Das musst du wissen

  • Jodtabletten präventiv einzunehmen, ist in der aktuellen Situation wenig sinnvoll.
  • Selbst bei einer Atomexplosion würde das radioaktive Jod nur einen sehr geringen Teil der Strahlung ausmachen.
  • Wichtiger ist die Zuflucht in einem Schutzbunker – am besten mit einem «Überlebenspaket».

Der Krieg in der Ukraine und insbesondere der Beschuss des Atomkraftwerks Saporischschja schürt bei vielen Menschen Ängste vor einem nuklearen Angriff Russlands. «Aus Sorge um das Atomrisiko stürzen sich die Belgier auf Jodtabletten», titelte der Courrier international am 1. März. «Die Franzosen stürzen sich aus Angst vor einem Atomkrieg auf Jodtabletten», verkündete seinerseits Capital am selben Tag. In der Schweiz ist die Lage ruhiger, auch wenn die kantonalen und eidgenössischen Behörden die Situation überwachen und einen Anstieg der Anfragen verzeichnen. Das Laboratorium für Radioaktivitätsüberwachung dokumentiert die radiologische Situation in der Schweiz und in der Ukraine auf der Website radenviro.ch. Die Apotheken wurden ebenfalls über das Vorgehen bezüglich der Jodtabletten informiert.

Warum Jodtabletten keine Priorität haben. Es nützt nichts, Jodtabletten bei einem nuklearen Angriff vorsorglich einzunehmen: Jodtabletten verhindern zwar die Aufnahme von radioaktivem Jod, doch das ist nur eines von Tausenden von Radionukliden. Um sich vor der Strahlung einer Bombe zu schützen – vorausgesetzt, man überlebt die Explosion – sind andere Hilfsmittel nützlicher, darunter ein Kurbelradio, Wasservorräte und ein guter unterirdischer Schutzraum.

Der Kontext. Die russische Militäroffensive in der Ukraine und die nukleare Bedrohung durch Wladimir Putin haben das Interesse der Bevölkerung an Jodtabletten erhöht.

In der Schweiz werden sie alle zehn Jahre an die Bevölkerung verteilt, die in der Nähe der fünf Kernkraftwerke des Landes wohnt. Die nächste Verteilung findet 2024 statt.

Daniel Dauwalder, Pressesprecher des Bundesamtes für Gesundheit (BAG):

«In den Gemeinden im Umkreis von 50 Kilometer um die Schweizer Kernkraftwerke wurden vorsorglich Jodtabletten an alle Personen verteilt, die sich regelmässig dort aufhalten. Denn es wäre im Falle eines Unfalls in einem dieser Kraftwerke unmöglich, die Tabletten rechtzeitig zu verteilen.

In Gebieten, die weiter als 50 km entfernt sind, lagern die Kantone Jodtabletten ein, um im Falle eines Ereignisses die gesamte Bevölkerung damit versorgen zu können. Bei solchen Entfernungen wird die Zeit ausreichen, um die Tabletten an die betroffenen Personen zu verteilen.»

Im Kanton Genf informierte der Kantonsapotheker die Apotheken am 1. März in folgendem Schreiben:

«Wir sind uns bewusst, dass die Anfragen angesichts der Situation in der Ukraine gross sind und dass Sie stark gefordert sind.»

Die Mitteilung enthält Empfehlungen für den Gebrauch der Pillen. Laurent Paoliello, Sprecher des Gesundheitsdepartements des Kantons Genf:

«Das Schreiben an die Apotheken trifft mit der regelmässigen Aktualisierung der Jodtablettenvorräte zusammen. Es entspricht dem Verfahren, das im Falle eines nuklearen Zwischenfalls vorgesehen ist. Wir wollten den Anfragen der Bevölkerung nach Atombunkern und diesen Tabletten zuvorkommen.»

Worum es geht. Jodtabletten enthalten Kaliumiodid. Daniel Dauwalder erläutert ihren Nutzen:

«Jodtabletten werden bei einem schweren Unfall in einem Atomkraftwerk eingesetzt, wenn radioaktives Jod austritt. Die Tabletten verhindern, dass sich das radioaktive Jod in der Schilddrüse ansammelt und Schilddrüsenkrebs verursacht.

Auch beim Einsatz von Atomwaffen ist die Einnahme von Jodtabletten in bestimmten Fällen möglich. Ob und wann die Schweizer Bevölkerung sie nach einem Atomangriff im Ausland einnehmen sollte, hängt davon ab, wo der Angriff stattgefunden hat und ob die Windverhältnisse einen Transport von Radioaktivität in die Schweiz begünstigen.

