Das musst du wissen

  • Wir verbringen mindestens einen Drittel unserer Zeit mit Tagträumen.
  • Tagträumen hat viele positive Funktionen. Es fördert etwa die Kreativität.
  • Es gibt aber auch krankhafte Tagträumer, die das reale Leben vernachlässigen.
Den Text vorlesen lassen:

Ich rühre die Tomatensauce fürs Abendessen um, blicke dabei ins Nichts und denke daran, dass ich endlich die Unterkunft für die Sommerferien buchen will. Ich stelle mir vor, wie ich am See liege und der warme Wind meine Haut kitzelt. Auf einmal spüre ich tatsächlich etwas Warmes auf meiner Hand: Die köchelnde Sauce ist aus dem Topf gespritzt.
Forschende gehen davon aus, dass wir alle mindestens einen Drittel der Zeit, in der wir wach sind, tagträumen.

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Tagträumen passiert meist unbewusst, wir können unsere Gedanken aber auch ganz bewusst auf Reisen schicken. Allerdings haben Wissenschaftler herausgefunden, dass viele Menschen das nur ungern tun. Forschende der Universität Virginia haben im Jahr 2014 in elf Studien untersucht, ob die Teilnehmenden sich zwischen sechs und 15 Minuten lang nur mit ihren eigenen Gedanken beschäftigen können und ob sie diese Zeit geniessen. Die Teilnehmenden sollten während der festgelegten Zeit auf einem Stuhl sitzen, nicht aufstehen und sich nicht durch den Blick aufs Handy oder ähnliches ablenken. In einer der elf Studien hatten 55 Teilnehmende die Möglichkeit, sich selbst leichte Elektroschocks zu verpassen, um die erzwungene Untätigkeit zu überbrücken. Das taten 67 Prozent der Männer und 25 Prozent der Frauen. Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass es den meisten Menschen so schwerfällt, ganz bewusst in Gedanken zu schwelgen, dass sie sich lieber schmerzhafte Elektroschocks zufügen.

Die meisten Menschen lassen ihre Gedanken also lieber ungeplant schweifen. Sobald wir eine einfache Tätigkeit ausüben, die nicht die vollständige Aufmerksamkeit beansprucht, beginnt der Tagtraum, wie eine Studie bereits 2009 ergeben hat.
Lange wurden Tagträumereien mit Argwohn betrachtet. Wer Luftschlösser baue, sei unaufmerksam, hiess es. Doch mittlerweile zeigt die Forschung, dass es auch Vorteile hat, den Gedanken Auslauf zu gewähren.

  • Tagträumen fördert die Kreativität: Wer verbissen versucht, ein Problem zu lösen, gerät unter Umständen an Grenzen. Hilft da eine Runde joggen oder das Gemüse fürs Abendessen schneiden? Die Forschung sagt ja. Eine Studie zeigte im Jahr 2012: Wer sich einfachen Tätigkeiten zuwendet und die Gedanken ziehen lässt, kann Probleme, die kreative Lösungen erfordern, besser bewältigen. Für die Studie wurden 145 Teilnehmende in vier Gruppen eingeteilt. Diejenigen, die eine Aufgabe lösen sollten, während sie eine anspruchslose Tätigkeit ausübten, schnitten am besten ab. Die einfache Tätigkeit begünstigt laut den Wissenschaftlern das Gedankenwandern.
  • Gedankenwandern hilft uns im sozialen Miteinander: Wann, wie oft und warum lassen Chinesen ihre Gedanken wandern? Diese Frage stellte sich ein chinesisches Forschungsteam im Jahr 2012. Das Resultat: In den meisten Fällen erschienen vor dem inneren Auge der 165 Teilnehmenden konkrete Episoden aus der Vergangenheit oder Zukunft. In knapp 71 Prozent der Fälle dachten sie in diesen Gedankenepisoden über Situationen mit anderen Menschen nach. Die Forschenden gehen davon aus, dass wir alle uns mit solchen inneren Reisen auf zukünftige Begegnungen mit unseren Mitmenschen vorbereiten.
  • Gedankenreisen verleihen den eigenen Erfahrungen Sinn: Wer über vergangene oder zukünftige Ereignisse nachdenkt, kann seine Erfahrungen in einen sinnvollen Kontext stellen, schreiben die Psychologen Jonathan Smallwood und Jonathan W. Schooler. Diese Sinnsuche könne das Wohlbefinden steigern und die Gesundheit fördern.
  • Gezieltes Tagträumen vertreibt Langeweile: Die soziale Isolation während der Corona-Pandemie gibt vielen Menschen die Zeit und Gelegenheit, ihre Gedanken ganz bewusst schweifen zu lassen. Das ist eine lohnenswerte Sache, denn gezieltes, positives Tagträumen kann laut Forschenden der Universität Florida dabei helfen, besser mit Stress umzugehen. Die Gedanken sollten dabei um Ereignisse kreisen, die für die Menschen zugleich positiv und bedeutungsvoll sind. Das Problem: Die Forschenden haben in einer Studie herausgefunden, dass die Teilnehmenden konkrete Vorschläge benötigten, um ihre Gedanken auf Ereignisse zu lenken, die zugleich positiv und bedeutungsvoll sind. Zu den Vorschlägen der Forschenden gehörte zum Beispiel der Gedanke an den ersten Kuss oder an eine bevorstehende Reise.

Science-Check ✓

Studie: What makes thinking for pleasure pleasurable?KommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsDie Anzahl der Studienteilnehmenden war nicht besonders gross. Zudem beruhen die Resultate auf den Selbstaussagen der Teilnehmenden. Dennoch legt die Studie die Vermutung nahe, dass Menschen konkrete Hilfestellungen brauchen, um in positive und zugleich sinnvolle Tagträume zu versinken. Die Ergebnisse müssen durch weitere Forschung bestätigt werden.Mehr Infos zu dieser Studie...

Mein Fazit: Wenn mir in Zukunft mal wieder die Tomatensauce anbrennt, weil ich in Tagträumereien verfallen bin, werde ich mich nicht mehr ärgern. Denn was ist schon ein misslungenes Abendessen im Vergleich zu einem genialen Gedanken, der während der Gedankenwanderung in meinem Gehirn entstehen kann!

Wenn der Tagtraum zum Albtraum wird

Nicht immer haben Tagträume positive Auswirkungen. Die krankhafte Flucht in Fantasiewelten wird als maladaptives Tagträumen bezeichnet. Die Betroffenen versinken so stark in ihren Gedanken, dass sie ihr echtes Leben, ihre Beziehungen und ihre Verpflichtungen vernachlässigen. Eine Studie der Universität von Haifa in Israel aus dem Jahr 2018 hat ergeben, dass maladaptive Tagträume häufig mit Zwangsstörungen einhergehen.

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