Herr Angerhausen, Sie haben an einem Nasa-Programm teilgenommen. Worum ging es da?
Wir wurden quasi acht Wochen lang «eingesperrt» im Seti-Institut im Silicon Valley. Da waren rund drei Dutzend Forschende aus der ganzen Welt – Astrophysiker und Experten für künstliche Intelligenz. Gemeinsam versuchten wir, Aufgaben zu lösen, die uns die Nasa gestellt hatte. Unter anderem wollten wir herausfinden, wie uns Künstliche Intelligenz bei der Suche nach ausserirdischem Leben helfen könnte.
Und, kann sie?
Ja, neuronale Netzwerke können helfen, die Daten von Weltraumteleskopen zu analysieren. Im April hat die Nasa ein neues Weltraumteleskop, genannt Tess, ins All geschickt, das nach neuen Planeten in benachbarten Sonnensystemen sucht.
Also ein Satellit, der die Erde umkreist und dabei Bilder vom Weltraum schiesst?
Genau. Tess liefert eine Vielzahl von Bildern vom ganzen Himmel und soll Planeten finden, auf denen Leben möglich wäre.
Ich nehme an, die Datenmenge ist gigantisch.
Ja, ein Mensch würde eine Ewigkeit benötigen, um die Bilder durchzusehen – neuronale Netzwerke schaffen das viel schneller. Sie können verschiedene Daten parallel verarbeiten, wodurch ungewöhnliche Planeten schneller auffallen. Computer machen zudem weniger Fehler, weil sie unvoreingenommen und emotionslos an die Sache herangehen.
Was können Sie aus diesen Daten herauslesen?
Tess knipst alle zwei Minuten ein Bild, jeder Stern im Bild wird ein heller Punkt sein, dessen Helligkeit wir messen können. Wenn ein Planet sich auf seiner Umlaufbahn vor seinen Stern schiebt, lässt das Licht nach und die gemessene Helligkeit wird kleiner. Aus diesem Transit, festgehalten in einer Sequenz von Bildern, können wir eruieren, wie gross der Planet ungefähr ist und wie weit er von seinem Stern entfernt ist. Damit wiederum lässt sich sagen, welche Temperaturen auf dem Planeten herrschen. Wenn wir den Transit im Lichtspektrum anschauen, können wir zudem Aussagen über die Beschaffenheit der Atmosphäre treffen, etwa, ob sie Sauerstoff enthält.
Und welche Art von Planeten suchen Sie?
Wir suchen generell nach allen Planeten. Am interessantesten sind natürlich die, die so gross wie die Erde sind und eine Temperatur aufweisen, die flüssiges Wasser erlaubt. Das wären Minimalvoraussetzungen für Leben. Doch diese Planeten sind meistens am schwersten zu finden, weil sie klein sind und vergleichsweise seltener Transits machen.
Tess und Cheops: Perfekte Ergänzung
Neue Teleskope machen die Arbeit von Planetenjägern einfacher. Vor allem vom Nasa-Weltraumteleskop Tess erhoffen sich Astronomen viel. Der Satellit ist im vergangenen April ins All geschossen worden und soll nun für mindestens zwei Jahre um die Erde kreisen und dabei mit vier Weitwinkelkameras Fotos von benachbarten Sonnensystemen schiessen. Tess folgt auf das Weltraumteleskop Kepler, das rund zehn Jahre im All Dienst getan hat. Es hat knapp 2500 exosolare Planeten gefunden, darunter auch 30, auf denen flüssiges Wasser – und damit eine Grundvoraussetzung für Leben – vorkommen könnte. Kepler entdeckte jedoch vor allem Planeten um weit entfernte und schwach-leuchtende Sterne. Nähere Bestimmungen, etwa die genaue Zusammensetzung der Atmosphären, waren so kaum möglich. Dagegen soll Tess bessere Kandidaten in nahen Sonnensystemen finden. Die Forschenden rechnen damit, dass der Satellit mehrere hundert Planeten aufspüren wird und darunter viele, auf denen ausserirdisches Leben existieren könnte.
Auch die europäische Weltraumagentur ESA schickt bald einen Satelliten ins All: Cheops. Im Unterschied zu Tess wird Cheops aber nicht den ganzen Sternhimmel absuchen, sondern sich nur auf lohnenswerte Ziele konzentrieren. Cheops soll vor allem bei der genaueren Charakterisierung relativ kleiner Planeten helfen. Damit ergänzen sich Tess und Cheops optimal.
Bedeutet ein erdähnlicher Planet automatisch, dass dort Leben existiert?
