – und staunte: Ein über 1800 Quadratkilometer grosses Territorium durchstreifte die Raubkatze.

Urs Breitenmoser (rechts) und sein Kollege Heinrich Haller im Jahr 1984 mit einem betäubten Luchs.Urs Breitenmoser

Urs Breitenmoser (rechts) und sein Kollege Heinrich Haller im Jahr 1984 mit einem betäubten Luchs.

Auch Dachse, Hirsche und Füchse untersuchten Forscher schon früh mit Telemetrie. Später ermöglichten immer leichtere Sender, auch kleinere Tierarten aus der Ferne zu verfolgen: beispielsweise Birkhühner, Störche oder Waldschnepfen.

Der Wolf wehrt sich

Vor wenigen Jahren haben Forscher der Vogelwarte Sempach an mehreren Hundert Rotmilanen Ortungsgeräte angebracht. Die Greifvögel geben den Biologen Rätsel auf: Sie haben sich in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten rasant verbreitet. Mittels Telemetrie wollen die Forscher nun die Gründe dafür herausfinden. Auch im Schweizerischen Nationalpark sind GPS-Geräte im Einsatz, um das Verhalten von Rothirschen, Gämsen und Steinböcken aufzuzeichnen. Bei einer Tierart hingegen hat in der Schweiz bisher erst ein einziges Exemplar einen Sender erhalten: ein junger Wolf. Mehr Wölfe mit Sendern auszustatten, wäre wünschenswert, sagt Christina Steiner, Präsidentin des Vereins CH-Wolf. Zur Forschung, aber auch, um Schafherden zu schützen. Doch: «Wölfe aufzuspüren und zu fangen, ist schwierig und kostspielig.» Und die GPS-Ortung am bisher einzigen Exemplar überlebte das grobe Spiel der Jungwölfe genau eine Woche.

Die Erstversion dieses Beitrags erschien am 20. Oktober 2017.
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