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Zuschauerfrage: Was ist der Unterschied zwischen Latenzzeit und Inkubationszeit?
Beat Glogger: Die Latenzzeit und die Inkubationszeit werden gerne verwechselt. Die Latenzzeit ist die Zeit, die vergeht zwischen dem Moment, in dem ich vom Virus angesteckt werde, und dem Moment, ab dem ich das Virus weitergeben kann. In dieser Zeit zeige ich noch keinerlei Symptome. Es ist die Zeit, die das Virus benötigt, um sich zu vermehren, und ich nachher beispielsweise durch Tröpfchen das Virus weitergeben kann. Typischerweise beläuft sich diese Latenzzeit auf zirka drei Tage, wie das Robert-Koch-Institut verlauten lässt. Die kürzeste Latenzzeit, die beobachtet wurde, liegt bei zweieinhalb Tagen. Nach mindestens zweieinhalb Tagen kann ich das Virus weitergeben und habe noch keine Symptome. Und hier liegt auch der Unterschied zur Inkubationszeit: Das ist die Zeit zwischen der Ansteckung und dem Auftreten der ersten Symptome. Bei der Inkubationszeit liegt der Mittelwert bei fünf bis sechs Tagen.
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Zwischen den drei Tagen Latenzzeit und den sechs Tagen Inkubationszeit bin ich eigentlich am gefährlichsten, denn ich weiss von nichts und gebe das Virus weiter. Es gibt auch Studien, die die Inkubationszeit auf vier bis neun Tage festlegen. Das heisst diese gefährliche Phase zwischen Latenz- und Inkubationszeit könnte durchaus auch länger anhalten. Die Quarantänezeit wird deshalb sicherheitshalber auf zwei Wochen angesetzt, denn es gab auch schon Patienten, die erst zwei Wochen nach der Ansteckung erste Symptome zeigten.
Weisst Du eigentlich, warum es Quarantäne heisst?
Jan Vontobel: Ja das habe ich mal gelesen, das kommt von den Zeiten als die Pest sich in Italien ausbreitete. Dort wurden die Angesteckten vierzig Tage isoliert.
Beat Glogger: Genau, das sind die quaranta giorni, in denen die Erkrankten nicht vom Schiff durften und im Hafen festgehalten wurden im 14. Jahrhundert.
Jan Vontobel: Ist denn eigentlich bei vielen Krankheiten die Latenzzeit kürzer als die Inkubationszeit?
Beat Glogger: Das ist in der Regel so. Das Virus braucht seine Zeit, um sich im Körper zu vermehren. Bis die Konzentration im Speichel so gross ist, dass wir es weitergeben können. Und erst danach treten erste Symptome auf.
Jan Vontobel: Covid-19 wird auch als Chamäleonkrankheit bezeichnet – was ist damit gemeint?
Beat Glogger: Ja das ist eine lustige Bezeichnung für eine Krankheit. Wir wissen ja, Chamäleone passen sich an, sind sehr wandelbar. Eine Krankheit, die nicht immer genau gleich aussieht, wird Chamäleon genannt. Es gibt einen Bericht im Swiss Medical Weekly. Ein 83-jähriger Patient ist hingefallen und wurde eingeliefert. Er hatte weder Husten noch Fieber. Niemand kam auf die Idee Covid-19 zu testen. Im Computertomographen, in dem die Ärzte den Zustand der Rippen überprüfen wollten, sahen sie dann deutliche Anzeichen von Covid-19 in der Lunge. Und der Virustest war positiv. So hat sich das Virus äusserlich gar nicht gezeigt.
Jan Vontobel: In diesem Fall hatte sich das Virus bereit in der Lunge ausgebreitet. Es gibt ja im Handel Messgeräte für den Sauerstoffgehalt im Blut. Meine Mutter beispielsweise hat so eines. Ich habe schon gehört, dass der Sauerstoffabfall im Blut eines der ersten Symptome sei. Wäre es empfehlenswert in diesen Zeiten regelmässig das Blut selbst zu testen?
