Das musst du wissen
- Fast fünf Prozent der Ukraine-Flüchtlinge bringen ihr Haustiere in die Schweiz – aktuell etwa 800 Tiere.
- Die Ukraine gilt als Tollwut-Risikoland, weil die Fuchstollwut dort endemisch ist. Hunde sind aber viele geimpft.
- Für alle ungeimpften Vierbeiner aus der Ukraine hat der Bund Vorschriften erlassen.
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Inhaltsübersicht:
- Was ist die Tollwut?
- Wie und von wem wird die Tollwut übertragen?
- Welchen Impfschutz gibt es für Mensch und Tier, und wann wird eine Impfung empfohlen?
- Wie macht sich die Tollwut bemerkbar?
- Wie viele Haustiere sind aktuell mit Flüchtlingen aus der Ukraine in die Schweiz gereist?
- Welche Regeln gelten für Personen aus der Ukraine, die Haustiere mitbringen?
- Wie wurde die Schweiz tollwutfrei?
- Wie gross ist das Risiko, dass die ukrainischen Haustiere die Tollwut in die Schweiz einschleppen?
- Wo auf der Welt ist die Tollwut heute noch verbreitet?
Nicht nur Menschen aus der Ukraine passieren derzeit die Schweizer Grenzen; auch tierische Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet kommen bei uns an. Denn ihre Haustiere wollen viele Menschen auf der Flucht nicht zurücklassen. Und genau für diese Tiere macht der Bund nun eine Ausnahme: Sie dürfen auch ohne Tollwut-Impfung einreisen. Welche Gefahr geht von diesen Tieren aus – und wie gross ist das Risiko, dass die tödliche Virusinfektion in die Schweiz – seit 1999 tollwutfrei –eingeschleppt wird? higgs hat mit dem Leiter der Schweizerischen Tollwutzentrale gesprochen und die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.
Was ist die Tollwut?
Die Tollwut ist eine seit dem Altertum bekannte, immer tödlich verlaufende Virusinfektion. Bereits der babylonische Kodex Eshnunna aus dem 23. Jahrhundert vor Christus – eine Sammlung von Rechtssprüchen auf Tontafelfragmenten – enthält einen spezifischen Hinweis auf die Hundetollwut und ihre Übertragung. So heisst es dort:
«Wenn ein Hund tollwütig ist und die Behörden haben den Besitzer darauf aufmerksam gemacht, und wenn der Besitzer den Hund nicht einsperrt, und wenn dann dieser Hund einen Menschen beisst und letzterer an Tollwut stirbt, so muss der Besitzer des Hundes vierzig Schekel Strafgeld bezahlen.» Geldstrafen sind heute zwar keine mehr zu befürchten, doch die Viruserkrankung ist meldepflichtig.
Die für den Menschen gefährlichste Form der Tollwut ist die Hundetollwut oder urbane Tollwut, die weltweit für mehr als neunzig Prozent aller Tollwutfälle bei Menschen verantwortlich ist. Gemäss der WHO sterben bis heute jährlich mehr als 50 000 Personen an Tollwut, davon sechzig Prozent in Asien und rund 36 Prozent in Afrika. Wesentlich geringer ist die Gefährdung für den Menschen bei der durch Wildtiere übertragenen Form der Tollwut. Dies, weil Menschen eher selten von Wildtieren gebissen werden. Die Ansteckung kann aber auch indirekt via einem Hund erfolgen, der von einem kranken Wildtier infiziert wurde.
Wie und von wem wird die Tollwut übertragen?
Das Tollwutvirus wird unter den Hauptüberträgern von Tier zu Tier weitergegeben, kann aber auch auf andere Säugetiere und den Menschen übertragen werden. Letzteres nennt man in der Fachsprache eine Zoonose. Empfänglich sind alle Säugetiere, wobei bestimmte Fleischfresser Hauptüberträger sind. Die Ansteckung erfolgt am häufigsten über Biss- oder Kratzverletzungen, kann aber auch über den Kontakt mit Schleimhäuten oder verletzter Haut mit Speichel von tollwütigen Tieren erfolgen. Damit ist die Tollwut grundsätzlich nur schwer übertragbar, im Gegensatz etwa zum Coronavirus, bei dem wir uns über Tröpfchen oder Aerosole anstecken.
