Ihr Auto empfinden wohl die meisten Menschen als privaten Raum, fühlen sich darin unbeobachtet. Doch diese Privatsphäre löst sich mehr und mehr auf: «Schon längst sind moderne Autos nicht mehr nur Fahrzeuge, sondern leistungsfähige Computer, die aufzeichnen, was um sie herum und in ihrem Inneren geschieht», sagt Bernhard Gerster, Professor für Automobiltechnik an der Berner Fachhochschule. So enthalten neuere Modelle bis zu 200 Sensoren, welche die Technik überwachen und das Fahren sicherer machen sollen. Daneben werden aber auch Daten aufgenommen, die weniger mit dem Betrieb des Autos zu tun haben als mit dem Verhalten der Fahrer – etwa mit ihrem Fahrstil oder wann und wie lange sie im Auto unterwegs sind. Und: Viele neuere Automodelle übermitteln die gesammelten Daten an die Hersteller.

Das hat letztes Jahr auf eindrückliche Weise ein Test demonstriert, den der Kassensturz zusammen mit dem deutschen Automobil-Club ADAC durchgeführt hat. In dem Kassensturz-Test haben Ingenieure vier Automodelle unter die Lupe genommen: einen Renault Zoé, einen Mercedes der B-Klasse und zwei BMW-Modelle, einen 320 und das Elektromobil i3. Drei der Modelle – Ausnahme war der Mercedes – haben zur Überraschung der Ingenieure an die Hersteller beispielsweise weitergegeben, wie oft der Gurtstraffer aktiviert wurde, wie häufig die Lenker den Fahrersitz neu eingestellten oder welche Adressen das Navi suchte. Bei dem Renault wurden ausserdem Kontaktdaten aus dem Handy versendet, das mit dem Entertainment-System synchronisiert war, und beim BME 320, welche Musik im Auto lief. Für Bernhard Gerster ist das unverständlich: «Solche Daten haben mit der Verbesserung des Betriebs oder der Sicherheit überhaupt nichts zu tun.»

 

Technologie im Auto soll Leben retten

Möglich ist die Übermittlung der Daten über in den Fahrzeugen eingebaute SIM-Karten, welche ganze Datenpakete über das Mobilfunknetz verschicken. Dass immer mehr Autos mit eigenen SIM-Karten ausgerüstet sind, hat unter anderem mit der EU-weiten Einführung eines automatischen Notrufsystems namens eCall112 zu tun. Auch in der Schweiz müssen ab April alle neu zugelassenen Automodelle mit eCall112 ausgerüstet sein.

«EU-weites Ziel ist es, die Zahl der Verkehrstoten um die Hälfte zu reduzieren.» Guido Bielmann, Mediensprecher des Bundesamts für Strassen Astra

Dabei handelt es sich um ein kleines Kästchen mit Sensoren, GPS-Empfänger und SIM-Karte, das im Armaturenbrett eingebaut ist. Das System erkennt, wenn ein Unfall passiert, und sendet sofort automatisch einen Notruf an eine der rund 60 dafür vorgesehenen Notrufzentralen der Polizei in der Schweiz. Damit will man erreichen, dass Rettungskräfte noch schneller am Unfallort eintreffen und helfen können. EU-weites Ziel ist es, die Zahl der Verkehrstoten um die Hälfte zu reduzieren, sagt Guido Bielmann, Mediensprecher des Bundesamts für Strassen Astra.

Das automatische Notrufsystem ist streng geregelt: eCall112 zeichnet keine Daten auf, sondern wird erst aktiv, sobald es mit seinen Sensoren feststellt, dass ein Unfall geschehen ist.

Ein guter Tausch für die Autobauer

Weit weniger strikt geregelt ist indessen die Einflussnahme der Autohersteller. Diese haben sich auf die EU-weite Einführung von eCall112 vorbereitet und vor allem für die Modelle der oberen Klassen eigene Notruf-Systeme eingeführt. Ausserdem nutzen sie die SIM-Karte im Auto, um sogenannte Zusatzdienste anzubieten. Bei Mercedes etwa läuft dieses Angebot unter «me connect», bei BMW heisst es «ConnectedDrive», bei VW «Car-Net». Ob Fahrzeugortung, die Festlegung des eigenen Fahrerprofils mit gespeicherter Sitz- und Temperatureinstellung sowie dem Lieblings-Radiosender oder die Synchronisierung des Entertainment-Systems mit dem Handy: Wer die Dienste nutzt, stimmt auch der Sammlung von Daten zu.