Nein, das bedeutet nur, dass die Grundvoraussetzungen dafür gegeben sind. Ob es tatsächlich Lebensformen dort gibt, ist dann die nächste Frage. Und selbst wenn wir Zeichen von Leben finden, werden wir nie hundertprozentig sicher sein, dass wir tatsächlich Leben gefunden haben, sondern vielleicht im besten Fall 95 oder 99 Prozent. Denn wir arbeiten mit sogenannten Biosignaturen, Fingerabdrücken von chemischen oder biologischen Prozessen im Lichtspektrum und dort gibt es Unsicherheiten, grosse sogar. Ein Beispiel: Wir finden Methan und Sauerstoff gleichzeitig in der Atmosphäre eines Exoplaneten. Eigentlich treten diese beiden Stoffe nicht gemeinsam auf – sie lösen sich gegenseitig auf. Also muss es eine Quelle geben, vielleicht Leben. Doch was stösst das Methan wirklich aus? Sind es Ausserirdische? Oder Vulkane? Oder vielleicht noch unbekannte Prozesse? Die Unsicherheit wird immer da sein. Wir müssten da schon eindeutige Zeichen sehen und nicht-biologische Quellen komplett ausschliessen können.
«Vielleicht leben dort irgendwelche Oktopus-ähnlichen Wassertiere. Ich würde auch den Mars keinesfalls abschreiben.»
Alien-Behausungen?
Zum Beispiel. Megastrukturen, welche das Licht beeinträchtigen, ein wiederkehrendes Signal, oder Stoffe in der Atmosphäre, vor allem Fluorchlorkohlenwasserstoffe, die eine Präsenz von Leben vermuten lassen. Bei der Suche nach Aliens wird eine Vielzahl von Methoden und Maschinen angewandt. Die Daten von Tess sind nur ein Puzzleteil.
Hinreisen ist keine Option, oder?
Nicht wirklich. Wenn Lichtgeschwindigkeit das ultimative Speedlimit ist – und so sieht es aus – dann würden wir noch immer mehrere Jahre unterwegs sein, um zu interessanten Exoplaneten zu gelangen. Um zum Sternbild Alpha Centauri zu reisen, wo erdähnliche Planeten vermutet werden, würden Raumschiffe mehrere Jahre benötigen – mit Lichtgeschwindigkeit. Mit dem schnellsten existierenden Raketen-Antrieb würde es mehrere zehntausend Jahre dauern.
Was ist mit nahen Planeten in unserem eigenen Sonnensystem? Auch dort wird ja immer noch Leben vermutet.
Ja, etwa auf den Monden des Jupiters und des Saturns. Der Jupitermond Europa ist mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Darunter wird ein gigantischer Ozean vermutet. Man denkt seit längerem darüber nach, Sonden hinzuschicken, welche sich durchs Eis ins Wasser bohren. Vielleicht leben dort irgendwelche Oktopus-ähnlichen Wassertiere. Ich würde auch den Mars keinesfalls abschreiben.
Der Alien-Jäger
Daniel Angerhausen sucht hauptberuflich nach Aliens. Der 41-jährige gebürtige Deutsche und ehemalige Nasa-Forscher ist Astrophysiker an der Universität Bern. Er sucht und charakterisiert Exoplaneten, also Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems, auf denen auch Leben existieren könnte. Im August kehrte er von einem zweimonatigen Aufenthalt im Silicon Valley nach Bern zurück. Er nahm am Nasa Frontier Development Lab teil, einem Workshop der Nasa, des Seti-Instituts, Google und anderen Tech-Firmen, in dem Experten für Weltraumwissenschaften und Datenwissenschaften zusammenarbeiteten. Angerhausen ist es gewohnt, herumzureisen. So fliegt er immer mal wieder nach Hawaii oder Chile, um mit den grössten stationären Teleskopen nach interessanten Planeten zu suchen. Nebst Reisen liebt er – wie könnte es anders sein – Science Fiction. Momentan ist er Fan der Netflix-Serie «The Expanse». Darin geht es um die Besiedlung des Weltalls.
Da hört man immer wieder Meldungen über Funde von Wasser.
