Das musst du wissen

  • Die Berner Firma MB-Microtec stellt Leuchtelemente aus radioaktivem Tritiumgas her.
  • Ein erheblicher Teil dieses Tritiums geht bei der Produktion jedoch verloren, was teuer ist.
  • Mit einer neuen Recycling-Anlage kann die Firma die Verluste jedoch fast vollständig zurückgewinnen.
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Auf den ersten Blick sieht die Firma aus wie jede andere. Nichts weist darauf hin, dass hier mit radioaktivem Material gearbeitet wird. Dass hier leuchtende Röhrchen entstehen, die einst Waffenvisiere amerikanischer Polizisten zieren werden. Ein erster Fingerzeig: Die Eingangstür öffnet sich unter Zischen, da Luft von aussen ins Gebäude strömt. Denn drinnen herrscht Unterdruck gegenüber der Aussenwelt: So soll nichts unkontrolliert entweichen. Gleiches gilt für die Maschinen im Untergeschoss der Firma MB-Microtec, die alle einzeln in einer Glasbox stecken, auch darin Unterdruck. Diese Massnahmen sind Teil der hohen Sicherheitsauflagen, die das Arbeiten mit dem schwach radioaktiven Gas Tritium mit sich bringt.

Wie gefährlich ist Tritium?

All die Vorkehrungen können freilich nicht verhindern, dass kleinste Mengen Tritium aus den Maschinen entweichen. «Ein bisschen Emission hat man immer», sagt Roger Siegenthaler, Geschäftsführer von MB-Microtec. Er zeigt auf einen Monitor, der die aktuelle Strahlenbelastung im Raum angibt. Da steht: Zwei Mikrocurie pro Kubikmeter. Diese Einheit gibt die Aktivität des Tritiums an. Das Gas ist also in kleinsten Mengen in der Luft. Ist das ein Grund zur Sorge? Siegenthaler winkt ab: Erst bei fünfzig würde der Strahlenschutzexperte gerufen, bei tausend müssten alle den Raum verlassen. Doch nicht nur drinnen, sondern auch draussen lässt sich in der Nähe des Unternehmens Tritium nachweisen, das über die Abluft und das Abwasser in die Umwelt gelangt – etwa in Niederschläge oder in Früchte und Gemüse. Auch hier besteht aber kein Grund zur Sorge, da die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden.

Doch wie gefährlich ist diese Strahlung denn nun? Die Gefahr für den Menschen wird bei radioaktiver Strahlung in Sievert gemessen. Gemäss Strahlenschutzverordnung gilt für die Bevölkerung ein Grenzwert von maximal einem Millisievert pro Jahr. Dieser Wert schliesst die Belastung aller Kernkraftwerke und Unternehmen in der Schweiz ein, die mit radioaktiven Stoffen arbeiten. In Abluft und Abwasser darf dieser Wert pro Betrieb und Jahr nicht mehr als dreihundert Mikrosievert, als 0,3 Millisievert betragen; der regelmässige Verzehr von belastetem Regenwasser und Gemüse nicht mehr als zehn Mikrosievert, also 0,01 Millisievert. Zum Vergleich: Pro Jahr ist jeder Schweizer und jede Schweizerin durch natürliche und künstliche Quellen einer durchschnittlichen Strahlenbelastung von fast sechs Millisievert ausgesetzt. Ab hundert Millisievert kann es für den Menschen gefährlich werden.

Strahlenbelastung im Alltag

Radioaktivität ist allgegenwärtig und natürlich. Sogar in unserem Körper befinden sich Millionen von Atomen, die beim Zerfall radioaktive Strahlung aussenden. Etwa Kalium-Atome, die wir über Lebensmittel wie Bananen aufnehmen. Strahlung trifft uns aber auch täglich aus dem Weltall. Dabei ist diese kosmische Strahlung beim Fliegen in rund 10 000 Metern Höhe rund hundertmal stärker als am Boden. Mehr als die Hälfte der durchschnittlichen jährlichen Strahlendosis von 5,6 Millisievert in der Schweiz stammt jedoch von Radon in schlecht belüfteten Wohnräumen. Dieses Edelgas entsteht beim Zerfall des natürlichen Urans im Gestein. Erhebliche Dosen stammen auch aus der Medizin, etwa beim Röntgen mit einem Computertomografen. Nur einen Bruchteil der Belastung macht hingegen die Strahlung aus Kernkraftwerken, Industrie und Forschung aus.

