Das musst du wissen
- Ein 2020 geborenes Kind wird in seinem Leben viel mehr Naturkatastrophen wie Hitzewellen erleben als ein 1960 geborenes.
- Diese Ergebnisse einer aktuellen Studie sind im Zusammenhang mit Klimaprozessen für jüngere Generationen von Bedeutung.
- Denn sie können diese konkreten Zahlen nutzen, um für Klimagerechtigkeit einzutreten.
Warum dies so wichtig ist. Die Untätigkeit in Bezug auf den Klimawandel ist auch ein Generationenproblem: Die Entscheidungsträger von heute werden die zukünftige Zeche nicht bezahlen müssen. Es wird die jungen Menschen betreffen, insbesondere Erwachsene unter vierzig Jahren. Dies zeigt eine aktuelle Studie, die in der Zeitschrift Science veröffentlicht wurde.
Eine Umkehrung der Perspektive. Für ihre Studie wählten die Autoren einen originellen Ansatz. Sie untersuchten nicht nur die von den Klimamodellen vorhergesagte Zunahme der Zahl der Klimakatastrophen, sondern berechneten auch die Häufigkeit dieser Katastrophen für verschiedene Altersgruppen, insbesondere für die Jüngsten. Auch glichen sie mögliche Störfaktoren wie eine höhere Lebenserwartung oder eine höhere Kindersterblichkeitsrate statistisch aus.
Sonia Seneviratne, Klimatologin an der ETH Zürich und Mitarbeiterin des Weltklimarats IPCC, war an dieser Arbeit beteiligt. «Unsere Studie führt eine Art Längsschnittanalyse über mehrere Generationen durch», erklärt sie. «Anstatt die Klimaauswirkungen in einer Momentaufnahme zu einem bestimmten Zeithorizont zu betrachten, haben wir die Entwicklung der Situation über die durchschnittliche Lebensspanne einer Person, abhängig von ihrem Geburtsjahr, untersucht.»
In diesem Sinne ist die Studie eine der ersten, die Klimaprojektionen und Demografie nach Altersgruppen kombiniert. Die Neuheit liegt jedoch in der Art und Weise, wie die Daten präsentiert werden, und nicht in den Daten selbst, die wohlbekannt sind: Es handelt sich um die Daten aus dem Sonderbericht des IPCC über die globale Erwärmung von 1,5 Grad Celsius.
Die Professorin der ETH Zürich fährt fort:
«Einer der Beweggründe für unsere Studie war, dass wir wissen wollten, wie wir unsere Ergebnisse so effektiv wie möglich vermitteln können. Indem wir in individuellen Lebensläufen denken, geben wir diesen Klimaauswirkungen vertraute Gesichter – wir alle kennen junge Menschen, die im Jahr 2000 geboren wurden, oder kürzlich geborene Babys. Und wir übersetzen wissenschaftliche Daten, die bereits bekannt waren, in eine konkretere Perspektive.»
Die Klimatologin Martine Rebetez, Professorin an der Universität Neuenburg und an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, engagiert sich ebenfalls in der Bewegung «Grandparents for Climate». Sie war an dieser Arbeit nicht beteiligt, findet sie aber inspirierend:
«Die Methodik dieser Studie scheint mir solide zu sein, und die Formulierung dieser Ergebnisse ist wirklich interessant. Ich frage mich seit Jahren, wie wir Klimawissenschaftler unsere Ergebnisse so klar wie möglich ausdrücken können. Ich hoffe, dass die Botschaft auf diese Weise besser gehört wird. Es ist schwierig, an eine Gefahr zu denken, selbst an eine grosse Gefahr, solange sie fern und diffus bleibt.»
Was zu erwarten ist. Im Einzelnen untersuchte die Studie die Anzahl der Dürren, Hitzewellen, Ernteausfälle, Überschwemmungen, Stürme und Waldbrände, die jede Generation zwischen 1960 und 2020 in den kommenden Jahren erleben wird. Dies geschieht auf der Grundlage verschiedener Erwärmungsszenarien. Sie reichen von plus einem Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter – was der aktuellen Situation entspricht – bis zu plus 3,5 Grad Celsius.
Die Ergebnisse für eine Zunahme von plus 3,5 Grad Celsius sind eindeutig: Ein im Jahr 2020 geborenes Kind, wird im Durchschnitt fast siebenmal mehr Hitzewellen in seinem Leben erleben als ein älteres Kind, das 1960 geboren wurde. Er oder sie wird auch doppelt so viele Waldbrände und fast dreimal so viele Überschwemmungen und Ernteausfälle erleben. Die Autoren weisen in der Studie darauf hin, dass diese Zahlen wahrscheinlich zu niedrig angesetzt sind.
Wenn die Temperaturen plus 1,5 Grad Celsius übersteigen – ein Ziel, das laut dem jüngsten IPCC-Bericht bereits jetzt praktisch unerreichbar ist –, werden die nach 1980 Geborenen am stärksten betroffen sein. Wim Thiery, Professor an der Freien Universität Brüssel und Hauptautor dieser Studie kommentiert:
«Die unter Vierzigjährigen werden nie dagewesene Lebensbedingungen erleben, auch mit den strengsten Szenarien zur Abschwächung des Klimawandels [die willentliche Begrenzung unserer Treibhausgasemissionen, Anm. d. Red.].»
