Das musst du wissen

  • Ob Dorsch, Dorade oder Lachs: Speisefische sterben auf Fangbooten vielfach einen langsamen und leidvollen Tod.
  • Demgegenüber stehen Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Fische gefühlvolle und intelligente Lebewesen sind.
  • Ein möglicher Ausweg sind Aquakulturen. Doch auch in diesen muss künftig mehr auf das Wohl der Tiere geachtet werden.

Um die Menschheit zu ernähren, werden Fische zu Millionen mit grossen Netzen aus dem Meer gezogen. Und noch bei lebendigem Leib im Laderaum der Boote verstaut. Dort, eingepackt in Eis, sterben sie einen langsamen Tod. Dass wir auf diese grausame Weise mit Fisch umgehen, hat auch damit zu tun, dass sie gemeinhin als wenig intelligente, gefühlslose Lebewesen betrachtet werden, die nicht in der Lage sind, Schmerz zu empfinden. Doch zusehends ändert die Forschung das Bild vom «dummen Fisch» grundlegend und die gesamte Branche muss ihren Umgang mit diesem Lebewesen überdenken.

«Fische lernen schnell und können sich für lange Zeit an etwas erinnern», sagt Culum Brown von der Macquarie University in Sydney. Der Meeresbiologe befasst sich seit Jahren mit der Intelligenz von Fischen. «Sie erkennen und unterscheiden andere Individuen und haben Vorlieben für einander», sagt er. «Sie bauen zum Teil komplexe Nester und sie bringen einander Dinge bei.»

Schon 2011 haben Forschende in einem Korallenriff beobachtet, wie ein Lippfisch in seinem Mund eine Muschel zu einem Felsen transportierte, um diesen als Amboss zum Aufbrechen der Muschel zu verwenden. Das heisst, Fische verwenden genau wie Schimpansen Werkzeuge, um an ihre Nahrung zu gelangen – ein Zeichen von Intelligenz.

Eine von Browns Lieblingsstudien zeigt ausserdem, wie Fische einen Ort, an dem sie einen Stromstoss kriegen, meiden, selbst wenn man dort Futter hinlegt. «Wenn den Fischen jedoch drei Tage lang kein Futter gegeben wurde, dann nehmen sie den Stromstoss in Kauf, um an das Futter zu gelangen», erzählt Brown. Das zeigt, dass Fische auf Schmerz reagieren und sogar abwägen können, in welchen Fällen Schmerz akzeptabel ist.

Auch Schweizer Forschende befassen sich mit dem Gefühlsleben von Fischen. Redouan Bshary, Meeresbiologe an der Universität von Neuenburg, untersucht Putzerlippfische. Diese säubern andere Fische, ihre «Klienten», von Nahrungsresten und abgestorbenen Hautfetzen. Und sie geben ihnen mit ihren Brustflossen eine Massage. «Wir haben herausgefunden, dass die Massagen das Stresshormon Cortisol in den Fischen senkt. Das deutet darauf hin, dass die Massagen den Fischen Freude bereiten», sagt Bshary. Und: Die Klienten suchten die Putzerfische auch dann auf, wenn sie ausser der Massage keine anderen Dienste von ihnen bekommen. «Das heisst, das Vergnügen selbst wird von den Klienten als vorteilhaft und erstrebenswert betrachtet», sagt Bshary.

Wikimedia Commons/Mbz1

Ein Bäumchen-Lippfisch wird von zwei Putzerlippfischen verwöhnt.

Langsame Tode

Gerade wegen solcher Befunde, welche Fische als intelligente und fühlende Lebewesen zeigen, wird deren Tötung zunehmend als Problem für das Tierwohl betrachtet. «Traurigerweise werden die meisten Fische weltweit immer noch nicht human getötet», sagt Robert Hubrecht, Direktor der Humane Slaughter Association, einer Tierschutzorganisation in Grossbritannien. «Zu den weniger schönen Methoden gehört beispielsweise das Ersticken ausserhalb des Wassers.» Der Einfachheit halber werden die Fische manchmal nur auf das Eis im Lagerraum geworfen, wo sie bei Bewusstsein erfrieren. Oder die Fischer bluten sie via Kiemenschnitt aus, ohne dass die Tiere erst betäubt wurden. «Fische, die an Bord gezogen werden, bleiben bis zu zwei Stunden bei vollem Bewusstsein», sagt Hubrecht. Am humansten ist es, die Tiere durch einen Stromstoss oder einen Schlag auf den Kopf zu betäuben und sie erst dann mit einer der oben beschriebenen Methoden zu töten.

