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Jan Vontobel: Bist du nicht auch ein wenig erschrocken, als du Bilder gesehen hast von den Menschenansammlungen? Dies bedingte, dass man zusätzliche Parks schliessen musste, weil sich Leute dort versammelten. Ich persönlich war am Samstag ein bisschen erschrocken, als ich mit dem Auto unterwegs war und feststellen musste, dass es an vielen Orten Leute hatte, die sehr nahe beieinander waren. Zum Teil ganz Generationen durchmischt.
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Beat Glogger: Ja, dies ist erschreckt mich auch. Ich kann das nicht messen, das werden die Auswertungen von Handydaten zeigen, ich habe aber den Eindruck, dass es die Leute nicht mehr so ernst nehmen. Ich hatte auch ein solches Erlebnis in einem Tankstellenshop. Man sagt ja, ein Mensch pro 10 Quadratmeter Verkaufsfläche. Dieser Tankstellenshop war hoffnungslos überfüllt. Die Leute nahmen keine Rücksicht auf Social Distancing und es macht mir ehrlich gesagt ein wenig Sorgen, dass die Vorsicht in Parks oder in kleinen Läden – wie ein Tankstellenshop – nachlässt. Das finde ich bedenklich.
Jan Vontobel: Man kann dies auch schon mit Daten belegen. Es gibt ja das Projekt von Intervista Statistik Zürich und der ETH bei welchem 2500 Leute mit dem Handy getrackt werden und man sieht dabei bereits, dass die Bewegung zwar am Wochenende zurück gegangen ist. Aber sie ging deutlich weniger zurück als noch das Wochenende zuvor. Man sieht auch bei den wissenschaftlichen Daten, es hat mehr Bewegung gegeben. Die Leute gingen noch stärker raus – vermutlich auch wegen des schönen Wetters und man wusste, dass es danach wieder kalt und schlechter Wetter werden würde.
Beat Glogger: Auf SRF sah ich auch Interviews, das erzähle ich nun vom Hörensagen, bei welchen solche Leute gefragt, warum sie dann jetzt an die Seepromenade gegangen seien. Dabei nehmen alle ein Ausnahmerecht in Anspruch. «Ich bin schon zwei Wochen zu Hause und mir fällt die Decke auf den Kopf.» Das ist ja alles klar. Man soll ja auch Sport treiben. Man kann joggen oder wandern, aber dann bitte nicht alle am gleichen Ort und vor allem den Abstand muss man wahren. Es ist wissenschaftlich sehr gut dokumentiert, dass dichte Menschenmengen die Ausbreitung eines Virus massiv fördert.
Jan Vontobel: Wir haben auch Zuhörer und Zuhörerinnen motiviert uns Fragen per Mail zuzusenden an wissenschaft@radio1.ch. Und wir haben einige Fragen bekommen. Einige meinten, es gäbe keine Medikamente geben Viren. Das stimmt so aber nicht, oder?
Beat Glogger: Das habe ich auch mehrfach gehört, dass es keine Medikamente gegen Viren geben soll. Das stimmt ganz klar nicht. Es gibt sogar ganz viele Medikamente. Dazu können wir vielleicht später noch mehr sagen, wenn wir uns überlegen, was ist überhaupt ein Virus.
Es gibt diese Medikamente gegen Viren. Es sei in diesem Zusammenhang an die Medikamente gegen HIV erinnert, welche ganz klar ein Virus attackieren. Vermutlich liegt hier eine Verwechslung vor, denn es ist so, dass Antibiotika nicht gegen Viren wirken. Denn Antibiotika greifen direkt in den Wachstumsprozess von Bakterien ein. Und aus diesem Grund sagt man immer, dass eine Grippe nicht mit Antibiotika bekämpft werden kann. Weil es eben die Grippe nicht einen bakteriellen sondern einen viralen Ursprung hat. Vermutlich sind die Zuhörer und Zuhörerinnen hier dieser Verwechslung erlegen.
Jan Vontobel: Andere interessierte, wie man überhaupt feststellen kann, dass sich hier um ein neues Virus handelt. Wenn man ein Tier zum ersten Mal sieht, kann man ja nicht sagen, dass ist jetzt gerade vor ein paar Minuten entstanden.
