Irgendwann kam Carolynn Smith auf die Idee mit dem Büstenhalter. Ein schwarzer BH für ein schwarzes Huhn, und das im Dienste der Wissenschaft. Die Biologin untersucht an der Macquarie University in Sydney, was Hühnern so im Kopf herumgeht. Oder zumindest das, worüber sie sich durch Krächzen, Gackern oder andere Rufe äussern. Ihr grösstes Problem war allerdings technischer Natur: Wie soll man ein teures Funkmikrofon an einer Hühnerbrust fixieren? Forscherin Smith wählt BH-Träger, die farblich zum Gefieder passen.
Die Hennen, so versichert Smith, störe das nicht: «Hühner picken zwar nach unbekannten Objekten, doch die Träger heben sich kaum ab vom Federkleid. Nur wenige Hennen ziehen sie ab.» Ihre Kolonie von Bankivahühnern konnte jetzt abgehört werden.
Und so dokumentieren Smiths Tonaufnahmen, wie sich in den Volieren aus Glucksen und Krähen komplexe Unterhaltungen entspinnen. 24 Laute hat Carolynn Smith inzwischen entschlüsselt, mit denen die Tiere soziale Beziehungen aufrechterhalten.
Kleines Hirn, grosse Leistung
Lange galt das Haushuhn Wissenschaftlern als degenerierte Legemaschine, zu hochgezüchtet und abgestumpft für intelligentes Verhalten. Doch diese Ansicht ändert sich gerade grundlegend. In Tests bringen Hühner es auf höhere kognitive Leistungen, als Forscher ihnen bei ihrer Gehirngrösse zugetraut hätten. So können zwei Wochen alte Küken nach der Sonne navigieren. Und erwachsene Hühner wissen, dass ein Objekt immer noch existiert, auch wenn es vor ihrem Blick verborgen ist.
Die Vögel sind sogar schlau genug, um einander hinters Licht zu führen. So versuchen die Männchen, Weibchen mit der Aussicht auf Futter zu Sex zu verführen. Dazu stossen sie einen bestimmten Ruf aus. «Normalerweise nutzen Weibchen diesen Ruf, um ihren Küken geniessbare Dinge zu zeigen.» Denselben Ruf verwenden Männchen, um zu täuschen. Sie versprechen den Weibchen Futter – nur gibt es keines. Das Manöver funktioniert aber nicht beliebig oft. «Die Weibchen merken sich das und schneiden solche Männchen fortan», sagt Carolynn Smith. Dies zeige, dass die Tiere ein geistiges Bild von ihren Artgenossen haben, nicht nur von deren Aussehen, sondern auch von deren Verhalten. Ihrer Persönlichkeit, wie man bei Menschen sagen würde.
Rechnerisches Geschick
Hinterlistige Qualitäten stellt das Federvieh auch bei Gefahr unter Beweis, wie Smith und ihr Team beobachtet haben. Entdeckt ein Hahn eine Bedrohung von oben, etwa einen Raubvogel, stösst er einen Alarmruf aus. Am lautesten tut er das, wenn er zwar selber in Deckung ist – ein anderes Männchen jedoch nicht, auf welches der Beutegreifer so erst recht aufmerksam wird.
Auch im Umgang mit Zahlen zeigen Hühner berechnendes Geschick. Für viele höhere Lebewesen ist es keine Kunst, «mehr» oder «weniger» einzuschätzen. Affen und wenige Monate alte Kinder können das. Sie unterscheiden die Zahlen von eins bis drei. Hühner scheinen zu noch abstrakterem Denken fähig. Im Test legten italienische Forscher hinter einen Sichtschutz auf der rechten Seite drei, hinter den auf der linken Seite fünf Bälle. Die Hühner entschieden sich stets für die grössere Anzahl. Fünf mussten es sein. Danach steigerten die Forschenden die Schwierigkeit der Aufgabe. Sie legten drei Bälle von links nach rechts, es stand also sechs zu zwei. Daraufhin entschieden sich die Hühner für rechts – sie mussten also addiert und subtrahiert haben.
Heimliche Seitensprünge
Hühner sind sogar verschlagen genug für Seitensprünge und Ehebruch. Eigentlich darf sich eine Henne nur mit dem Alphamännchen paaren. «Bedrängt ein anderes Männchen das unwillige Huhn, stösst dieses typischerweise einen Ruf aus, der die Gruppe alarmiert», sagt Smith. «Sucht es aber den sexuellen Kontakt, duckt es sich und hält den Schnabel.» Die Kopulationen mit dem Männchen von niedrigerem Status hält die Henne dann geheim: Sie findet ausserhalb der Sichtweite des dominanten Männchens statt. Der Alphahahn achte deswegen auch immer sehr darauf, wo sich jede seiner Hennen gerade befindet. Seit mehr als 8000 Jahren züchtet der Mensch jetzt bereits Hühner. Warum unterschätzt er sie noch immer? «Am Huhn liegt es nicht», sagt Smith, «sondern am Menschen.» Der lasse sich zu sehr von Äusserlichkeiten leiten: «Wir sind in unserer Beurteilung von Lebewesen einfach gestrickt. Hunden und Katzen können wir frontal in die Augen sehen und glauben, dort Intelligenz zu finden», sagt die Forscherin. Die Augen der Hühner liegen jedoch seitlich am Kopf. «Deshalb bleiben sie uns fremd, und wir halten sie für dumm.» Aber auch aus einem noch viel einfacheren Grund würde man sie unterschätzen: «Welcher Mensch kennt denn überhaupt noch ein Huhn? Also, ein lebendiges …»