Das musst du wissen

  • Ob man sich impfen lässt oder nicht, ist ein individueller Entscheidungsprozess, ein persönliches Abwägen.
  • Die offene Diskussion über Vor- und Nachteile kam jedoch zu kurz.
  • Statt skeptische Personen als Impfgegner abzutun, gilt es deren Sorgen ernst zu nehmen.

Warum spaltet die Frage nach der Impfung derart?
Daniel Hausmann: Ich glaube diese Situation mit Corona ist wie ein riesiges Experiment. Das war für alle völlig neu. Und schlussendlich ist auch die Frage der Impfung einzigartig: Jede und jeder in der Schweiz muss sich irgendwann festlegen: impfen oder nicht. Dass sich die Diskussion derart auf diese Frage zuspitzt, ist nicht erstaunlich. Wir waren alle in einem Wissensvakuum. Die Menschen waren mit Unsicherheiten konfrontiert, und jeder hat für sich abschätzen müssen, was soll ich machen, wie gross ist mein Risiko? Dazu hat sich die Situation über die letzten zwei Jahre immer wieder geändert. Sich da zu entscheiden, ist sehr schwierig.

Daniel Hausmann

Daniel Hausmann ist Psychologe an der Universität Zürich. Er forscht zur Entscheidungsfindung bei Themen aus den Bereichen Medizin und Gesundheit sowie zum Umgang mit Unsicherheit und Wahrscheinlichkeiten.

Ist die Entscheidung also so schwierig, weil es eine Entweder-oder-Frage ist? Bei anderen Risikodiskursen, zum Beispiel beim Klimawandel, sind graduelle Entscheidungen möglich. Man kann selbst bestimmen wie viel man zum Klimaschutz beitragen möchte. Beim Impfen gibt es nur entweder oder.
Hausmann: Ja. Niemand kommt darum herum. Zu Beginn der Pandemie hat wohl jede Person sich irgendwann damit beschäftigt, sich impfen zu lassen. Vieles war noch offen. Aber jetzt ist die Impfung da und es gibt immer mehr Druck. Man fordert die Leute auf, sich zu entscheiden, drängt sie aber klar in eine Richtung. Einige haben sich von Anfang an für die Impfung entschieden, andere sind noch immer ambivalent. Unter dem Druck kippen sie eher in Richtung Nichtimpfen.

Druck erzeugt Gegendruck. Kann die geplante Impfwoche also vielleicht sogar kontraproduktiv sein?
Hausmann: Vor Abstimmungen kann man sich auf die Entscheidung vorbereiten. Man diskutiert dafür und dagegen. Dieser Diskurs ist beim Impfen zu kurz gekommen. Die Leute wurden belehrt, man hat gesagt, du musst jetzt, man hat sie auch sehr schnell in eine Ecke gestellt. Das würgt den Dialog ab und zwingt die Leute, für sich selbst zu schauen. So stossen sie auf Argumente, die sie darin bestärken, sich nicht impfen zu lassen.

«Wenn jemand kritisch ist, heisst das nicht, dass er total dagegen ist. Er ist in einem Zwiespalt. Dann muss ein motivierendes Gespräch stattfinden.»Daniel Hausmann

Sie selbst haben zwei Töchter im Teenageralter. Sind die geimpft?
Hausmann: Ja.

Hat der Papi gesagt: Jetzt wird geimpft?
Hausmann: Nein. Ich hatte meinen Impftermin, und als ich sie gefragt habe, ob sie sich vorstellen können, sich auch zu impfen, da hatten sie nicht wirklich eine Meinung. Da habe ich Unterstützung angeboten und gefragt, ob ich für sie einen Impftermin buchen soll. Da kam zurück: «Ja mach mal.»

Wie hätten Sie reagiert, wenn Ihre Töchter kritisch gewesen wären?
Hausmann: Wenn jemand kritisch ist, heisst das nicht, dass er total dagegen ist. Er ist in einem Zwiespalt. Dann muss ein motivierendes Gespräch stattfinden.

Herr Salathé, Sie haben einen zwölfjährigen Jungen. Ist er geimpft?
Salathé: Er ist geimpft.

Freiwillig? Oder hat der Papa Druck gemacht?
Salathé: Freiwillig natürlich. Wobei ich es schwierig finde: Entscheidet ein Zwölfjähriger wirklich freiwillig? Wir haben das natürlich diskutiert, aber wahrscheinlich übernimmt er das Bild der Eltern. Wir waren wohl einfach Vorbild für ihn.