Die Tabletten sind nur wirksam, wenn sie in einem bestimmten Zeitfenster eingenommen werden. Das bedeutet, nicht zu früh und nicht zu spät. Im Ernstfall würde der Befehl zur Einnahme von Jodtabletten von der Nationalen Alarmzentrale erteilt. Es wäre sehr wichtig, sich daran zu halten und die Tabletten nicht vorsorglich einzunehmen.»

Bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk rückt ein bestimmtes menschliches Organ besonders in den Fokus: die Schilddrüse. Die schmetterlingsförmige Drüse unterhalb des Kehlkopfs ist jener Teil des Körpers, der am empfindlichsten auf radioaktives Jod reagiert. Das Mini-Organ produziert Hormone, die den Stoffwechsel regulieren, die Muskeln kontrollieren sowie die Herz- und Verdauungsfunktionen steuern. 

Wie kommen hier nun die Jod-Tabletten ins Spiel? Indem die Tabletten die Schilddrüse mit Kaliumjod sättigen, verhindern sie, dass sie sich mit radioaktivem Jod belastet. So werden ihre wichtigsten Funktionen geschützt.

Die Einschränkung. Kaliumiodid schützt den Körper jedoch nicht vor der Belastung beispielsweise durch andere radioaktive Stoffe wie Cäsium und Strontium. Auch diese können bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk freigesetzt werden.

Wie Oliver Peric, Leiter der Katastrophenschutz-Zelle CBRN (Anm. d. Red.: Chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren) in der Mail der stellvertretenden Kantonsapothekerin in Genf bestätigt:

«Kaliumiodidtabletten haben keine Wirkung auf die radioaktiven Elemente, die beim Einsatz einer Atomwaffe freigesetzt werden.»

Und weiter:

«Der Nutzen von Kaliumiodidtabletten hängt vom Alter der Bürger ab: Das Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken, ist bei Personen unter vierzig Jahren höher.»

Höher ist auch das Risiko bei Kindern, die radioaktivem Jod ausgesetzt sind. Die Lehren aus dem Unfall von Tschernobyl 1986 sind in dieser Hinsicht eindeutig. Zwar haben über 40-Jährige praktisch kein Risiko, an einem solchen Krebs zu erkranken. Jedoch treten bei ihnen häufiger Nebenwirkungen der Einnahme von Kaliumiodid auf. Eine zu hohe Dosierung kann dazu führen, dass die Schilddrüse «verrückt spielt» und zu viele Schilddrüsenhormone produziert – was ein erhöhtes Risiko für Herzrhythmusstörungen mit sich bringt.

Was ist also zu tun? Bei einer Atomexplosion würde das radioaktive Jod schätzungsweise nur 0,2 Prozent der Strahlung ausmachen, welcher der Körper ausgesetzt ist. Das bedeutet, dass die Einnahme von Jodtabletten den Körper nicht vor den Auswirkungen der Strahlung schützen kann. Wie lange wir überleben oder wie schwer eine Krankheit ist, hängt von der Menge der vom Körper aufgenommenen Strahlung ab. Am besten ist es natürlich, der Strahlung gar nicht erst ausgesetzt zu sein.

Am besten sucht man sich einen Atombunker im Keller und versteckt sich dort mindestens 24 Stunden. Das ist zumindest der Rat von Experten auf diesem Gebiet. Und auf keinen Fall sollte man mit leeren Händen dort Zuflucht suchen. Sie sollten ein «Überlebenspaket» mitnehmen, das mindestens aus folgenden Dingen besteht:

  • Ein Kurbelradio, kein batteriebetriebenes Gerät, mit USB-Anschluss zum Aufladen anderer elektrischer Geräte. Dies ist die beste Möglichkeit, um im Krisenfall auf dem Laufenden zu bleiben,

  • eine Taschenlampe, ebenfalls mit Handkurbel,

  • ein Mehrzweckmesser mit Dosenöffner,

  • Wasser in einer Menge von drei Litern pro Person und Tag,

  • Kerzen, Streichhölzer und ein Feuerzeug,

  • Campingkocher mit Gaskartuschen und Schlafsack,

  • Hygieneprodukte, die auch ohne Wasser leicht zu verwenden sind, zum Beispiel Reinigungstüchlein,

  • Lebensmittel in ausreichender Menge,

  • Notfallapotheke,

  • etwas Bargeld.

Die Liste lässt sich weiter ergänzen – Angaben dazu finden sich auf der Website des Bundes Alertswiss. Dort kann man sich informieren, wie man sich auf eine solche Situation nützlich vorbereiten kann.

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

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Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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