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Mit einer Helmtragpflicht setze man am falschen Ende an, sagen der Verkehrsclub der Schweiz und der IG-Velo. Zuerst müsse der Veloverkehr generell sicherer gemacht werden – zum Beispiel durch mehr Velowege – bevor man mit einer Helmtragepflicht die Menschen vom Velofahren abhalte.

Das mit den besseren Bedingungen für den Veloverkehr kann man nur unterstützen – sage ich als Velofahrer – aber, dass man gegen eine Helmpflicht ist, ist absurd – sage auch ich als Velofahrer.

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Ein Argument der Helmgegner lautet: es sei logisch, dass es bei immer mehr E-Bikes zu immer mehr Unfällen komme. Entschuldigung, aber mit diesem Mengenargument hätten wir heute auf Schweizer Strassen – übertragen auf den Strassenverkehr allgemein – fast 5000 Verkehrstote und nicht bloss deren 187.

Warum die Hochrechnung? 1972 gab es auf Schweizer Strassen 1750 Tote; bei damals 1,6 Millionen Autos. Natürlich hinkt jeder Vergleich im Detail. So nehme ich hier nicht nur Personenwagen und nicht alle Strassenfahrzeuge, sonst wären auch Traktoren und Motorräder inbegriffen – und die sind ja eine eigene Gefahrenklasse für sich.

Trotzdem die Rechnung: Heute gibt es 4,6 Millionen Autos. Also 2,7-mal mehr als 1972. Würde man – so wie es die Velolobby jetzt tut – mit der Menge des Verkehrs als Mass für die Zahl der tolerierbaren Unfälle argumentieren, hätten wir heute 4856 Tote auf den Schweizer Strassen. Und das wollen wir ja nicht.

Natürlich reduziert man die Zahl der Unfälle, Verletzten und Toten mit sicheren Verkehrswegen effizient. Aber auch mit dem Helm oder im Auto mit dem Sicherheitsgurt. Es ist nicht das eine oder das andere.

Die Velolobby hat noch weitere Anti-Helm-Argumente. Zum Beispiel, dass ein Helm ein Gefühl von Sicherheit verleihe und darum zu riskanterem Fahren verleite. Mit demselben Argument könnte man beim Auto gegen Sicherheitsgurte oder Antiblockiersystems sein. So weiss man zum Beispiel aus einer Untersuchung mit Taxifahrern, dass diese tatsächlich nach Einführung des ABS in den Autos riskanter gefahren sind. Aber so was legt sich mit der Zeit, und mit diesem Argument könnte man jeden Fortschritt in der Sicherheitstechnik verhindern.

Weiter spreche gegen den Helm, dass es nicht wissenschaftlich erwiesen sei, wie viele Verletzungen der Helm tatsächlich verhindere. Ziemlich heikles Argument. Denn mit demselben Argument wird gegenwärtig gerade der Nutzen von Masken im Kampf gegen Corona angezweifelt. Fehlt nur, dass man das Ohne-Helm-Fahren zur Frage der persönlichen Freiheit hochstilisiert. Oder dass man argumentiert, das die verunfallten zumeist älteren E-Bike-Fahrerinnen und -Fahrer ja sowieso bald gestorben wären. Dann würde es definitiv zynisch.

Schliesslich sagt die Velolobby, dass die Helmpflicht Leute vom Velofahren abhalten könne und das sei weder im Sinne der Umwelt noch der Volksgesundheit. Stimmt beides. Aber dann ist es die Pflicht dieser Verbände, die Leute vom Helm zu überzeugen und nicht, sie davor abzuschrecken. Auf der Skipiste ist dies nämlich gelungen. Dort tragen heute praktisch alle einen Helm, einfach weil er dazu gehört.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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