Das musst du wissen
- Regelmässig sonntags aufs Auto verzichten – zu diesem Anliegen scheiterten politische Vorstösse schon mehrfach.
- Nun steht die Forderung erneut im Raum. Die Grüne Partei möchte, dass der Bundesrat autofreie Sonntage verordnet.
- Die Akzeptanz könnte wegen des Ukraine-Krieges hoch sein: Er bringt ein emotionales Ereignis in die Debatte.
Die Spritpreise klettern in die Höhe: Sie sind eine direkte Folge des russischen Krieges in der Ukraine – und rufen in der Schweiz bereits Politiker auf den Plan. Grünen-Präsident Balthasar Glättli forderte unlängst, dass der Bund zum Benzinsparen autofreie Sonntage einführt. Dies hatte der Bundesrat schon bei der Ölkrise im Jahr 1973 verordnet, als die arabischen Ölstaaten den Hahn zudrehten – um die westlichen Industriestaaten zu einer Abkehr ihrer israelfreundlichen Politik zu zwingen. Autofreie Sonntage gab es in der Schweiz zudem 1956 nach der Suezkrise – gestützt auf Notrecht – damals allerdings in einer Zeit mit viel weniger Autos.
Auch jetzt, mehrere Jahrzehnte später, könnte ein Konflikt im Ausland uns wiederum autofreie Sonntage bescheren. Als eine Aktion mit Symbolcharakter beschreibt es Politiker Glättli: «Es würde zeigen, dass wir bereit sind, auf gewisse Dinge zu verzichten», sagte er gegenüber der NZZ am Sonntag. Nebst den autofreien Sonntagen ist für Glättli auch ein Tempolimit von achtzig oder hundert Stundenkilometer auf der Autobahn sowie eine gedimmte nächtliche Strassenbeleuchtung denkbar.
Zu diesen Forderungen hat sich der Bundesrat bislang zwar nicht geäussert, doch die Chancen könnten nicht schlecht stehen. Zumindest basierten autofreie Sonntage in der Vergangenheit immer auf aktuellen Krisensituationen – und nicht etwa auf Motiven wie Umweltschutz oder Klimawandel. Obschon es ökologisch begründete Vorstösse in der Schweiz mehrfach gab.
Autofrei? Nein, nein, und nochmals nein
Erste Begehren gehen bis ins Jahr 1932 zurück, als in der Schweiz das Bundesgesetz über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr in Kraft trat. Mehrere Anläufe im Parlament scheiterten, zum Beispiel eine parlamentarische Initiative, die 1976 ein Verbot von Motorfahrzeugen an acht Sonntagen forderte. Auch ein autofreier eidgenössischer Bettag – der Gegenvorschlag des Bundesrates – scheiterte. Bis vors Volk schafften es derweil zwei Initiativen: 1978 die Volksinitiative «Für zwölf motorfahrzeugfreie Sonntage pro Jahr», angestossen von einer Gruppe von Studierenden; 2003 die «Sonntags-Initiative», die für immerhin vier autofreie Sonntage im Jahr plädierte – eine pro Jahreszeit.
Beide Vorstösse hoben den Nutzen für die Umwelt hervor. Die erste Initiative betonte, wie die Luftqualität durch weniger Abgase verbessert werden könnte. Weniger «Luftverpestung» und Lärm würde weniger Stress für die Bevölkerung bedeuten. Mit «gut für die Volksgesundheit» argumentierten auch 2003 die Köpfe hinter der Sonntags-Initiative. Sie betonten, die Schweiz solle wieder mehr Raum für «die lustvollen Sonntagsaktivitäten» erhalten. Begegnungszonen auf öffentlichen Plätzen und Strassen sollten Velofahrer, Fussgänger und Skater erfreuen. Das sei auch eine Chance für den Tourismus.
Chancenlos waren die Vorstösse jedoch an der Urne: Beide Initiativen erlitten Schiffbruch; das Volk lehnte sie mit mehr als sechzig Prozent Nein-Stimmen ab. Die Argumente: Die persönliche Freiheit werde eingeschränkt, das Vorhaben sei unrealistisch und der ökologische Nutzen zweifelhaft. Zudem wurden staatliche Vorschriften nicht gern gesehen.