In Europa ist der Fuchs der häufigste Träger und Überträger der Tollwut. Doch auch wildlebende Marder, Dachse, Wiederkäuer und Pferde sowie Katzen und Hunde können das Virus weitergeben, wenn sie von einem Fuchs angesteckt wurden. Speziell der Hund ist für uns Menschen relevant: «Der Hund ist der für den Menschen gefährlichste Hauptüberträger, da er unser nächster Gefährte aus dem Tierreich ist», sagt der TierarztReto Zanoni, Leiter der Schweizerischen Tollwutzentrale.
Welchen Impfschutz gibt es für Mensch und Tier, und wann wird eine Impfung empfohlen?
Beim Tier: Seit der Ausrottung der Fuchstollwut im Jahr1999 gibt es in der Schweiz keine Impfpflicht für Hunde mehr. Empfohlen wird die Tollwut-Impfung jedoch von Tierärzten nach wie vor, dasselbe gilt für Katzen. Obligatorisch ist die Tollwut-Impfung sowohl bei Hunden und Katzen bei Reisen ins Ausland. Führt die Reise in ein Tollwut-Risikoland, ist zudem eine sogenannte Titerkontrolle vorgeschrieben. Dabei wird im Blut die Menge an schützenden Antikörpern gegen das Tollwut-Virus gemessen. Ist die Zieldestination kein Tollwut-Risikoland, liegt aber im Ausland, ist eine solche Titerbestimmung nach einem Monat vorgeschrieben. Der Impfschutz hält nicht ein Leben lang und muss immer mal wieder aufgefrischt werden. Bei Reisen ins Ausland ist dies in der Schweiz generell alle drei Jahre amtlich vorgeschrieben.
Beim Menschen: Wir Menschen können uns vorbeugend gegen Tollwut impfen. Hierzulande empfohlen ist dies Personen, die aufgrund ihres Berufs oder ihren Freizeitaktivitäten dem Risiko einer Tollwutexposition ausgesetzt sind. Dazu gehören Personen, die in einer Tierarztpraxis arbeiten, Studierende der Veterinärmedizin, Tierpfleger, Tierhändlerinnen, Angestellte der Tierseuchenpolizei, Fledermaus-Forschende – weil Fledermäuse eine spezifische Art der Tollwut haben können – sowie allgemein Personen, die in Beruf oder Freizeit regelmässig mit Fledermäusen in Kontakt kommen. Auch Menschen, die im Labor in der Tollwut-Diagnostik arbeiten, wird eine Impfung empfohlen. In Gebieten mit sogenannt terrestrischer Tollwut – also der Tollwut bei Säugetieren, die nicht fliegen können – empfiehlt sie sich zudem Wildhüterinnen, Tierpräparatoren, Waldarbeitenden, Jägerinnen und dem Personal von Schlachthöfen. Gleiches gilt für Menschen in der Entwicklungszusammenarbeit. In der Reisemedizin wird die Tollwutimpfung für bestimmte Ländern empfohlen, das BAG führt hierfür eine Liste. An diesen Impf-Empfehlungen hat auch die aktuelle Situation mit Haustieren von Flüchtlingen aus der Ukraine – einem Tollwut-Risikoland – nichts geändert.
Was und wie wird geimpft? Bei der Tollwutimpfung handelt es sich um Tollwutviren, die in Zellkultur produziert, gereinigt und inaktiviert werden, erklärt Reto Zanoni. Die Impfung der Risikopersonen umfasst zwei Dosen im Abstand einer Woche, die in den Oberarmmuskel gespritzt werden. Nach 21 Tagen wird die Konzentration der Tollwut-Antikörper im Blut gemessen, die oben erwähnte Titerkontrolle. Eine Booster-Impfung wird nach zwölf Monaten empfohlen, falls das Expositionsrisiko weiterhin oder erneut besteht. Gleiches gilt in der Reisemedizin, wenn ein weiterer Aufenthalt in einem Risikoland geplant ist.
Beim Verdacht, durch etwa einen Biss eines tollwütigen oder verdächtigen Tieres oder auch kontaminiertem Labormaterial mit dem Tollwutvirus in Kontakt gekommen zu sein, sollte unmittelbar eine Impfung erfolgen. Dies ist wichtig, weil das Virus nicht nachgewiesen werden kann, wie Reto Zanoni erklärt: «Das Virus wird erst bei einer Erkrankung im Speichel ausgeschieden und ist bis dahin nach einer Ansteckung bei Tier und Mensch in keiner Art und Weise nachweisbar.» Menschen, die bereits vorbeugend gegen Tollwut geimpft waren, erhalten eine erneute Impfung, die aus zwei Dosen im Abstand von drei Tagen besteht. Zudem muss nach zwei Wochen eine serologische Kontrolle erfolgen. Bei vorher ungeimpften Personen besteht das Impfschema aus vier Impfungen – jeweils an den Tagen null, drei, sieben und 14 – gefolgt von einer Titerkontrolle am Tag 21. Bei hautdurchdringenden Verletzungen wird die Wunde gleichzeitig mit Tollwut-Immunglobulinen infiltriert.
