Das musst du wissen

  • Damit sich Schneeflocken bilden können, müssen gewisse Verunreinigungen, zum Beispiel Staub, in der Luft vorhanden sein.
  • Von den Wolken bis zum Boden durchfliegt jede Schneeflocke einen anderen Weg. Das erklärt, warum jede anders aussieht.
  • Temperatur, Feuchtigkeit, Druck und sogar das elektrische Feld der durchquerten Zonen beeinflussen die Gestalt.

Was ist eine Schneeflocke? Für die einen weisses Gold, für die anderen ein Synonym für garstiges Wetter und Winterpneus. Schneeflocken haben eine unglaubliche Vielfalt und gleichzeitig eine hexagonale Symmetrie. Daher stellt sich die Frage: Gibt es ein mathematisches Theorem, das diese Vielfalt erklären könnte? Dieser Aufgabe hat sich der Mathematiker Etienne Ghys gestellt, mit dem sich Heidi.news vor einigen Wochen zu seiner Konferenz über die Chaostheorie ausgetauscht hatte. Da vertraute er uns an, dass er mit uns lieber über die Mathematik der Schneeflocken gesprochen hätte. Dieses Thema lässt ihn nicht mehr los seit er es im Unterricht einem jungen Publikum vorstellen konnte. Der Schneeflocke widmet er auch sein Buch, das im Februar 2021 bei Odile Jacob erscheint: La petite histoire des flocons de neige.

Der Mathematiker hat Übung darin, wissenschaftliche Themen leicht verständlich zu vermitteln. «Angefangen hat alles vor etwa zwei Jahren», erklärt der Forschungsleiter am französischen Centre national de la recherche scientifique (CNRS), Professor an der École normale supérieure in Lyon und Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. «Wir waren mehrere französische Forscher, die im Rahmen der Stiftung „La main à la pâte“, Vorträge für junge Leute in Schulen hielten. Den Vortrag über Schneeflocken konnte ich erstmals für Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren halten. Dann konnte ich ihn Jugendlichen im Alter von 14-15 Jahren und Senioren nahe bringen.» Inzwischen hat Etienne Ghys zahlreiche öffentliche Vorträge zu diesem Thema gehalten (einige davon sind online verfügbar).

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Aus der Geschichte zur Erforschung der Schneeflocke. Die ersten Abbildungen von Schneeflocken stammen aus dem 16. Jahrhundert, erklärt Etienne Ghys.

«Olof Månsson war ein schwedischer Geistlicher. Als er Rom besuchte, entdeckte er, dass die Menschen des Nordens als Barbaren betrachtet wurden! Er war beleidigt und machte sich daran, das ganze Ausmass der nordischen Kultur in einem reich illustrierten Buch, „Historia de gentibus septentrionalibus“ zu zeigen. Es enthält die ersten sechsgliedrigen Abbildungen von Schneeflocken.»

Den nächsten Schritt tat Kepler im frühen 17. Jahrhundert. Er fragte sich sogar, ob Schneeflocken eine Seele haben! Etienne Ghys erzählt:

«Am 31. Dezember 1610 war Johannes Kepler auf der Suche nach einer Geschenkidee für einen Freund in Prag, mit dem er Silvester feierte. Plötzlich beginnt es zu schneien, und eine Schneeflocke landet auf seiner Kleidung. Fasziniert von der Beobachtung ihrer kristallinen Struktur, beschliesst er, sie sei das Geschenk! Aber da Schnee die schlechte Angewohnheit hat zu schmelzen, wird er daraus ein Buch machen, mit dem Titel „La neige sexangulaire“. Dieses Buch stellt unglaubliche Fragen über Schneeflocken.»

Zum Beispiel: Warum haben Schneeflocken immer sechs Äste? Warum sind sie flach und nicht dreidimensional? Um ein klareres Bild zu bekommen, müssen wir fast zwei Jahrhunderte warten, genauer gesagt auf das 19. Jahrhundert und den amerikanischen Fotografen Wilson Bentley.

«Er war sehr wichtig, aber in keiner Weise ein Wissenschaftler! Der Amerikaner begeisterte sich schon in jungen Jahren für Schnee. Er schaffte es, seine Eltern zu überzeugen, ihm eine der ersten kommerziell erhältlichen Kameras zu kaufen. Er montierte darauf ein Mikroskop und schuf die ersten Fotografien von Schneeflocken, die einen ausschliesslich künstlerischen Zweck hatten. Er hat auch nicht gezögert, sie bei Gelegenheit zu retuschieren. Aber es ist ihm zu verdanken, dass die Schneeflocken Teil unserer Kultur wurden und zum Symbol des Winters und für Weihnachten.»

Public Domain

Einige Fotos von Wilson Bently, ca. 1902.

Die Wissenschaft der Schneeflocke. Ein japanischer Physiker, Ukichiro Nakaya, geboren im Jahr 1900, trieb dann die Untersuchung von Flocken voran. Er ging sogar so weit, dass er Schneeflocken im Labor herstellte. Und rasch hat er begonnen, sie zu kategorisieren. Der Mathematiker kommentiert:

«Das ist es, was Wissenschaftler tun, wenn sie ein Phänomen nicht vollständig verstehen: Sie schaffen mal eine Ordnung.»

So wird der Physiker die künstlich hergestellten Kristallformen der Schneeflocken nach meteorologischen Bedingungen klassifizieren. Das Ergebnis ist das folgende „Nakaya-Diagramm“.

Ukichiro Nakaya

Damit sich aber diese Kristalle bilden können, müssen gewisse Verunreinigungen, zum Beispiel Staub, vorhanden sein, die in diesem Zusammenhang als „Keime“ bezeichnet werden. Aus einer Unreinheit entsteht dann die kristalline Reinheit einer Flocke.

Vom Zufall gezeichnet. Von den Wolken bis zum Boden durchfliegt jede Schneeflocke einen etwas anderen Weg und hat damit eine einzigartige Geschichte. Das erklärt, warum jede anders aussieht. Temperatur, Feuchtigkeit, Druck und sogar das elektrische Feld der durchquerten Zonen beeinflussen deren endgültige Morphologie.

Was hat Mathematik damit zu tun? Etienne Ghys meint geheimnisvoll:

«Trotz ihrer Unterschiede sind sich alle Schneeflocken ähnlich. Ich habe eine Theorie, um diese Ähnlichkeiten zu erklären. Sie benutzt Begriffe aus der Chaostheorie. Nun muss ich sie zuerst mal beweisen!»

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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