Zudem gibt es auch geografische Ungleichheiten. Die am meisten gefährdeten Kinder leben in den ärmsten Ländern, die eine höhere Geburtenrate haben. Seit 2016 wurden rund fünfzig Millionen Kinder in Europa und Asien geboren, aber über 170 Millionen in der südlichen Sahara Afrikas. Für diese Kinder ist es ein doppelter Schlag.
Eine Frage der Klimagerechtigkeit. Der Zeitpunkt ist günstig: Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der Studie, vom 28. bis 30. September, fand, der von den Vereinten Nationen organisierte Jugend-Klimagipfel statt. Doch um zu verstehen, warum diese Daten wichtig sind, müssen wir wissen, wie das Forschungsprojekt zustande kam.
Wim Thiery erläutert die Entstehungsgeschichte des Projekts:
«Ich begann meine Forschung vor zweieinhalb Jahren, nachdem ich einen Vortrag über den Klimawandel gehalten hatte. Jemand aus dem Publikum fragte, ob ein 15-jähriger Mensch eher berechtigt sei zu klagen als ein Erwachsener, weil er oder sie stärker betroffen sei. Mir wurde klar, dass wir dies nicht quantifiziert hatten, da wir den Klimawandel immer durch den Vergleich von Zeiträumen untersuchen. Also entschloss ich mich zu dieser Forschungsarbeit.»
Die Studie, die am 27. September 2021 veröffentlicht wurde, spiegelt sich auch in einem am selben Tag veröffentlichten Bericht der NGO «Save the Children» wider, in dem zwölf Kinder verschiedener Nationalitäten zu Wort kommen. Wim Thiery erklärt, wie es zu dieser gemeinsamen Veröffentlichung kam: «Vor sechs Monaten nahm ‘Save the Children’ Kontakt zu mir auf, sie hatten von meiner Arbeit gehört und wollten einen Bericht schreiben. Es stellte sich heraus, dass ich in meiner Studie, die gerade von Fachkollegen begutachtet wurde, genau die wissenschaftlichen Elemente produziert hatte, nach der sie suchten. Also haben wir uns zusammengetan und gemeinsam an dem Bericht gearbeitet.»
Die Herausforderung besteht darin, die Klima-Ungerechtigkeit, die eine Generation gegenüber einer anderen erleidet, in Zahlen zu fassen. «Die Studie ist daher von rechtlicher Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit Klimaprozessen, da sie die Zahl der Klimakatastrophen, denen die Menschen ausgesetzt sind, eindeutig quantifiziert», erklärt Sonia Seneviratne.
«Es ist ein Instrument, das die jüngeren Generationen nutzen können, um für Klimagerechtigkeit einzutreten, auch in Bezug auf die geografischen Unterschiede. Es hilft, die Ungerechtigkeit zwischen den Generationen aufzuzeigen.»
Verbesserung der Klimakommunikation. Dieser Ansatz, der sich auf die von einer Generation erlebten Klimafolgen konzentriert, ist nicht der einzige, der versucht, Konzepte der Klimagerechtigkeit in Zahlen zu fassen. Es geht auch um das so genannte Kohlenstoffbudget, das der Menge an Kohlenstoff entspricht, die ein Land noch ausstossen kann – unter Berücksichtigung der Diskussionen über eine gerechte Aufteilung auf globaler Ebene – bevor die globale Erwärmung einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. Für die Klimatologin Martine Rebetez ist es vielleicht angebracht, im Zusammenhang mit dieser Arbeit den Begriff eines verbleibenden Kohlenstoffbudgets für künftige Generationen ins Spiel zu bringen. Aber dieses Budget sei bald erschöpft, wie sie sagt. «Wir haben fast keinen Spielraum mehr. Es ist, als ob wir eine Vase immer schneller volllaufen lassen und sie bald überlaufen wird.»
Diese Arbeit wirft aber auch eine grundlegende Frage auf: Warum fällt es uns so schwer, die künftigen Auswirkungen des Klimawandels auf unser Leben abzuschätzen? Warum müssen wir uns auf unsere Kinder und Enkelkinder berufen, um endlich die Dringlichkeit der Situation zu erkennen, obwohl auch wir als alte und kranke Menschen die volle Wucht der Situation zu spüren bekommen werden? Martine Rebetez bringt das Paradoxon auf den Punkt:
«Aus psychologischer Sicht ist die Wahrnehmung von Gefahren für eine 1960 geborene Person anders als für eine im Jahr 2000 geborene Person. Erstere haben in ihrer Jugend nur sehr langsame Veränderungen erlebt, während letztere bereits rasche und bedeutende Veränderungen erfahren haben.
Heute ist eine Welt, die 1,2 Grad Celsius wärmer ist als die vorindustrielle Ära, noch lebenswert, auch wenn wir bereits mit einigen Problemen zu kämpfen haben. Aber je länger wir unvermeidliche Entscheidungen aufschieben, die vor zehn, zwanzig oder dreissig Jahren nicht getroffen wurden, desto mehr werden wir gezwungen sein, aufwändigere und schwierigere Entscheidungen zu treffen. Die Generationen, die das 21. Jahrhundert erleben, werden den Klimakatastrophen am stärksten ausgesetzt sein.»
Heidi.news