Beat Glogger: Genau diese Fragen haben wir auf higgs auch bekommen. Da meinte jemand: «Wenn Forscher im Urwald einen Frosch zum ersten Mal sieht, glaubt der Forscher nicht, dass der Frosch neu entstanden ist.» Selbstverständlich glaubt das der Forscher nicht. Aber ein Frosch ist kein Virus. Ein Frosch ist sehr viel komplexer als ein Virus. Er hat viel mehr Gene und er hat auch eine viel komplexere Struktur. Bei einem Virus kann man beispielsweise mit genetisch molekular biologischen Methodensehr gut die Abstammung bestimmen. Man kann auch Mutationsraten berechnen oder herausfinden, wie alt ein Virus ist. Und mit diesen genetischen Tests kann man den nächsten Verwandten im SARS-, MERS- Bereich ist, kann man feststellen. Und dann findet man heraus, dass hier etwas Neues passiert ist. Es ist wissenschaftlich ganz klar, dass dieses Virus Sars-CoV-2 ein Abkömmling des Virus Sars-CoV-1 ist. Die Idee, dass man dieses Virus bis jetzt einfach nicht entdeckt hat, ist nicht haltbar.
Jan Vontobel: Spannend ist auch, dass man zurückverfolgen kann, wo die ersten Ausbreitungen stattgefunden haben. In den Medien ist da oft von Ischgl als Hotspot die Rede, weil dort relativ lange die Après-Ski-Bars offen geblieben sind. So dass es dort zu massiv vielen Übertragungen gekommen ist. Fussballspiele sollen auch Hotspots gewesen sein. Zum Beispiel das Champions League Spiel Valencia gegen Atalanta Bergamo. Und es gibt noch weitere Hotspots. Wie kann man diese Hotspots im Nachhinein herausfinden und festlegen?
Beat Glogger: Einerseits kann man dies durch Befragungen herausfinden. Wenn man auf einmal in Zürich und in München und sonst wo einzelne Fälle hat – und das hat man ja zu Beginn auch gemacht – dass man das ganze Umfeld (von Infizierten) befragt und geschaut hat, was haben die gemacht und da sah man es gibt eine Gemeinsamkeit bei all diesen Patienten und das ist dann beispielsweise diese Après-Ski-Bar in Ischgl. Dann kann man rückschliessen, dass alle dort waren (und sich dort angesteckt haben). Es gibt aber auch raffinierte gentechnische Methoden, mit welchen man von Hotspot zu Hotspot verfolgen kann, welche Reise dieses Virus um die Welt gemacht hat.
Jan Vontobel: Und wie kann das (genau) herausfinden?
Beat Glogger: Man analysiert das Genom des Virus.
Jan Vontobel: Das Genom ist der Bauplan des Virus?
Beat Glogger: Ja. Das Genom ist die Erbsubstanz des Virus‘. Diese analysiert man. Man kann sich dies mit der berühmten Buchstabenfolge vorstellen. Diese sequenziert man. Das heisst, man schaut sich Buchstaben für Buchstaben genau an. Und diese wurde (im Fall von Sars-CoV-2) von über 40 Labors weltweit gemacht. Als dies zum ersten Mal in China in Wuhan gemacht wurde, konnte man beim Sars-CoV-2 eine Struktur feststellen. Dann brach das Virus am nächsten Ort aus und nun sah man (am neuen Ort), dass sich das Virus leicht verändert hatte. Nicht in dem Mass, dass das Virus nun eine andere Krankheit auslösen würde oder einen anderen Wirt hätte. Aber kleiner Kopierfehler waren feststellbar. Minimste Fehler, die das Virus noch nicht in seiner Existenz bedroht. Wenn man nun alle Proben auf der ganzen Welt aneinanderreiht, dann kann man zeigen, wie sich das Virus langsam verändert beim Übertragen. Dazu gibt es eine wunderschöne Website www.nextstrain.org bei welcher auch eine Zürcher Forscherin Tanja Stadler stark engagiert ist, so kann man dann einen Stammbaum zeichnen, wie wir das von unseren Familien kennen: Vater, Urgrossvater usw. Und so kann wie zum Ur-Ur-Urgrossvater des Virus, den wir in Zürich finden und sieht, wie dieser sich langsam verändert und wo die Zwischengeneration aufgetaucht ist. Als Mikrobiologe finde ich das faszinierend. Dies hilft einem die Geschichte des Virus zu rekonstruieren.
Jan Vontobel: Du sagst, das Virus verändert sich. So kann man auch feststellen von welchem Stamm, dass jemand infiziert worden ist oder wo es solche Hotspots gab. Umkehrschluss: Wenn ich mir nun überlege, dass sich das Virus verändert, heisst es auch, dass man eventuell nicht mehr immun ist gegen all die Typen von diesem Virus?