Ja, auf dem Mars gab es wahrscheinlich in der Vergangenheit viel Wasser, und heute gibt es Eis und vermutlich unterirdische Reservoirs mit flüssigem Wasser. Da bin ich doch optimistisch. Auf dem Mars sind die Chancen für Leben vielleicht nicht so gross wie auf Europa, aber dafür sind die Chancen, es zu finden, grösser: Der Mars ist viel näher zur Erde als Europa und wir haben bereits Satelliten im Orbit und Rover auf der Oberfläche. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass man dereinst Bakterien findet. Und vielleicht hat man sie schon gefunden. Da gab es ja ein Experiment im Rahmen der Viking-Missionen in den 70er-Jahren…
…wo man zuerst dachte, man hätte Mikroben gefunden, die Testergebnisse aber dann verworfen wurden?
Genau. Das Experiment ist ein wenig vergleichbar mit einer Mäusefalle: Wenn man eine Maus fangen will, legt man Käse aus. Auf dem Mars wurde bei der Viking-Mission ein chemischer Stoff ausgelegt, von dem ausgegangen wurde, dass Bakterien ihn fressen und umwandeln würden. Irgendwann ist diese Chemikalie tatsächlich verschwunden und in andere Produkte umgewandelt worden. Vor Beginn der Mission hatten die Forschenden gesagt: Wenn das klappt, ist das der Beweis, dass es Leben auf dem Mars gibt. Doch Nachuntersuchungen haben gezeigt, dass offenbar auch in Marsgestein enthaltene, nicht-biologische Chemikalien die gleiche Reaktion erzeugen können. Es hat seither immer wieder Diskussionen dazu gegeben – die Kontroverse ist nicht wirklich gelöst.
Ist denn Leben gleich Leben, egal wo es ist?
Zu dieser Frage wird momentan viel geforscht. Was sind genau die Bedingungen für Leben? Ist auch Leben möglich, das auf komplett anderen chemischen Bausteinen basiert? Beim Mars, der relativ nah bei der Erde ist, könnten die Bausteine dieselben sein wie auf der Erde, ja das Leben könnte sogar mittels Kometen von der Erde dorthin gelangt sein. Bei Exoplaneten oder auf dem Saturnmond Titan wäre das eher unwahrscheinlich. Dort wäre der Ursprung ein anderer, das Leben würde vielleicht auf komplett anderen Chemikalien aufbauen: Silizium statt Kohlenstoff zum Beispiel.
Wie sehen Sie die beiden Denkansätze bei der Suche nach ausserirdischem Leben – das Fermi-Paradoxon und die Drake-Gleichung? Das Paradoxon sagt ja, dass wir längstens hätten Spuren von Aliens finden sollen, wenn es sie gäbe. Und die Drake-Gleichung besagt, dass die Zahl ausserirdischer Zivilisationen gigantisch sein muss, weil es wahrscheinlich Unmengen von erdähnlichen Planeten gibt.
Vielleicht sind die Alien-Zivilisationen alle paranoid und wollen nicht gefunden werden. Nein, im Ernst, wenn wir es statistisch anschauen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, intelligentes Leben zu finden, doch sehr klein. Sehen wir uns die Erde an. Unser Heimatplanet ist rund 4,5 Milliarden Jahre alt. Die Hälfte dieser Zeit war die Erde nur mit Bakterien bevölkert, die Dinosaurier lebten immerhin rund 200 Millionen Jahre. Den modernen Menschen gibt es seit etwa einer Million Jahren, jedoch senden wir erst seit 50 Jahren Radiosignale aus. Wenn man also annimmt, dass das Leben auf anderen Planeten eine ähnliche Entwicklung durchmacht wie auf der Erde, dann heisst das, dass wir mehrere zehntausend erdähnliche Planeten finden müssten, um darunter einen zu finden, auf dem intelligentes Leben existiert.
Könnten denn umgekehrt wir gefunden werden?
Da wir erst seit zirka 50 Jahren Radiosignale senden, «kennt» man uns bisher auch nur in einem Umkreis von 50 Lichtjahren – eine Mini-Distanz im Vergleich zur Grösse unserer Galaxie. Die grosse Frage ist, wie lange unsere Zivilisation überleben wird. Je länger, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass wir gefunden werden oder selbst Spuren einer Alien-Zivilisation finden.
Könnte es nicht auch sein, dass die Aliens schon viel weiter fortgeschritten sind als wir und wir sie deshalb nicht entdecken können?
