Das musst du wissen

  • Das menschliche Mikrobiom, also Mikroorganismen, die im und auf dem Mensch leben, ist unersetzlich für die Gesundheit.
  • Europäer aber zum Beispiel besitzen nur noch halb so viele verschiedene Bakterien im Darm wie Bewohner des Amazonas.
  • Um die Diversität des menschlichen Mikrobioms zu retten, wollen Wissenschaftler deshalb eine Sammlung anlegen.

Die Bakterien sterben uns in den Städten, ja in der gesamten westlichen Welt weg. Jedenfalls jene Bakterien, die uns etwas nützen. Das menschliche Mikrobiom, also nicht nur die Bakterien, sondern auch Viren und Pilze, die uns bewohnen, verliert immer mehr an Vielfalt. Dies hängt unter anderem mit der zunehmend sterilen Lebensweise der zivilisierten Welt zusammen. Das haben Untersuchungen gezeigt, die das Mikrobiom von isolierten, traditionell lebenden Urvölkern untersuchten. Die Darmflora von Europäern und Nordamerikanern zum Beispiel zeichnet sich durch nur halb so viel Diversität aus wie jene der Bewohner des Amazonasgebiets.

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Die Mikrobiom-Forscherin Maria Gloria Dominguez-Bello und der Mikrobiologe Martin Blaser von der Rutgers Universität in den USA forderten deshalb 2018 in einem Artikel, die Diversität des menschlichen Mikrobioms durch eine Sammelbank zu sichern. Sie haben nun, zusammen mit der Stiftung Seerave mit Sitz auf Jersey und der Schweizer Gebert Rüf Stiftung, eine Machbarkeitsstudie erstellt. Diese zeigt: Eine Mikrobiom-Bank wäre umsetzbar. Am besten in der Schweiz oder in Norwegen. Manuel Fankhauser, Mitglied des Projektteams dieser «Arche Noah für Mikroorganismen» und Chief Scientific Officer der Stiftung Seerave, erklärt im Interview, wieso in der Schweiz hunderte Bakterien in einen Bunker sollen.

 

zVg

Manuel Fankhauser.


Herr Fankhauser, intuitiv gedacht will mit Bakterien und Viren niemand etwas zu tun haben – gerade in der gegenwärtigen Pandemie. Nun will das Projekt Mikrobiom Vault Bakterien retten. Warum?

Die Bakterien, Viren und Pilze des menschlichen Mikrobioms sind wesentlich für das Funktionieren unseres Körpers. Erst die Millionen von Mikroorganismen, die in uns leben, machen uns zu einem Superorganismus. Ohne sie könnten wir zum Beispiel Ballaststoffe oder komplexe Zucker nicht abbauen. Auch unser Immunsystem funktioniert nur in Kooperation mit diesen Bakterien.

Wie viele solcher Mikroorganismen hat denn das menschliche Mikrobiom?

Es werden in der Forschung momentan verschiedene Ansätze angewendet, um das Mikrobiom zu quantifizieren. Man geht von dem ein bis zehnfachen der körpereigenen Anzahl an Zellen aus. Das heisst: Auf jede menschliche Zelle kommt mindestens ein Mikroorganismus. Das macht Billionen von Mikroben.

Und doch wissen wir noch kaum etwas über das menschliche Mikrobiom…

Die Forschung am menschlichen Mikrobiom hat erst vor rund zehn Jahren mit dem Human Microbiome Project 2008 an Fahrt aufgenommen. Wir müssen anerkennen, dass die Forschung da immer noch in den Kinderschuhen steckt. Das grosse Problem ist hier Big Data: Es gibt Billionen von Mikroben, die mit den unterschiedlichsten Zellen und Stoffen im Körper interagieren. Da gibt eine unvorstellbare Anzahl von Kombinationen. Die traditionelle Wissenschaft kommt mit dieser Komplexität nicht zu Schlag. Vieles verstehen wir noch nicht einmal annähernd. Wir können oft lediglich Korrelationen zwischen verschiedenen Faktoren feststellen, den Prozess dahinter aber noch nicht belegen.

Aber weshalb dann überhaupt eine Sammelbank für das Mikrobiom erstellen, wenn wir doch noch gar nicht wissen, was die Bakterien tun?

Weil man ganz klar weiss: Das Mikrobiom spielt für die Gesundheit eine grosse Rolle. Das sieht man an Versuchen mit sterilen Mäusen, die in total sterilem Umfeld aufwachsen und deshalb kein Mikrobiom besitzen. Die haben dann zum Beispiel ein völlig dysfunktionales Immunsystem. Die sind quasi krank von Geburt an. Es gibt dazu auch Studien am Menschen, aber da ist es sehr schwierig, auszuschliessen, dass andere Faktoren die Resultate verzerren. Was wir aber feststellen können: Chronische Krankheiten wie Adipositas, Diabetes und Asthma nehmen in der westlichen Welt zu. Genau dort also, wo die Diversität an Mikroorganismen im Körper abnimmt. Wir vermuten, dass viele Krankheiten durch den Einsatz von Mikroorganismen aus dem menschlichen Mikrobiom geheilt werden könnten. So weit ist die Forschung aber noch nicht. Es bringt aber nichts, dass wir die Lösung in vielleicht 50 Jahren haben, die benötigten Mikroorganismen dann aber aus dem menschlichen Biom verschwunden sind.

Weshalb verschwinden die Mikroorganismen?