Wie macht sich die Tollwut bemerkbar?
Beim Tier: Erste Symptome der Tollwut sind Verhaltensveränderungen, Fieber oder Juckreiz an der Bissstelle. In der akuten Krankheitsphase zeigt sich die sogenannte «rasende» oder auch die «stille» Wut. Erstere äussert sich durch Hyperaktivität, erhöhte Beissbereitschaft, Schluckbeschwerden und vermehrtem Speichelfluss. Wildtiere verlieren oft die natürliche Scheu vor dem Menschen, aber reagieren bei Berührung mit Beissen. Beim Rind ist vor allem die stille Wut zu beobachten – sie zeigt sich mit Verdauungsstörungen und verstärktem Geschlechtstrieb. Die letzte Krankheitsphase geht mit Lähmungen einher. Über ein Koma führt die Krankheit schliesslich zum Tod. Dieser tritt nach Auftreten der ersten Symptome innerhalb von vier bis zehn Tagen ein.
Beim Menschen: Erste Symptome zeigen sich rund zehn Tage bis drei Monate nach der Ansteckung: Dazu gehören generelles Unwohlsein, Fieber, Muskelschmerzen. Zudem haben Betroffene am Ort der Bissverletzung Sensibilitätsstörungen, sie nehmen also keinen Schmerz, Druck oder Temperaturunterschiede mehr wahr. Anschliessend kommen unbeabsichtigte Bewegungen, Krämpfe, Wutanfälle sowie Atem- und Schluckkrämpfe dazu. Später folgen Lähmungen und schliesslich das Koma. Die Erkrankung lähmt innert weniger Tage das Atmungszentrum und führt zum Tod.
Wie viele Haustiere sind aktuell mit Flüchtlingen aus der Ukraine in die Schweiz gereist?
Fast fünf Prozent der ukrainischen Flüchtlinge nehmen ihre Katze oder ihren Hund mit, so eine Schätzung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). Wenn man von rund 17 000 Flüchtlingen ausgeht, die sich gemäss der Schweizerischen Flüchtlingshilfe Stand Ende März in der Schweiz registriert haben, sind das bereits mehr als achthundert Tiere. Momentan kämen bei den Kantonen täglich Meldungen zu neuen Haustieren aus der Ukraine an, heisst es beim BLV – eine Gesamtübersicht über die Schweiz gebe es allerdings noch nicht.
Welche Regeln gelten für Personen aus der Ukraine, die Haustiere mitbringen?
Normalerweise kommt bei der Einfuhr von Tieren aus Tollwut-Risikoländern wie der Ukraine das «European Pet Travel Scheme» zum Zug. Für die spezielle humanitäre Situation in der Ukraine wurden Massnahmen verfügt, die sich so gut als möglich an dieses Schema anlehnen. So werden bei der Ankunft alle Tiere registriert. Erfasst wird unter anderem, ob sie einen Chip tragen und gegen Tollwut geimpft sind. Hunde und Katzen, die nicht geimpft sind, oder bei denen Zweifel über den Impfschutz bestehen, werden geimpft. An wen sie sich hierfür wenden sollen, dazu bekommen Hundebesitzer und Katzenhalterinnen an der Grenze Informationen, sagt eine BLV-Sprecherin. «Sollte dies nicht klappen – infolge der vielen Flüchtlinge – müssen sie sich beim zuständigen kantonalen Veterinäramt melden.» Dies könne auch über den Privattierarzt erfolgen.
Damit das Risiko gering bleibt, dass sich andere Tiere und Menschen mit der Tollwut anstecken, hat der Bund für Personen mit Haustieren Vorschriften festgelegt. So müssen Katzen für 120 Tage zuhause gehalten werden – dürfen also nicht ins Freie – und Hunde sind draussen strikt an der kurzen Leine zu halten. «Dies allenfalls mit Maulkorb, sodass es keine Kontakte ausserhalb der betroffenen Familie gibt», sagt der Leiter der Schweizerischen Tollwutzentrale Reto Zanoni. «Wer ein Tier hält, muss ausserdem darauf sensibilisiert werden, bei abnormalem Verhalten des Tieres sofort eine tiermedizinische Fachperson zu konsultieren», ergänzt er. Insbesondere bei Bissen müsse sofort mit ärztlichen Fachpersonen das korrekte Vorgehen eruiert werden.