Beat Glogger: Ich kann nicht sagen es wäre nicht sinnvoll. Es ist keine Diagnosemethode. Aber wenn im Haushalt bereits so ein Gerät vorhanden ist, und man feststellt, dass der Sauerstoffgehalt gesunken ist, dann rate ich auf jeden Fall den Arzt zu konsultieren. Eine extra Anschaffung wegen der Pandemie halte ich aber nicht für nötig.
Jan Vontobel: Bei aller Wandelbarkeit der Krankheit, was sind die Hauptsymptome von Covid-19?
Beat Glogger: Fieber tritt bei über 85 Prozent der Erkrankten auf. Das heisst aber auch, dass 15 Prozent dieses eben nicht zeigen. Der Husten ist ganz klar ein Hauptsymptom, und zwar ein trockener, kein schleimiger Husten, den 70 Prozent der Erkrankten aufweisen. Kurzatmigkeit tritt dann noch bei knapp 20 Prozent der Patienten auf. Andere Symptome zeigen sich auch vermehrt, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Muskelschmerzen. Das klingt auch wieder sehr nach Grippe. Kopfschmerzen. Neu sind auch Übelkeit, Erbrechen Durchfall Covid-19 zugeordnet. Fieber und trockener Husten sind aber sicher die Hauptindizien. Das typische Krankheitsbild gibt es aber nicht, wie ich das Robert-Koch-Institut zitieren kann. Es gibt aber viele Krankheiten, die ganz verschiedenartig auftreten.
Jan Vontobel: Du hast den Durchfall erwähnt, das ist erstaunlich!
Beat Glogger: Das war tatsächlich ein Symptom, das man am Anfang überhaupt nicht in Verbindung brachte mit Covid-19. In einer chinesischen Studie ist zu lesen, dass ein Fünftel der Patienten nur Symptome im Magen-Darm-Trakt zeigte. Bei einem Drittel der Patienten waren Symptome im Verdauungstrakt mit denen in den Atemwegen kombiniert. Patienten, die Symptome im Verdauungstrakt aufweisen, wurden häufig später diagnostiziert, aus nachvollziehbaren Gründen. Und es ging auch länger zwischen Diagnose und geheilten Zustand.
Jan Vontobel: Der Geschmacksverlust ist auch in aller Munde, sozusagen.
Beat Glogger: Darüber wird zwar viel gesprochen, aber auch bei üblichen Grippen und Erkältungen können die Patienten wegen verstopfter Nase weniger gut riechen und schmecken. Der Unterschied zu Covid-19 ist, dass laut Harvard University, dass das Sars-CoV-2 die Nervenzellen im Riechorgan angreift und damit die chemische Übertragung der Duftstoffe an das Gehirn beeinträchtigt. Interessant finde ich, dass das Virus also die Schleimhäute der Atemwege befällt und auch die Nerven. Das sind morphologisch zwei ganz verschiedene Dinge. Daraus kann man schliessen, dass es sich bei Covid-19 um ein sehr junges Virus handelt. Die meisten anderen übertragbaren Krankheiten haben sich schon spezialisiert, wie das HPV-Virus, das Gebärmutterhalskrebs auslöst – und zwar nur im Gebärmutterhals. Während Covid-19 noch wahllos zuschlägt und quasi sein Lieblingsplätzchen noch nicht gefunden hat.
Jan Vontobel: Wie läuft denn dieser Prozess hin zum «Lieblings-Plätzchen» – wie Du es so schön nennst – ab?
Beat Glogger: Das Virus passt sein Programm diesem Lieblings-Plätzchen an. Jeder Organismus kann sich über seine eigene Evolution äusseren Reizen anpassen – auch bei der Entwicklung der Resistenz gegen ein bestimmtes Antibiotikum. Irgendwann wird auch das Sars-CoV-2 lernen, wo es am schnellsten eindringen kann, und wo es sich am effektivsten Vermehren kann. Zum Beispiel könnte es sein, dass dieses Virus in der Nervenzelle des Riechorgans wieder ausstirbt, während es in der Epithel-Zelle der Lunge wunderbar gedeihen kann. Und so geht Evolution vor sich. Evolution klingt zwar langsam, aber bei Viren geht eine solche Evolution extrem schnell vor sich.