Es braucht ein emotionales Ereignis
Die damaligen Initiativen hatten also einen schweren Stand – hingegen schien die Akzeptanz für autofreie Tage in der Ölkrise der 1970-er Jahren breiter zu sein. Bilder und Videoaufnahmen der damaligen Zeit zeigen Menschen, die sich in Volksfeststimmung auf den Strassen tummeln und finden, so etwas bräuchte es eigentlich öfter. Sind wir beim Thema autofrei also gewillter, wenn es «ans Geld geht» – hohe Benzinpreise – oder wenn ein historisches Ereignis – die Ölkrise – mitspielt? Könnte somit der aktuelle Ukraine-Krieg den Weg ebnen für autofreie Sonntage in der Schweiz?
Durchaus, sagt Lukas Fesenfeld, Politologe an der Universität Bern, der zu Klimapolitik forscht. Er erklärt: «Damit Menschen offen sind für persönliche Verhaltensänderungen, braucht es ein aktuelles, emotionales Ereignis, das unsere tiefliegenden Werte und Normen aktiviert.» Eine rein abstrakte Information – beispielsweise: dass man Putins Regime nicht mit dem Treibstoffkauf unterstützen wolle, oder auch der Klimawandel – allein reiche nicht aus. «Spielen aber Emotionen mit, Ängste, eine direkte Betroffenheit, wird dies mit unseren inneren Werten in Verbindung gebracht.» Solidarität, Mitgefühl, ökologisches Verantwortungsbewusstsein zum Beispiel. Diese Situation trifft beim aktuellen Ukraine-Krieg zu: «Es besteht eine geographische und soziale Nähe», sagt Fesenfeld. Zum einen ist das Kriegsgebiet nicht allzu weit von der Schweiz entfernt, zum anderen erreichen uns täglich Bilder, die uns aufwühlen: Frauen und Kinder auf der Flucht, zerbombte Häuser, Verwundete im Spital. «Wird also ein Ereignis, das Nähe schafft, mit etwas Abstraktem verbunden, kann diese Kombination sehr wirkungsvoll sein», fasst Fesenfeld zusammen.
Weniger Geld im Portemonnaie als i-Tüpfelchen
Was ebenfalls mitspielt: Der Ukraine-Krieg ist – im Gegensatz zum Klimawandel – deutlich sichtbar. «Die Frage: Existiert dies tatsächlich, oder: Wie schlimm ist es wirklich?, stellt sich hier nicht», veranschaulicht der Politologe: «Dass in der Ukraine Krieg herrscht, ist nicht von der Hand zu weisen. Und das löst unmittelbare Betroffenheit aus.» Wird dies verknüpft mit bestehenden ökologischen Normen, etwa zu den Klima-Effekten des Autofahrens, werden gleich mehrere Motive zusammengebracht, die für autofreie Tage sprechen. Das i-Tüpfelchen könnten laut Fesenfeld dann noch die materiellen Eigeninteressen sein: Also dass wir nicht zu horrenden Preisen Benzin tanken wollen.
Denn alleine zum Geldsparen auf Benzin und Autofahren zu verzichten, hat auch aus psychologischer Sicht einen schwereren Stand, erklärt Fesenfeld: «Menschen geben ungern zu, dass sie etwas aus rein egoistischen Motiven tun.» Anders gesagt: «Wir fühlen uns besser, wenn wir sagen können: Es geht mir nicht nur ums Geld, sondern ich zeige mich solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, weil ich durch den Verzicht aufs Benzin nicht das Putin-Regime unterstütze.» Dies nenne man in der Forschung ein «warm-glow»-Gefühl, sagt Fesenfeld. «Man kriegt sozusagen einen positiv belohnenden Effekt, wenn man etwas sozial Anerkanntes tut.» Diese Prozesse würden jedoch weitgehend im Unterbewusstsein ablaufen.