«Informationen von Autofahrern können sehr lukrativ sein.»Bernhard Gerster, Berner Fachhochschule

Aus Sicht der Autokonzerne sind solche Zusatzdienste notwendig, damit sie nicht in einer Sackgasse landen. Denn in Europa ist der Automobilmarkt gesättigt, mit dem Verkauf von Fahrzeugen allein lässt sich auf absehbare Zeit nicht mehr viel Geld verdienen. Darum überlegen sich VW & Co andere Geschäftsmodelle, mit denen sich Gewinn machen lässt. «Gerade die Informationen von den Autofahrern können sehr lukrativ sein», sagt Bernhard Gerster. Sie lassen sich für bezahlpflichtige Dienstleistungen verwenden oder verkaufen, zum Beispiel an Autoversicherer oder Werbefirmen.

Eines der ersten Zusatzangebote führte der amerikanische Autokonzern General Motors ein mit seinem Dienst namens «OnStar». Dieser beantwortet auf Knopfdruck alltägliche Fragen: Wo ist der nächste Supermarkt? Welches Hotel hat noch freie Zimmer? In Kürze erhält man die Antwort als neu hinterlegtes Ziel im Navi. Doch ebenso vorstellbar sei laut Gerster die Nutzung der Daten, ohne dass dies den Fahrzeughaltern überhaupt bewusst ist. So entscheide in Zukunft womöglich das Navi selbst, ob es einen an einer Migros oder einem Coop vorbei lotst – je nachdem, welcher Anbieter den Autohersteller dafür bezahlt hat.

Datenschutz in Autos

Immerhin: Gemäss Datenschutzgesetz müssen die Autohersteller ihren Kunden mitteilen, welche Daten sie sammeln und was mit diesen geschieht, zumindest was personenbezogene Daten angeht. Und mit einer neuen Gesetzesänderung auf EU-Ebene müssen diese Informationen detaillierter werden und der Konsument muss seine Zustimmung für die Datensammlung geben. Auch in der Schweiz sei eine modernere Gesetzgebung nötig, sagt der eidgenössische Datenschutzbeauftrage Adrian Lobsiger. Eine Revision des Datenschutzgesetzes wird zurzeit denn auch vom Parlament bearbeitet. Bis aber jener Teil des Gesetzes, der private Unternehmen betrifft, tatsächlich in Kraft tritt, wird noch einige Zeit vergehen. Und auch dann wird es wohl noch den Autokonzernen überlassen sein, wie direkt und offen sie die Kunden informieren – ob öffentlich im Internet oder verklausuliert im Kleingedruckten des Kaufvertrags. Zudem gelten diese Bestimmungen nur für personenbezogene Daten. Wenn die Hersteller die Informationen anonymisiert weiterverarbeiten, müssen sie die Einwilligung der Kunden nicht einholen.

Deshalb behält der Datenschützer Adrian Lobsiger das Thema auf dem Radar. Seine Abteilung arbeite dazu eng mit den europäischen Kollegen zusammen, sagt er. So hat sich beispielsweise die französische Datenschutzbehörde des Falles Renault angenommen, als letztes Jahr bekannt wurde, dass der Hersteller nicht nur Daten abzapfte, sondern sogar aus der Ferne ein Auto ausschalten konnte.

Autobauer brauchen das Vertrauen

Solche Eingriffe in die Privatsphäre erstaunen. Denn die Autokonzerne sind in Zukunft auf das Vertrauen ihrer Kunden angewiesen: Je autonomer das Autofahren wird – und in diese Richtung geht die Entwicklung – desto vernetzter müssen die Fahrzeuge sein. Schon heute besitzen viele Neuwagen Fahrassistenzsysteme, die mittels Kameras, Radar und anderen Sensoren beobachten, was um das Auto herum geschieht. Die Systeme halten beim Fahren zum Beispiel automatisch den Abstand zum ein Vorderauto ein oder lassen den Wagen im stockenden Verkehr selbständig vorrücken. «Um zukünftig ganz autonom zu fahren, müssen die Fahrzeuge aber 200 bis 300 Meter nach vorne schauen können», sagt der Berner Professor für Automobiltechnik Bernhard Gerster. Zum Beispiel, damit Autos weiter vorne den nachfolgenden mitteilen können, wenn sie auf einen Stau zufahren. Das setzt voraus, dass die Autos untereinander vernetzt sind. «Dabei wird es für die Autobesitzer umso wichtiger zu wissen, welche Daten im Auto bleiben, welche versendet werden, und wie die Autokonzerne übermittelte Daten weiterverwenden.» Gerster wünscht sich deshalb von den Autoherstellern mehr Transparenz – nur so sichern sie sich das nötige Vertrauen in die Zukunft des Autofahrens.

 

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