Jan Vontobel: Survival of the fittest.
Beat Glogger: Ja und hier räume ich auch mit einem weit verbreiteten Irrtum auf: Survival of he fittest meint nicht das Überleben des Stärksten, sondern das Überleben des Anpassungsfähigsten.
Jan Vontobel: Erstaunlich. Diese Anpassungsfähigkeit und damit auch das diverse Auftreten führt ja auch zu viel Unsicherheit. Das Risiko, dass die Leute nun sehr genau auf ihren Körper hören und überall Symptome feststellen ist ja auch gross?
Beat Glogger: Es gibt eine interessante Studie, die von britischen und amerikanischen Forschenden durchgeführt wurde. Sie haben zwischen dem 24. Und dem 29. März bemerkenswerte 1.5 Millionen Menschen über ein App einen Fragebogen ausfüllen lassen. Sie wollten wissen, ob die Befragten bei sich selber Symptome feststellen. Knapp 400 000 Leute hatten nach ihrem Empfinden Symptome. Aufgerechnet würde das bedeuten, dass ein Viertel der Menschen erkrankt wären. Nun haben die Forschenden mittels Stichproben Corona-Tests gemacht und von diesen 400 000 Personen wurde lediglich ein Drittel positiv getestet. Hier haben also die zwei Drittel, die negativ getestet wurden entweder ähnliche Symptome von einer anderen Krankheit, oder sie meinen nur, sie hätten Symptome. Und auch das wird immer stärker diskutiert: Wenn eine Krankheit so stark in der Öffentlichkeit präsent ist. Dann ist die Einbildung von Symptomen gar nicht mehr so selten. Also wenn ich jetzt viel rede am Mikrofon, dann kriege ich auch einen trockenen Hals und muss mal hüsteln. Und je nachdem wie sensibel ich auf meine Gesundheit reagiere, komme ich schnell darauf, dass ich doch einen trockenen Husten hätte.
Jan Vontobel: Man hat ja auch schnell beim ersten Anzeichen schon Angst, dass das nun die Krankheit sein könnte.
Beat Glogger: Genau, das kennen auch meine Kollegen von Gesundheitssendungen. Wenn in der Berichterstattung ein Ausschlag besprochen wird, gehen am nächsten Tag alle zum Arzt, weil sie ein oder zwei Pickel bei sich feststellen. Das nennt man den Nocebo-Effekt. Nocebo ist nicht nur die Einbildung der Symptome, sondern sie kriegen durch ihre negativen Gedanken, dann auch tatsächlich diese Symptome und werden effektiv krank. Nocebo ist das Gegenteil von Placebo. Bei Nocebo muss auch ein Arzt konsultiert werden, allerdings nicht zur medikamentösen Behandlung, sondern zur Beratung.
Jan Vontobel: Jetzt gibt es aber auch asymptomatische Patienten, die gar keine Symptome haben. Wie gross ist dieser Anteil?
Beat Glogger: Es gibt sozusagen einen Idealfall von einem Experiment in der freien Wildbahn. Nämlich auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess. Auf diesem sind 3711 Passagiere über Wochen festgesessen, weil Covid-19 auf dem Schiff festgestellt wurde. Schlussendlich hatten rund 600 von diesen Passagieren ein positives Testergebnis. Unter diesen 634 Passagieren hatten 18 Prozent, also ein Fünftel, überhaupt keine Symptome. Eine Studie aus Japan spricht von 30 Prozent asymptomatischen Patienten, das Robert-Koch-Institut sagt nur 3.3 Prozent. Das Spektrum ist also relativ breit. Ich persönlich denke, Diamond Princess war eigentlich fast ein Laborexperiment. Darum: ein Fünftel ist sehr realistisch.
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