Beat Glogger: Das ist absolut so. Das ist auch das Problem bei der saisonalen Grippe. Das Influenza-Virus hat verschiedene Stämme. Jetzt hat man Impfungen und hat Medikamente, diese greifen an einem gewissen Punkt an. Aber diese Veränderungen der Influenza-Viren führen von Jahr zu Jahr dazu, dass insbesondere die Impfungen nicht zu hundert Prozent wirken, da sich das Influenza-Virus bereits wieder ein bisschen verändert hat. Bei der Influenza ist es so, dass sich das das Virus recht schnell verändert. Sars-CoV-2 verändert sich auch, aber minimal. Die Influenza-Viren hingegen verändern sich so, dass es schwierig wird, sich dagegen zu impfen oder das Virus zu bekämpfen. Dies macht es dann sehr schwierig, Medikamente oder Impfungen zu entwickeln.
Jan Vontobel: Das hat es zum Glück noch nicht gegeben bei Sars-CoV-2. So dass man weiter guter Hoffnung kann sein, dass man auch immun ist gegenüber den verschiedensten kleinen Veränderungen, welche das Virus gemacht hat. Vielleicht müssen wir jetzt auch mal noch ganz grundsätzlich klären, was ist ein Virus überhaupt?
Beat Glogger: Das ist nämlich eine wahnsinnig wichtige Frage und wir stellen auch bei Zuschauerinnen oder Lesern immer wieder fest, dass die Leute keine Vorstellung haben, was ein Virus eigentlich ist. Ganz wichtig zu sagen, dass ein Virus klein ist. Es ist hundertmal kleiner als ein Bakterium. Das ist schon mal unvorstellbar klein. Man ist hier im Millionstel Millimeter – oder Milliardstel Meter-Bereich. Dann muss man wissen, die Biologen streiten sich, ob es ein Lebewesen oder nicht. Ich tendiere dazu, es ist kein Lebewesen, weil es nicht selber vermehren kann, keinen eigenen Stoffwechsel hat, es verbraucht keine Energie.
Jan Vontobel: Das sind die Grundmerkmale eines Lebewesens und darum sagst du, es sei kein Lebewesen?
Beat Glogger: Genau. Wenn ich davon ausgehe, dass ein Lebewesen sich fortpflanzen können muss oder sich am Leben erhalten, dann hat das ein Virus nicht. Ein Virus ist immer zwingend auf einen Wirt angewiesen. Man könnte auch sagen, ein Virus ist ein biologischer Roboter, der schlau ist, welcher über eine minimalste Ausrüstung verfügt. Bei Sars-CoV-2 weiss man, dass es etwa um die zehn Proteine hat. Das bedeutet, dass es aus zehn verschiedenen Eiweissen und einem genetischen Code aufgebaut ist. Eigentlich ist es ein Kügelchen, in das ein Genschnipsel eingepackt ist. Ud dieses Genschnipsel ist fähig, zehn Proteine zu produzieren. Es ist bei der Vermehrung auf einen Vermehrungsapparat einer Zelle angewiesen. Es ist auf das ganze Umfeld einer Zelle angewiesen. Und effektiv lebt ein Virus auch so. Man könnte auch sagen, dass ein Virus ein Hacker ist. Es attackiert eine Zelle mit Hilfe von verschiedenen Mechanismen. Das Sars-CoV-2 verfügt beispielsweise über Spikes mit welchen es andocken kann. Dann gibt es Viren, welche ihre Erbsubstanz einfach injizieren, wie man das mit einer Spritze auch macht. Das Virus spritzt also die Erbsubstanz in die Wirtszelle ein. Dann gibt es Viren, welche mit der Wirtszelle verschmelzen. Es gibt ganz verschieden Taktiken. Wichtig ist für das Überleben des Virus, dass sein Erbmaterial in das Zellinnere in den Wirt kommt. Dann passiert eigentlich alles automatisch. Die genetische Maschine des Wirts beginnt, Virusgene abzulesen. So beginnt unser genetischer Reproduktionsapparat, andere Dinge zu machen, nämlich Viren. Er produziert ein paar tausend oder hunderttausend Viren, welche aus dieser Zelle entweichen und nichts anderes vorhaben, als die nächste Zelle zu infizieren, dort wieder das Genematerial zu injizieren und den genetischen Apparat zu kapern ) und so geht dieser Zyklus weiter.
Jan Vontobel: Man kann also sagen, sobald die Viren den Bauplan eingebaut haben, sind sie Bestandteil von einem lebenden System. Bei Sars-CoV-2 ist das der Mensch von welchem sie Teil werden.