Marcel Salathé

Marcel Salathé leitet das Labor für digitale Epidemiologie an der ETH Lausanne. Er war bis Februar 2021 Mitglied der Covid Taskforce des Bundes und war massgeblich an der Entwicklung der Contact-Tracing-App beteiligt.

Sie erforschen seit zwölf Jahren die Meinungen zu Impfungen in den Sozialen Medien. Begonnen haben Sie während der H1N1-Pandemie. Sie haben einmal gesagt, man solle nicht von «Anti-Vaxxers» reden. Warum nicht?
Salathé: Wir müssen mit den Sorgen dieser Leute ernsthaft umgehen. Deshalb finde ich es schwierig, wie sich jetzt diese Fronten verhärtet haben.

Was macht das mit Ihnen persönlich?
Salathé: Wahrscheinlich, was es mit den meisten macht: Man klinkt sich irgendwann aus. Ich habe meine Meinung gesagt, die Leute, die impfen wollten, konnten es, die Leute, die es nicht wollten, die haben das nicht gemacht. Für einen persönlich ist das natürlich einfach. Für das System, oder beispielsweise das Gesundheitspersonal, ist es eher schwierig, sich auszuklinken.

Sie können sich doch nicht ausklinken. Als einer der führenden Epidemiologen im Land haben Sie eine Verantwortung.
Salathé: Das ist jetzt typisch: Wenn man sagt, da mache ich jetzt nichts, heisst es: Sie haben eine Verantwortung. Und wenn man sich äussert, heisst es, man wolle sich medial profilieren. Einmischen ist also nicht gut und Ausklinken ist nicht gut.

«Am besten kommen wir da durch, wenn wir dort auf die Eigenverantwortung setzen, wo es sinnvoll ist, und auf den Gemeinsinn, wo dieser wichtig ist.»Marcel Salathé

Wer muss bei der Krisenbewältigung die Verantwortung übernehmen?
Salathé: Viele der Probleme, die wir in der Schweiz mit dieser Pandemie haben, rühren auch daher, dass man von Anfang an zu sehr auf die Eigenverantwortung gesetzt hat. Natürlich halten wir alle die Eigenverantwortung sehr hoch, aber es gibt Phänomene, die Netzwerkphänomene sind. Da kommt es nicht nur darauf an, was ich selbst mache, vielmehr hängt meine eigene Welt stark davon ab, was die anderen machen. Das wird in der Schweiz zu wenig thematisiert – und in diesem Fall zu spät: Zuerst predigte man ein Jahr lang Eigenverantwortung – halte Abstand, schütze dich – und dann war plötzlich Schluss damit und es heisst: Jetzt für alle anderen denken.

Der Klimaforscher, Reto Knutti sagt, kein grosses Problem habe sich in Eigenverantwortung gelöst. Als Beispiele nennt er die Gewässerverschmutzung – der Staat hat Kläranlagen gebaut, Strassenverkehrsopfer – der Staat hat Tempolimits erlassen, Ozonloch – die internationale Gemeinschaft hat Treibhausgase verboten, Klimaveränderung – der Staat muss Regeln erlassen. Wie können wir glauben, dass sich eine Pandemie oder eine Klimakrise in Eigenverantwortung löst?
Salathé: Natürlich ist Eigenverantwortung wichtig. Wir leben in einem Land, das stark auf Eigenverantwortung setzt, und ich schätze das sehr. Es geht nicht darum, ob alles der Eigenverantwortung überlassen ist, oder ob der Staat alles regelt. Aber man hätte in der Pandemie von Anfang an sagen müssen: Leute, es wird schwierig und wir werden auch Fehler machen. Aber am besten kommen wir da durch, wenn wir dort auf die Eigenverantwortung setzen, wo es sinnvoll ist, und auf den Gemeinsinn, wo dieser wichtig ist.

Alle Folgen dieser Serie:




Der Text basiert auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Zurich Film Festivals, veranstaltet von Eye on Science mit der Unterstützung von Life Science Zurich, ETH Zürich und EPF Lausanne.
Den Talk als Video ansehen.

Diesen Beitrag teilen
Unterstütze uns

regelmässige Spende