Ja, absolut. Mir fällt hierzu ein Beispiel aus dem Nasa-Workshop ein: Da brachte ein Teilnehmer einen Gegenstand mit, der aussah wie ein Stein. In Wahrheit war es aber ein mehrere 1000 Jahre altes Werkzeug, ein Faustkeil. Ohne die Erklärung hätte ich nie geahnt oder erkannt, dass dieses Objekt tatsächlich antike Technologie ist. Ich denke, Ähnliches kann in Bezug auf fortgeschrittene Alien-Technologien gesagt werden: Vielleicht gibt es längstens Spuren von ausserirdischem Leben im All, aber wir detektieren sie mit unseren Instrumenten nicht. Oder wir sehen sie und denken, sie wären natürlich, ohne zu begreifen, dass sie einen Bezug zu Ausserirdischen haben. Es wäre wie bei den Ameisen und uns Menschen: Ameisen verstehen ja auch nicht, was wir sind und tun.
Und vielleicht ist Intelligenz, wie wir sie besitzen, auch eine absolute Ausnahme, quasi ein Fehler in der Evolution.
Das kann tatsächlich nur ein Unfall sein. Dinosaurier haben ja Millionen von Jahren gelebt, aber keine Handys oder Autos entwickelt. Vielleicht ist es alles andere als normal, dass Evolution intelligentes Leben hervorbringt. Aber wenn einmal ein Status wie bei uns Menschen erreicht wird, dann ist die künstliche Superintelligenz nicht mehr weit weg. Deshalb denke ich, dass wir im Weltall am ehesten auf sehr primitives Leben oder aber auf sehr, sehr fortgeschrittenes, hochtechnologisiertes stossen werden.
Auch heute noch werden Leute, die an Aliens glauben, von vielen belächelt. Haben die jüngsten Erfolge in der Suche nach erdähnlichen Exoplaneten nicht zu einem Meinungswandel geführt?
Ich glaube doch, zumindest in der Wissenschaft. Gerade die Nasa nimmt das Thema viel ernster als früher. Das wird heute relativ offen diskutiert, es gibt kaum mehr Tabus.
Sind denn Ufos noch ein Tabuthema? Könnten das nicht Aliens sein, die uns besuchen?
Ich finde jedenfalls, dass Ufos untersucht werden sollten. Egal, ob die Ursache nun Ausserirdische, Massen-Halluzinationen oder unbekannte Atmosphären-Effekte sind. Interessant ist das Phänomen auf jeden Fall, und ich finde, dass kein Wissenschaftler sagen sollte, dass hierzu nicht geforscht werden darf.
Aber es ist schon so, dass Ufo-Forschung heute ausserhalb der Unis stattfindet und von vielen als Grenz- oder sogar Pseudowissenschaft betrachtet wird.
Ja, aber nur, weil Ufos fast ausschliesslich von Pseudowissenschaftlern untersucht werden. Und die gehen meistens mit der Prämisse ans Werk, dass es nur Ausserirdische sein können, und lassen von vornherein keine andere Möglichkeit zu. Stattdessen sollten Wissenschaftler das Thema unvoreingenommen untersuchen. Leider gibt es keine echten Daten und kaum Forschungsgelder. Ich persönlich habe noch nichts Überzeugendes in Bezug auf Ufos gesehen. Ich wüsste auch nicht, weshalb grüne Männchen in metallenen fliegenden Untertassen mehrere Lichtjahre lang reisen sollten, um dann irgendwo auf unserer Erde in der Wüste abzustürzen – so wie das 1947 in Roswell geschehen sein soll. Warum sollten die Ausserirdischen organisches Leben schicken? Die würden wohl eher Sonden zur Erde schicken, und dann erst noch solche, die wir kaum entdecken würden.
Die Alien-Frage wird uns weiter beschäftigen. Was steht als nächstes für Sie an?
Wir wollen weiter aus dem vorhergehenden Nasa-Workshop lernen und das Wissen an Kollegen weitergeben. Dann stehen natürlich Auswertungen von Bildern von Teleskopen an. Anfang 2019 werden die ersten offiziellen Daten von Tess erwartet. Dann fängt die eigentliche Arbeit an. Zudem plane ich zurzeit ein spassiges Nebenprojekt zum Mond. Ich habe mir überlegt, ob es möglich wäre, KI zu benützen, um künstliche Strukturen auf dem Mond zu finden. Es gibt richtig coole Bilder vom Mond, auf denen man die Apollo-Landestellen, Radspuren der Rover und sogar Fusspuren der Astronauten sehen kann. Ich möchte nun die KI damit trainieren lassen und dann auf andere Mondbilder loslassen. Ich denke nicht, dass etwas gefunden wird, aber wer weiss? Vielleicht gibt es Spuren von Alien-Besuchen. Es ist ein spassiges Projekt, bei dem es vor allem darum geht, die Funktionsweise und das Potential von neuronalen Netzwerken besser kennenzulernen.