Du kennst «League of Legends» nicht? Dann bist du vermutlich über dreissig und hast auch sonst nicht viel mit Computerspielen am Hut. Doch LoL, wie es unter Kennern genannt wird, ist ein Phänomen: Weltweit spielen das Game rund 100 Millionen Menschen. Den Gewinnern der alljährlich vor grossem Publikum ausgetragenen Weltmeisterschaft winken Preisgelder in Millionenhöhe.

Mit stupiden Kinderspielen hat LoL wenig zu tun. Die Regeln sind komplex und um gegen die – von realen Mitspielern gesteuerten – Gegner zu gewinnen, ist strategisches Denken nötig. Nichts für Doofe also. Das belegt auch eine letztes Jahr im Fachmagazin «Plos One» erschienene Studie. Forscher der Universität York in Nordengland ermittelten dafür den IQ von 56 LoL-Wettkampfspielern. Es zeigte sich, dass Spieler mit hohen Plätzen in der Rangliste auch punkto Intelligenz Spitzenplätze belegten: Sie schnitten beim Test für fluide Intelligenz, also beim Lösen von Problemen, deutlich besser ab. Doch ob die Spieler durch die Stunden vor dem Bildschirm tatsächlich klüger wurden oder ob es intelligentere Spieler in der Liga einfach weiterbringen, lasse sich aus solchen Zusammenhängen nicht beantworten, sagt der Studienleiter und Psychologe Alexander Wade. «Wir tippen auf Letzteres.» Denn der IQ lasse sich erfahrungsgemäss durch Training nur geringfügig verbessern.

Filmindustrie abgehängt

Computerspiele, vom simplen Handyspielchen über gewalttätige Ballerschlachten bis hin zu sogenannten Multiplayerarenen wie LoL, sind längst ein gängiger Zeitvertreib für grosse Teile der Industriegesellschaften. Weltweit erwartet die Branche dieses Jahr erstmals mehr als 100 Milliarden Dollar Umsatz – und hat damit die Film- und Musikbranche längst abgehängt. Auch die Forschung über die Effekte des Computerzockens floriert und bringt jährlich Hunderte von Studien hervor. Schliesslich will man wissen, wie Hirn und Verhalten von diesem Massenphänomen beeinflusst werden.

Entgegen des verbreiteten Vorurteils gegenüber der digitalen Verblödung zeichnen viele dieser Studien ein sehr differenziertes Bild. Recht eindeutig ist zum Beispiel der Befund, dass viele Spiele zwar nicht den gesamten IQ, wohl aber einzelne dabei beanspruchte Hirnfunktionen verbessern. Das zeigt sich beispielsweise in der sogenannten Stroop-Aufgabe, einem Klassiker der kognitiven Psychologie, bei dem man die Schriftfarbe kurz nacheinander präsentierter Wörter benennen soll. Handelt es sich dabei um anders getönte Farbbegriffe, etwa das Wort «blau» in roten Buchstaben, steigen Reaktionszeit und Fehlerquote. Nicht aber bei Gamern: Wer sich regelmässig mit actionreichen Computerspielen die Zeit vertreibt, der kommt im Stroop-Test deutlich besser zurecht.

Ähnliche Trainingseffekte zeigten sich auch beim räumlichen Vorstellungsvermögen oder in der kognitiven Kontrolle, die jemanden leichter zwischen zwei Aufgaben hin und her wechseln lässt. «Menschen, die oft Actioncomputerspiele spielen, sind in solchen Aufgaben sehr gut. Sie wechseln schnell und ohne grossen Aufwand», sagt Neurowissenschaftlerin Daphne Bavelier, die an der Universität Genf untersucht, wie Spiele die Hirnfunktionen beeinflussen. Um Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten, führte Bavelier auch Studien mit Probanden durch, die zuvor kaum am Computer gespielt hatten – auch hier zeigten sich schnell ähnliche Effekte. Das Gamen scheint also tatsächlich gewisse Hirnfunktionen zu verbessern.

Widersprüchliche Resultate

Tut sich also Gutes, wer täglich Stunden am Bildschirm spielt? Nicht unbedingt. Denn in der Masse von Computerspielstudien finden sich ebenso Befunde, die das Gegenteil zu belegen scheinen. Dazu gehört auch die Studie, die Forscher um Christian Montag von der Universität Ulm in der Fachzeitschrift «Addiction Biology» vorlegten. Montag und seine Kollegen vermassen mittels Kernspinuntersuchungen die Hirnstrukturen von exzessiven Gamern, die in der Woche durchschnittlich vierzehn Stunden «World of Warcraft» spielten – ein ebenso verbreitetes Game wie LoL. Die Hirnstrukturen der Gamer verglichen sie mit dem Gehirn von Probanden ohne ausgeprägte Spielernatur und stellten fest, dass die sogenannte graue Hirnsubstanz bei den Gamern stellenweise reduziert ist. Und zwar im Orbitofrontalkortex, der zu dem für höhere Aufgaben zuständigen Stirnlappen gehört. Der Verlust war umso grösser, je exzessiver ihr Spiel war.

Weil diese Beobachtung nur wenig über Ursache und Wirkung aussagt, liessen die Forscher in einer zweiten Teilstudie dann eine Hälfte der Kontrollgruppe sechs Wochen lang täglich mindestens eine Stunde lang «World of Warcraft» spielen. Und tatsächlich: Schon nach dieser kurzen Zeit wiesen auch ihre Frontallappen Stellen mit ausgedünnter grauer Substanz auf, wenn auch in anderen Hirnbereichen.

Nur, was bedeutet das? Das Volumen der grauen Substanz, in der die Zellkörper der Nervenzellen der Hirnrinde sitzen, variiert im Laufe des Lebens von Natur aus stark und hängt von einer Reihe von Faktoren ab – ob eine Veränderung gut oder schlecht ist, lässt sich kaum sagen. So ging in einer japanischen Studie von 2013 ausgiebiger TV-Konsum bei Kindern und Jugendlichen sogar mit einem erhöhten Volumen der grauen Masse einher.

Diese widersprüchlichen Befunde machen es Videospielanhängern wie -gegnern leicht, sich die zu ihrem Weltbild passenden Ergebnisse herauszupicken. Sicher ist: Wer viel Zeit am Bildschirm verbringt, dem fehlt sie für anderes. «Mit Computerspielen ist es wie mit Rotwein», zieht die Schweizer Neurowissenschaftlerin Daphne Bavelier einen Vergleich: Moderat genossen könne man sich daran erfreuen, und womöglich fördere er sogar die Gesundheit. In grossen Mengen jedoch schade er.

Die Erstversion dieses Beitrags erschien am 15. Dezember 2015.
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