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Nächste Woche berät das Schweizer Parlament einmal mehr über die Verlängerung des Gentechmoratoriums in der Landwirtschaft. Darüber also, ob auf unseren Äckern Pflanzen angebaut werden dürfen, die gentechnisch verändert worden sind. In Kraft ist das Moratorium seit 2005, nachdem sich das Schweizer Stimmvolk deutlich dafür ausgesprochen hatte. Seither wurde das Moratorium vom Parlament dreimal verlängert (2010 um drei Jahre, 2014 und 2017 um vier Jahre) und es gilt aktuell bis Ende 2021.

Der Bundesrat ist für eine weitere Verlängerung, weil «man noch zu wenig wisse über Kulturpflanzen, bei deren Zucht gentechnische Methoden im Spiel waren.»

Mit demselben Argument vom «zu wenig wissen» wurde im Auftrag des Bundesrates zwischen 2007 und 2011 ein Nationales Forschungsprogramm durchgeführt. Dieses hat 12 Millionen Franken gekostet. Die Resultate waren zwar eindeutig: von solchen Pflanzen geht keine Gefahr für Umwelt, Tiere und Mensch aus. Trotzdem ist die Skepsis gegenüber dieser Methode zur Pflanzenzüchtung geblieben.

Warum eigentlich?

Der Mythos der Natürlichkeit

Gentechnisch veränderte Pflanzen gelten als unnatürlich. Und hier wird es schwierig. Denn die Natürlichkeit unserer Lebensmittel ist ein reiner Mythos. Ohne Pflanzenzucht hätten wir kein einziges Obst oder Gemüse, wie wir sie heute kennen, auf dem Tisch. Ob Kartoffeln, Tomaten, Karotten, Äpfel, Birnen oder sonst was, nichts entspricht der Urform, wie die Natur sie zu bieten hat. Überall hat der Mensch massiv eingegriffen und das geschaffen, was wir uns heute so gerne als «natürlich» verkaufen lassen.

Der heutige Saatweizen zum Beispiel ging aus der Kreuzung mehrerer Getreide- und Wildgrasarten hervor. Irgendwann zwischen 7800 und 5200 v. Chr. kreuzten frühe Bauern das Einkorn und ein Gras namens Aegilops. Es entstand etwas, das wir heute Additionsbastard nennen. Was für ein grusliger Name: Bastard. Die Menschen veränderten so nicht nur eine Eigenschaft, oder ein Gen der Pflanze, sondern mischten gleich mehrere komplette Chromosomensätze zusammen. Damit die Pflanzen grösser wurden, stärker und vor allem mehr Ertrag abwarfen. Irgendwann wurden daraus die verschiedenen Weizensorten, die heute einen wesentlichen Teil der westlichen Ernährung ausmachen. In Form von Brot und Pasta.

Was genau der Unterschied zwischen Pflanzenzucht und Gentechnik ist, kann niemand sagen. Ausser eben, dass das eine den Nimbus des Natürlichen hat und das andere als unnatürlich gilt. Dabei ging es bei der Herstellung unserer heutigen Sorten alles andere als natürlich zu und her.
Nur schon, dass zwei sich fremde Gräser ihre kompletten Chromosomensätze zu einem Mehrfach-Chromosomensatz vereinen, ist nicht natürlich. Aber möglich.

Krebserregende Substanzen, radioaktive Strahlung

Um das zu provozieren, haben Pflanzenzüchter zum Beispiel die Substanz Colchicin eingesetzt. Colchicin wirkt direkt auf die Zellteilung ein. Man könnte auch sagen, es ist ein Gift. Aber es wird heute in geeigneten Dosen auch als Medikament bei vielerlei Krankheiten verwendet.

Und es war im Einsatz bei der Erzeugung von Triticale, eine Mischung aus Weizen und Roggen. Das wird als Tierfutter oder in Backwaren oder auch bei der Bierherstellung verwendet. Hergestellt mit einer krebserregenden Substanz.

Es kommt noch schlimmer. Einige unserer Kulturpflanzen wurden im 20. Jahrhundert durch radioaktive Strahlung erzeugt. Radioaktivität, das wissen wir alle, erzeugt Krebs. Züchter haben kreisrunde Felder angelegt und in der Mitte ein Behälter platziert, der radioaktives Kobalt enthält. Die Strahlung erzeugte in den Pflanzen Mutationen. Die meisten der so genetisch veränderten Nachkommen waren lebensunfähige Krüppel, aber manchmal entstanden auch Pflanzen mit «besseren» Eigenschaften. Die wurden weitergezüchtet. Es wird geschätzt, dass bis heute rund 1800 Pflanzensorten durch radioaktive Bestrahlungszucht verändert worden sind. Ist das natürlich?

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Ungleichbehandlung von Zuchtmethoden

Jetzt kommt die Gentechnik. Mit der Methode Crispr-Cas können wir ein Erbgut derart präzise verändern, dass danach im Produkt nichts mehr von der Behandlung zu sehen ist. Ausser dass die Pflanze zum Beispiel mehr Ertrag abwirft, bessere Backeigenschaften hat, oder mehr von einem gewünschten Stoff produziert.

Warum muss diese Pflanze als «gentechnisch» gekennzeichnet werden, anderes aber nicht als «mit Radioaktivität gezüchtet», oder «mit krebserregenden Substanzen hergestellt». Das ist eine Ungleichbehandlung.

Problem der Anwendung, nicht der Technologie

Unbestritten ist, dass mit Gentechnik auch nicht so schlaue Sorten erzeugt werden. Zum Beispiel solche, die gegen Herbizid resistent sind – also zum grossflächigen Einsatz dieses Herbizids dienen und so alles tötet, was auf dem Acker wächst, ausser zum Beispiel die gentechnisch veränderte Soja. Aber das ist nicht die Schuld der Pflanzenzüchtungsmethode, sondern des unintelligenten Umgangs damit. Und das führt letztlich zum schlechten Image einer an sich nützlichen Technologie.

Dass Gentechnologie fest in den Händen einiger weniger grosser Agromultis ist, so sagen nicht wenige Forschende auf diesem Gebiet, sei eine Folge der fortwährenden Verteufelung. Diese triebe die Sicherheitsanforderungen dauernd in die Höhe, so dass letztlich nur noch ganz wenige Grosskonzerne in der Lage seien, dies Anforderungen zu erfüllen. Gäbe es weniger strenge Auflagen – was ökologisch durchaus zu vertreten wäre – stünde die Technologie auch kleineren Anwendern zur Verfügung. Und diese, so die Hoffnung, könnten dann «schlauere» Pflanzensorten erzeugen und auch solche, die lokalen Gegebenheiten besser angepasst wären.

Der Faktist

Der Faktist schaut ganz genau hin. Im Dschungel der wissenschaftlichen Studienresultate behält er den Überblick. Zeigt, was zusammenhängt. Und was einfach nicht aufgeht. Der Faktist ist Beat Glogger, Gründer und Chefredaktor von higgs. Jeden Dienstag als Sendung auf Radio 1 und als Video auf higgs.
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