Beat Glogger: Aber ohne selber am Leben zu sein. Wir haben Sars-CoV-2 diesbezüglich besprochen. Es gibt noch ganz schlaue Viren, beispielsweise das HI-Virus, welches Aids verursacht, die können sich tarnen und diesen sagt man Retro-Viren. Diese gehen in die Zellen hinein und sind so schlau, dass ihr Erbgut nicht einfach frei herumschwimmt und wartet bis die Zelle es zu replizieren beginnt. Diese Viren bauen in Erbgut in die jenes der Wirtszelle ein.
Jan Vontobel: Und verstecken es dort auf diese Art?
Beat Glogger: Verstecken, und wenn mein Körper beginnt, Zellen zu reproduzieren, reproduziert er eben auch das Virus. Und das kann 10 oder 20 Jahre kann es sein, dass das Virus wieder aus dem Erbgut herauskommt, eben dieses Retro-Virus. Es macht dann die Rückübersetzung in ein virales Partikel und dann kann eine Krankheit wie HIV ausbrechen. HIV-Infizierte können ja jahrzehntelang nichts haben, bis eine Krankheit ausbricht. Dann erwacht dieses Virus plötzlich wieder. Viral betrachtet und biologisch ist dies unglaublich raffiniert aber natürlich auch unheimlich gefährlich.
Jan Vontobel: Viele gefährliche Viren kommen ursprünglich von den Fledermäusen. Zum Beispiel Ebola, Marburg oder Sars und vermutlich auch das neuartige Coronavirus – Sars-CoV-2. Gibt es einen Grund dafür? Kann man sagen, warum diese Viren von den Fledermäusen über einen Zwischenwirt oder auch nicht bei den Menschen landen?
Beat Glogger: Ich weiss, dass es bei einigen Viren so ist. Bei Ebola gibt es auch ein wunderbares Buch Ground Zero [KORREKTUR: das Buch heisst «Hot Zone»] des Autors Richard Preston, welches die ganze Erforschung dieses Ausbruchs beschreibt. Bei Ebola weiss man sogar, in welcher Höhle diese Fledermäuse beziehungsweise diese Flughunde gelebt haben. Es gibt Forschungen zu diesem Thema. Aber warum jetzt gerade in Fledermäusen und nicht zum Beispiel in Meerschweinchen oder in Rehen, das weiss ich ehrlich gesagt nicht.
Jan Vontobel: Es gibt ja Thesen, dass Fledermäuse und verwandte Tiere ein Virus lange in sich tragen können, ohne dass sie krank werden. Und auf diese Weise können sich das Virus weiterentwickeln. Weil der Wirt eben lange überlebt. Könnte dies eine mögliche Erklärung sein?
Beat Glogger: Das ist auf jeden Fall die Erklärung. Aber das erklärt nicht, warum Fledermäuse. Es könnte ja auch in Schweinen, Hirschen oder Fröschen passieren. Dass ein Virus seinen Hauptwirt nicht tötet, ist sicher die Bedingung, dass es existieren kann. Warum aber gerade Fledermäuse als Hauptwirt und nicht andere Tiere dafür habe ich keine Hypothese. Aber interessant ist sowieso, dass ein Virus gut ist, wenn es seinen Wirt leben lässt. Ebola ist diesbezüglich nicht so ein raffiniertes Virus, da sterben die Menschen zu einer extrem hohen Rate. Das heisst, dass ein Virus, welches sein Opfer infiziert, nicht eine Chance auf eine grosse Ausbreitung hat. Weil die Opfer vorher sterben. Das raffinierteste Virus macht, macht sein Opfer nicht sehr fest krank, damit das Opfer möglichst den Infekt weitertragen kann und das Virus so mehr Verbreitung findet. Aus diesem Grund ist auch diese Behauptung Sars-CoV-2 sei kein Killer-Virus korrekt. Aber gerade dies macht es eben epidemiologisch auch so gefährlich.
Jan Vontobel: Weil es ein solch wahnsinnige Ausbreitung gibt.
Beat Glogger: Genau.
Jan Vontobel: Jetzt haben wir über die Art und das Wesen eines Virus gesprochen. Und jetzt natürlich noch die Frage, wie bekämpft man ein Virus? Es gibt Leute, die sagen, es gibt keine Medikamente. Du sagst, es gibt Medikamente.
Beat Glogger: Man muss dazu wissen, was wir vorher besprochen haben. Wie lebt ein Virus? Und dann muss man festlegen, wo man den Feind attackieren will. Und da gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Hygiene ist immer das beste Mittel, damit es (das Virus) gar nicht zu uns kommt.