Solche Werte sind hier im Berner Industriegebiet nicht zu befürchten, beteuert Siegenthaler. Nicht einmal, wenn das schlimmste aller möglicher Ereignisse eintreten sollte: ein Vollbrand des Gebäudes. Denn die Mengen an Tritium, die die Firma lagern darf, sind streng limitiert, sodass die Belastung bei einem Vollbrand zwei Millisievert nicht überschreitet. «In unserem Tresor darf sich nicht mehr Tritium befinden, als wir in drei Monaten verbrauchen können», sagt der Firmenchef. Wie viel Tritium das aber genau ist, gibt Siegenthaler nicht bekannt.

Warum leuchtet Tritium?

Klar ist aber, was mit dem Rohstoff hier geschieht: Maschinen füllen das Tritiumgas in lange, sehr dünne Glasröhrchen ab. Diese haben teilweise einen Innendurchmesser von nur 0,1 Millimeter – in etwa so viel wie ein menschliches Haar. Anschliessend schneidet ein Laser die Röhrchen auf verschiedenste Längen zu. Im Glas gefangen, entfaltet das Tritium seine ganze Kraft: Als radioaktives Isotop zerfällt es und gibt dabei ionisierende Strahlung ab. Diese Strahlung regt den fluoreszierenden Leuchtstoff Zinksulfid an, mit dem die Innenwände der Röhrchen beschichtet sind. Die Röhrchen beginnen, zu leuchten. Dieses faszinierende Schauspiel zeigt sich erst im Dunkeln – hier in der Firma, sobald die Deckenlampen ausgehen. Dann glimmern die sogenannten Tritium-Gaslichtquellen in allen erdenklichen Farben und in verschiedensten Formen nebeneinander auf dem Tisch: Gerade orange, rote und blaue Röhrchen finden sich hier neben runden grünen Knöpfen und gebogenen gelben Stäbchen. Früher nutzten viele Firmen dafür Leuchtpasten aus anderen radioaktiven Substanzen, wie Radium – dessen Strahlung aber sehr gefährlich ist.

Uhr mit leuchtendem ZiffernblattLoren Bedeli

Eine Uhr mit einem durch Tritium leuchtenden Ziffernblatt.

Radioaktive Leuchtmittel in der Industrie

Armbanduhren, Weckeranzeigen oder Flugzeuginstrumente leuchteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Radium. Damals war noch nicht bekannt, wie gefährlich die von diesem Stoff ausgehende radioaktive Strahlung ist – vor allem für die Fabrikarbeiterinnen. Diese trugen das Radium mit einem Pinsel auf, den sie zuvor mit den Lippen befeuchteten. So gelangte die krebserregende Substanz in ihren Körper. Viele der als «Radium Girls» bekannt gewordenen Arbeiterinnen starben später an den Folgen dieser hohen Verstrahlung. Erst in den 1960er-Jahren wurde das stark radioaktive Radium vom schwach radioaktiven Tritium abgelöst. Im Vergleich zu Radium mit seiner Halbwertszeit von 1600 Jahren, ist Tritium sehr kurzlebig: die Halbwertszeit beträgt rund zwölf Jahre, nach 45 Jahren hat es «ausgestrahlt». Zudem ist Tritium eine chemische Variante des Wasserstoffs, ein sogenanntes Isotop. Als solches gelangt es im Körper überall hin, wo Wasser zirkuliert. Wird damit aber auch schnell wieder ausgeschieden.

Uhren und Visiere mit Tritium

Die Tritium-Röhrchen enden schliesslich in Dingen, die uns allen vertraut sind: Beispielsweise als Leuchtzeiger in Uhren und Weckern, als Notausgangsschilder oder als Beleuchtung für Instrumente in Autos oder Flugzeugcockpits. Doch nicht nur: Auch Visiere, also Kimme und Korn, von Schusswaffen werden damit bestückt, wodurch Schützen auch im Dunkeln zielen können. Die Rüstungsindustrie ist einer der wichtigsten Abnehmer für Tritium-Röhrchen. «Der Rüstungsmarkt ist ein sehr grosser Markt, vor allem wenn es der Welt schlecht geht», sagt Roger Siegenthaler. Das heisst: Rüstet die Welt auf, steigt die Nachfrage der Rüstungsindustrie nach Leuchtvisieren. Ist hingegen Abrüstung angesagt und die Wirtschaftslage gut, landen die Röhrchen eher in Uhren. Nimmt man die Leuchtelemente als Gradmesser, geht es der Welt im Moment eher schlecht: So hat zum Beispiel die Terrorbedrohung in den USA und Israel einen Aufrüstungsschub ausgelöst, der in Bern nachhallt: Zu den Grosskunden von MB-Microtec zählen insbesondere Polizeieinheiten und Waffenhersteller in den USA und in Israel. Wo ganz genau im Produkt der Kunden die Lichtquellen verbaut werden, weiss aber auch Siegenthaler oft nicht. Denn die Firma liefert lediglich die Leuchtelemente, in Aluminiumhülsen oder anderen kleinen Halterungen befestigt. Die Endmontage findet beim Kunden statt.