Wie gross ist das Risiko, dass die ukrainischen Haustiere die Tollwut in die Schweiz einschleppen?
Das BLV schätzt das entsprechende Risiko als gering ein. Begründung: Ein grosser Teil der mitgenommenen Heimtiere sei gegen Tollwut geimpft oder hatte keinen Kontakt zu Wildtieren. Das BLV verweist zudem auf die Einschätzung des EU-Referenzlabors für Tollwut. Dieses hält fest: Zwar sei die Fuchstollwut in der Ukraine noch endemisch – darum ist die Ukraine ein Risikoland –, und die Krankheit trat in den vergangenen Jahren auch bei ungeimpften Hunden und Katzen auf. Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein ungeimpfter Hund oder eine ungeimpfte Katze zum Zeitpunkt des Grenzübertrittes in der Inkubationsphase befindet – also in jener Phase, in der die Erkrankung nach einer Ansteckung ausbricht und das Tier erst ansteckend wird – sehr gering: Von 300 000 Tieren ist ein einzelnes betroffen. Bei geimpften Hunden und Katzen sei die potenzielle Gefahr des Ausbruchs der Tollwut noch geringer.
Auch Reto Zanoni von der Schweizerischen Tollwut-Zentrale beruhigt:
Gegenüber den klassischen Einfuhr-Regeln der EU sei das Risiko zwar leicht erhöht und kaum kalkulierbar, insgesamt aber klein. «Wenn die beschriebenen Massnahmen greifen, kann auch im schlimmsten Fall alles Nötige rasch genug umgesetzt werden.» Eine korrekt durchgeführte nachträgliche Impfung gewährleiste bei ungeimpften exponierten Personen eine hundertprozentige Sicherheit vor einer Erkrankung. Somit bestehe keine Gefahr für die weitere Ausbreitung der Tollwut unter Hunden oder die Erkrankung von Menschen.» Und beruflich gefährdete Personen wie tierärztliches Personal seien ohnehin vorbeugend geimpft.
Wie wurde die Schweiz tollwutfrei?
Die Hundetollwut wurde in Westeuropa bereits im 19. Jahrhundert durch den Hundebann ausgerottet – also durch Maulkorb- und Leinenzwang, schildert Reto Zanoni. Nach der Erfindung der Tollwutimpfung durch Louis Pasteur im Jahr 1885 dann auch mittels Impfung der Hunde. Die Fuchstollwut, welche die Schweiz im Jahr 1967 erreichte, wurde ab 1978 bekämpft, was zur offiziellen Tollwutfreiheit im Jahr 1999 führte. Dies war eine weltweite Premiere. Erreicht wurde dies mit Hühnerkopfködern. Sie dienten noch bis 1990 als impfstoffbeladene, essbare Köder, die für die Füchse im Wald und auf Wiesen ausgelegt wurden. Mit der Übernahme dieses Prinzips durch andere Länder sei unter anderem die ganze EU frei geworden von dieser Form der Tollwut, fasst Zanoni zusammen. Die EU subventioniere diese Impfungen auch in Grenzregionen von Nicht-EU- Ländern.
Wo auf der Welt ist die Tollwut heute noch verbreitet?
Die Hundetollwut grassiert bis heute in Teilen von Südamerika, in Ost- und Südosteuropa – etwa in der Türkei – sowie in ganz Afrika und Asien. Dies wird in der Reisemedizin durch die vorbeugende Impfung von Reisenden in diese Länder berücksichtigt. Die Fuchstollwut ist im Osten von Europa noch nicht ausgerottet, inklusive der Ukraine und Russland. Unabhängig von dieser sogenannt terrestrischen Form der Tollwut gibt es weltweit die Fledermaustollwut – auch in der Schweiz. Reto Zanoni erklärt: «Dabei handelt es sich um Tollwutviren, die sich an Fledermäuse als Wirt angepasst haben.» Im europäischen Raum sei die Falldichte jedoch mehr als hundertfach geringer als bei von Wildtieren übertragenen Form der Tollwut, und das Virus werde kaum je auf andere Tiere und Menschen übertragen.