Mit diesem Wissen lässt sich nun einfacher nachvollziehen, warum die bisherigen Initiativen zu den autofreien Sonntagen scheiterten: Mit direkten emotionalen Ereignissen waren sie nicht verknüpft. Und: In der Klimapolitik haben grundsätzlich Massnahmen schlechtere Chancen, die auf persönliche Einschränkungen abzielen, sagt Fesenfeld. Dies hat er in seiner eigenen Forschung herausgefunden. «Der Aspekt, der Staat greift zu stark ins Individualleben ein, dürfte bei beiden Volksinitiativen ein starkes Gegenargument gewesen sein», sagt er. «Und wenn dem ‘nur’ das altruistische, ökologische Motiv gegenübersteht, und die Menschen zudem an der Wirkung der Massnahmen zweifeln, wird es schwierig.»
Science-Check ✓
Studie: Emphasizing urgency of climate change is insufficient to increase policy supportKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie über die Meinungen zu klimapolitischen Massnahmen stützt sich mit fast 10000 Befragten auf einen relativ grossen Datensatz, was sie zuverlässig macht. Algorithmen stellten sicher, dass die Stichprobe soziodemografisch repräsentativ ausfiel. Unvollständige Fragebogen wurden eliminiert. Ausgenommen von der Studie waren Menschen, die das Stimmrechtsalter noch nicht erreicht hatten. Wie diese Bevölkerungsgruppe über klimapolitische Massnahmen denkt, dafür sind weitere Studien nötig. Mehr Infos zu dieser Studie...Keiner will ein Einzelkämpfer sein
Grundsätzlich habe sich in der Klimapolitik gezeigt: Es hilft, wenn wir wissen, dass unsere Mitmenschen bei einschneidenden Massnahmen am gleichen Strang ziehen. «Dass also alle mitmachen und ich kein Einzelkämpfer bin», sagt Fesenfeld. Hat man hingegen das Gefühl, der Nachbar gönne sich in jedem Urlaub eine Flugreise esse regelmässig ein grosses Steak, während man selber auf Fleisch und Flüge verzichte, sinke die Bereitschaft, sich einzuschränken. «Denn wir haben ein starkes Bedürfnis nach Fairness.» Heisst: «Wenn Regeln gemeinschaftlich entschieden werden und für alle gelten, ist meist eine höhere Unterstützung vorhanden.»
Zudem hat Fesenfeld mit seiner Forschung gezeigt: Selbst wenn in der Klimapolitik Massnahmen mit Kosten verbunden sind – beispielsweise CO₂-Steuern – sind die meisten Menschen dem gegenüber nicht abgeneigt. Er erklärt: «Es gibt zwar eine ‘laute’ Minorität, die solche Massnahmen stark ablehnt, aber die Mehrheit befürwortet sie.» Demnach seien auch ambitionierte Klimapolitik-Pakete mehrheitsfähig, wenn die Auflagen mit Massnahmen auf der Produktionsseite kombiniert würden – beispielsweise höhere Emissionsstandards für Autoproduzenten – sowie Kompensationsmassnahmen für Haushalte mit niedrigen Einkommen.
Zurück zur aktuellen Forderung nach den autofreien Sonntagen: Dass dieses Begehren in der Bevölkerung sowie in der Politik auf Akzeptanz stosse, dafür stünden die Chancen nicht schlecht, sagt Lukas Fesenfeld. «Wenn diese Forderung mit der aktuellen Kriegssituation in Verbindung gebracht wird, könnte es dafür durchaus einen politischen Spielraum geben.» Natürlich komme es auch darauf an, wie stark der Benzinpreis dauerhaft höher bleibe. Aber wenn das Thema auch von klimapolitischen Akteuren forciert werde – etwa NGOs – und sich zudem politisch konservativere Kreise aufgrund der aktuellen Kriegssituation offen zeigen würden, könnte dies den Weg für autofreie Sonntage tatsächlich ebnen beziehungsweise Druck auf den Bundesrat ausüben, vermutet Fesenfeld. Was ebenfalls ein wichtiger Faktor sei: «Es handelt sich beim Ukraine-Krieg um eine Bedrohung, die von aussen an die Gesellschaft herangetragen wird – und wo wir uns jetzt gemeinsam entscheiden können, zu reagieren.» Ob dies der Fall sein wird – und die autofreien Sonntage tatsächlich Fahrt aufnehmen – wird sich zeigen. Zwar hielt der Bundesrat schon 2019 einen ähnlichen Vorschlag für «schwer umsetzbar» – aber immerhin für «sympathisch».