Das liegt an den Eigenschaften der sogenannten Verwestlichung: Wir nehmen viel Antibiotika als Medizin und über Fleisch zu uns, leben in einer vergleichsweise sterilen Umwelt, essen sterile Lebensmittel, haben eine hohe Kaiserschnittrate, wodurch Babys vom Mikrobiom der Mutter weniger mitbekommen. Wir praktizieren eine exzessive Hygiene, die ja auch nötig ist, um zum Beispiel das Coronavirus einzudämmen. Aber sie führt eben zu weniger Diversität im Mikrobiom.

Science-Check ✓

Studie: Microbiota Vault – Feasibility StudyKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Studie gibt einen Überblick über alle offenen und geklärten Fragen, welche das Projekt stellt. Sie liefert eine Analyse zu wissenschaftlichen, organisatorischen, rechtlichen, ethischen, ökonomischen und sicherheitstechnischen Aspekten. Sie kommt zum Schluss, dass der Aufbau einer sicheren Mikrobiom-Sammlung machbar wäre. Ein Pilotprojekt würde eine Million kosten, die Einrichtung der Sammlung in einem umgenutzten Bunker dann mindestens weitere vier Millionen Franken. Das Gelingen des Projektes hängt deshalb vor allem von finanziellen, aber auch von rechtlichen Erfolgen ab.Mehr Infos zu dieser Studie...

Nun soll also eine Sammlung dieses Mikrobioms angelegt werden. Woher sollen diese Bakterien kommen?

Wir wollen Duplikate bereits bestehender Mikrobiom-Sammlungen aus Laboren weltweit erstellen. Wichtig ist aber, dass vor allem in Regionen, die noch wenig urbanisiert sind, menschliche Mikrobiom-Proben gesammelt werden. Hierfür will das Projekt Entwicklungsländer in dem Aufbau von Laboren und dem Sammeln von Proben finanziell unterstützen. Am besten eignen sich hierfür Fäkalproben. Es würden hunderte, später dann Tausende solcher Proben gesammelt und als Back-Up an einem hochsicheren Ort aufbewahrt.


Warum können die Proben denn nicht in bestehenden Labors aufbewahrt werden? In der Schweiz zum Beispiel gibt es bereits die Culture Collection of Switzerland, wo Proben gelagert werden können.

Es geht darum, dass die Mikrobiom-Sammlung an einem unabhängigen und sicheren Ort aufbewahrt wird, ähnlich dem Svalbard Global Seed Vault in Norwegen, dem weltweit grössten Archiv zur Erhaltung der Nutzpflanzendiversität für den Fall von natürlichen oder durch Menschen verursachten Katastrophen.

Und hier kommt die Schweiz ins Spiel.

Genau. Die Schweiz wird als neutral angeschaut und hat viele ausrangierte Armeebunker. Wir haben auch schon einige besichtigen können und geschaut, ob es da etwas Passendes gibt. Da sind uns die Munitionsdepots aufgefallen, einfach gesagt sichere Garagen, die passen würden als Hochsicherheitsstandort. Das wäre viel bezahlbarer, als ein solch sicheres Lager selber zu bauen. Die bürokratischen und rechtlichen Hürden sind aber hoch.

Für wie lange können die Bakterien in einem solchen Bunker überleben?

Da gibt es keine genaue Antwort. Es gibt verschiedene Methoden, die Mikroorganismen zu konservieren. Einerseits kann man sie einfrieren bei minus 195 Grad oder gefriertrocknen und bei natürlicher Temperatur, möglichst aber kalt, lagern. Bei beiden Methoden gibt es Mikroorganismen, die nicht überleben werden und andere, die überleben. Zudem kann man einerseits ganze Samples, also zum Beispiel Fäkalhaufen, lagern oder aber die Bakterienstämme isolieren und so aufbewahren. Letztere Methode kennen wir aus der Forschung gut – wir brauchen heute noch Bakterienstämme, die in den 90er-Jahren eingefroren und seither mehrmals wieder aufgetaut und wieder eingefroren wurden. Das Ziel ist, mehrere Lagermethoden gleichzeitig anzuwenden und auch zwei Standorte zu haben, zum Beispiel einen in der Schweiz und einen in Norwegen. Wir wollen Redundanzen schaffen, um die Biom-Sammlung sicher zu machen.

Wer steht eigentlich hinter dieser Idee?

Die treibenden Kräfte sind die Mikrobiom-Forscherin Maria Gloria Dominguez-Bello und der Mikrobiologe Martin Blaser, sie sind auch Präsidentin und Vizepräsident der Microbiotavault Inc., einer in den USA gegründeten Stiftung, welche das Projekt vorantreiben soll. Die Seerave Foundation stiess zu dem Projekt, weil wir uns für Forschung zum Mikrobiom interessieren, weil dieses das Immunsystem beeinflusst. Davon erhoffen wir uns Erkenntnisse in der Krebsforschung.

Die Machbarkeitsstudie ist nun erst der erste Schritt. Wie soll das Projekt finanziert werden?

Eine Schlüsselrolle für die Finanzierung spielt das Interesse aus der Öffentlichkeit und von den Regierungen. Denn: Es ist zentral, dass die Daten der Biom-Sammlung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Das kommerziell auszuspielen, dient der Sache nicht. Auch beim Seed Vault in Norwegen hat die dortige Regierung eine wichtige Rolle gespielt und die Infrastruktur finanziert. Die zweijährige Pilotphase, die für die Mikrobiom-Sammlung nun ansteht, wird rund eine Million Franken kosten. Es ist noch ein langer Weg vor uns: Beim Seed Vault dauerte es von der Idee bis zur Umsetzung über 20 Jahre.

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