Doch tausende von Fischen in kurzer Zeit artgerecht zu betäuben, ist in der Praxis nicht möglich. Zwar sind in Fischfarmen bereits automatisierte Tötungsmaschinen im Einsatz, doch diese sind noch nicht ausgereift, sagt Billo Heinzpeter Studer von Fair-fish International. «Beim Betrieb muss man darauf achten, dass nur Fische von gleicher Grösse und alle mit dem Kopf voran in die Anlage gelangen», erklärt er. Sonst sitzt der Schlag oder der Stromstoss nicht richtig – und die Fische werden nicht betäubt.

Darum hat die Humane Slaughter Association nun eine Projektausschreibung lanciert. Für 1,7 Millionen Pfund will sie die Entwicklung einer neuen Tötungsmaschine für Fischfarmen fördern. Ebenso führt Norwegen erste Tests mit elektrischen Betäubungsanlagen auf Fischfangbooten durch. Ob ein solches System in Zukunft flächendeckend auf hoher See zum Einsatz kommt, steht jedoch in den Sternen.

Aquakultur als Ausweg?

Als einen möglichen Ausweg aus der Krise der Ozeane sehen viele Experten die Aquakultur. «Sie hat viel grössere Chancen, um auf die Bedenken in Sachen Tierwohl zu reagieren», sagt Meeresbiologe Culum Brown. «Ich glaube, dort liegt die Zukunft.» Bei der Aquakultur werden die Fische entweder in geschlossenen Tanks auf dem Land oder in Netzkäfigen in Küstennähe im Meer gehalten. Dort werden sie gefüttert, bis sie schlachtreif sind.

Wikimedia Commons/Brataffe

Hier werden Lachse gezüchtet: Eine Aquakultur vor der Küste Norwegens.

Dass die Aquakultur für die Welternährung eine immer wichtigere Rolle spielen wird, denkt auch Christopher Zimmermann, Leiter des Instituts für Ostseefischerei in Rostock. Doch auch diese Methode steht nicht kritikfrei da. «Mit der Mast von Fischen handelt man sich die gleichen Probleme ein wie mit der Mast von Landtieren», sagt Zimmermann. «Dazu gehören unter anderem die Umweltbelastung durch Fäkalien oder der Einsatz von Antibiotika gegen Krankheiten.»

Zudem ist auch bei Aquakulturen das Tierwohl ein Problem. Denn oft werden Fische in Zuchten nicht artgerecht gehalten. Zwar gibt es Standards, doch diese sind gesetzlich nicht verbindlich. «Häufig sind zu viele Fische in einer Anlage zusammengepfercht», sagt Billo Heinzpeter Studer. Sein Forschungsteam berät Fischfarmen punkto Tierwohl. Zu den am häufigsten beanstandeten Mängeln zählen, dass es keine Mitarbeiter gibt, die in Sachen Tierwohl geschult sind oder dass viele Becken keine Strukturen enthalten, in denen sich die Fische verstecken können. Dass kranke Tiere nicht regelmässig entfernt werden oder dass die Tiere beim Schlachten länger als die empfohlenen 15 Sekunden ausserhalb des Wasser verbringen, was zum Leiden des Fischs durch Sauerstoffmangel führt. Und ebenso wie bei der Meeresfischerei stehen auch in Aquakulturen die Schlachtmethoden in der Kritik. Auch hier werden die Fische häufig noch lebend in Eis gepackt, was zu einem langsamen und wohl qualvollen Tod führt.

Ein weiteres Problem der Aquakultur ist ökologischer Natur. Denn ganz abgekoppelt von den Weltmeeren sind die Fischbecken nicht. Die auf den Tellern beliebten Raubfische wie Lachs, Forelle, Dorade oder Wolfsbarsch fressen nämlich kein Soja oder andere pflanzliche Produkte. Sie benötigen Fischmehl und zwar zwei bis vier Mal so viel, wie später als Fischfleisch geerntet wird. Das Fischmehl stammt von Sardinen, Makrelen und anderen kleinen Fischen – insgesamt rund zwölf Millionen Tonnen pro Jahr – die im Meer gefangen werden und folglich in der Nahrungskette der Meere fehlen.

Trotzdem ist die Produktion von Fisch in einer Zucht oder auch der Wildfang ökologisch weniger bedenklich als die Mästung von Kühen, Schweinen und Hühnern, sagt Meeresbiologe Christopher Zimmermann. Sollte also die Aquakultur beim Tierwohl einen grossen Schritt nach vorne machen, könnte sie dereinst zu einer wichtigen, umweltschonenden und ethisch vertretbaren Quelle von tierischem Protein werden.

 

Serie

Fischfang

Warum uns die Fische ausgehen, liest du im 1. Teil der Serie.

Der 3. Teil am Samstag beschäftigt sich mit dem Thema Beifang: den Fischen, Meeressäugern oder Vögeln, die der Fischerei ungewollt zum Opfer fallen.

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