Röhrchen werden mit der Flamme bearbeitetstudiojeker

In der Fertigung der Tritium-Röhrchen.

Halbwertszeit von Tritium beträgt zwölf Jahre

Begehrt sind die Leuchtröhrchen, weil sie selbstleuchtend sind, zudem leicht, klein und wartungsfrei. Das Gas hat eine Halbwertszeit von 12,3 Jahren. Das heisst: Erst nach dieser Zeit ist die Hälfte des Tritiums zerfallen. Es dauert also über zehn Jahre, bis das Röhrchen nur noch mit halber Kraft leuchtet. «Das schafft aktuell keine Batterie», sagt Siegenthaler. Deshalb sind die Tritium-Röhrchen so gefragt, gerade für Einsätze im Militärbereich, wo sich keiner darauf verlassen will, dass eine Batterie nicht im falschen Moment plötzlich leer ist.

Die Produktion hat allerdings eine zentrale Schwachstelle: Wenn die Mitarbeiter die mit dem Gas gefüllten Röhrchen auf die gewünschte Länge zu schneiden, entstehen Reststücke, die im Abfall landen. Und da die Röhrchen so filigran sind, geht auch hier und da eines zu Bruch. So verliert die MB-Microtec insgesamt ein Viertel des eingekauften Tritiums – und das schmerzt. Denn der aus kanadischen Kernreaktoren stammende Rohstoff ist teuer: Ein Gramm kostet 33 000 US-Dollar.

Neue Recycling-Anlage

Tritium-Verarbeiter träumen deshalb davon, das Radionuklid zu recyceln. Geschafft haben das bisher nur die Berner. Mit ihrer eigens entwickelten Recycling-Anlage können sie seit 2021 rund neunzig Prozent des hauseigenen Tritium-Abfalls zurückgewinnen. Früher landete dieser im Bundeszwischenlager für radioaktive Abfälle am Paul-Scherrer-Institut im Aargauischen Villingen, jetzt kann es wieder verwendet werden.

Ein Mitarbeiter steht in der Tritium-Recyclinganlage.studiojeker

Die Tritium-Recyclinganlage.

Ein Jahr lang haben David Corpataux, der Leiter der Recycling-Anlage, und sein Team dafür an der Maschine rumgetüftelt – eine streng geheime Mission. Die grösste Herausforderung war, zu verhindern, dass das radioaktive Gas während des Recyclingprozesses entweicht. Wie sie das geschafft haben? Das bleibt ein Geheimnis. «Tritium zu recyceln haben auch schon Konkurrenten von uns versucht – und sind gescheitert», sagt David Corpataux. Das Einzige, was er sich entlocken lässt, ist, dass es dabei sowohl um die Handhabung des radioaktiven Abfalls als auch um technische Finessen ging. Das Prinzip der Wiedergewinnung an sich sei aber keine Hexerei, betont Corpataux. Zuerst muss das Tritiumgas aus den Glasröhrchen befreit werden, um es dann zu reinigen und wieder einzufangen. Aktuell befindet sich die Recycling-Anlage in Bern noch in der Testphase. Sie sei jedoch quasi produktionsreif, sagt Corpataux. Und verweist dabei auch schon auf die Zukunft: Neben dem hauseigenen Abfall möchte er hier in einem zweiten Schritt auch jenen ihrer Kunden, also beispielsweise schadhafte Zeiger oder Ziffernblätter, wiederverwerten.

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Warum aber überhaupt an radioaktiven Leuchtelementen festhalten? Weil sie im Moment unschlagbar sind. «Alle Alternativen mit LED und Batterie müssen früher oder später an eine Steckdose», sagt Siegenthaler. Und können auch punkto Grösse und Schwere mit den winzigen Tritium-Leichtgewichten aktuell nicht mithalten. Er räumt aber ein: «Der zukünftige Fortschritt in diesem Bereich ist natürlich ein latentes Risiko für unsere Technologie». Klar ist aber: Selbst wenn die Tritium-Elemente einst abgelöst werden – leuchten werden sie noch viele Jahrzehnte. Auf Waffenvisieren und an Handgelenken.

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