Jan Vontobel: Dass wir das Virus daran hindern, in unseren Körper zu kommen und sich bei uns als Wirt vermehrt?
Beat Glogger: Genau. Da ist absolut die beste Methode. Die Hände nicht ins Gesicht, nicht zu den Schleimhäuten. Aber dann muss man (auch) wissen, wie das Virus lebt. Und dann kann man es auf verschiedene Arten bekämpfen. Man kann es daran hindern, dass wenn es im Körper ist, dass es dann in die Zellen hinein geht. Nur weil es mal an den Schleimhäuten ist, ist es noch nicht in den Schleimhautzellen. Also muss man es daran hindern in die Zellen zu gelangen. Oder man kann es daran hindern, wenn es in den Zellen ist, sich zu reproduzieren. Das kann beispielsweise auf genetischen Ebenen machen. Das wären die beiden Hauptbekämpfungsstrategien: Daran hindern hinein zu gehen oder daran hindern, wenn es drin ist, sich zu vermehren.
Jan Vontobel: Und wie kann dies medikamentös machen, das Virus daran zu hindern in die Zelle zu gehen?
Beat Glogger: Ein interessantes Medikament, welches auch bei der Sars-CoV-2 Diskussion aufkommt, ist das Chloroquin oder das Hydrodroxichloroquin, welches eigentlich ein Malaria-Medikament ist. Und es hat Malaria jahrzehntelang in Schach gehalten, heute nicht mehr so, weil der Erreger – der kein Virus ist, sondern ein Parasit, Resistenzen entwickelt hat. Aber jetzt stellt man plötzlich fest, dass dieses Chloroquin oder Hydrodroxichloroquin einen Nebeneffekt hat, welcher dem Virus nicht passt. Man sagt, es verändert die Azidität, das Säure-Base-Milieu in der Zelle. Genauer gesagt in den Endosomen. Das sind winzige Zellorganellen, die wichtig sind, dass das Virus überhaupt in die Zelle eindringen kann. Und es (das Medikament) verändert den Säure-Base Haushalt und das passt dem Virus nicht mehr. Und man hat festgestellt, dass man dies nun ausnützen könnte. Man kann dieses Chloroquin präventiv den Leuten geben oder nachher als Therapie. Novartis hat bereits gemeldet, sie hätten Rohstoffe für eine riesige Anzahl Dosen für die Schweiz. Sie könnten mit der Produktion beginnen. In den USA haben sie nun die Zulassungen bekommen Und wahrscheinlich wird die Zulassung auch bei uns kommen. Weil Chloroquin im menschlichen Körper zwar nicht ganz problemlos ist, aber man hat jahrzehntelange Erfahrung. Es hat zum Beispiel als eine mögliche Nebenwirkung Sehstörungen. Aber da muss man sich fragen, möchte ich solange ich das Medikament nehme ein Flimmern vor den Augen oder möchte ich das Virus. Ich glaube, es spricht nichts dagegen, dass man dieses Chloroquin nun einsetzen kann, aber ob es dann wirklich nützt im Menschen drin gegen Sars-CoV-2 im grossen Massstab, das wissen wir noch nicht genau.
Jan Vontobel: Du hast gesagt, eine zweite Möglichkeit wäre, das Virus daran zu hindern, sich zu vermehren. Wie funktioniert das?
Beat Glogger: Da gibt es wieder auf der genetischen Ebene verschiedene Ansätze. Ein Stoff, welcher eigentlich ein HIV-Medikament ist, es heisst Kaletra oder Aluvia, sind Wirkstoffe, die lustige Namen haben wie Lopinavir. Diese sind in den Zellen drin und verhindern, dass während der Synthese vom Virus ein langes Eiweiss, welches zuerst synthetisiert wird, in kürzere geschnitten wird. Man hemmt nur diesen Schnipselapparat, welchen man im biologischen Bereich Proteasen nennt. Und jetzt hat ein Werkzeug blockiert, welches für das Zusammensetzen eines Virus wichtig ist. Et voilà, so kann sich das Virus nicht mehr reproduzieren. Auch das andere Medikament, über welches wir in diesem Podcast schon gesprochen haben, das gegen das Ebola-Virus gedacht war, das Remdesivir, welches bei Ebola nicht so ein Erfolg war, ist auch ein Art auf genetischer Ebene, dies RNA Polymerase inhibieren. Das Virus kann dann nicht mehr das Genmaterial kopieren. Und wenn dort wieder ein Mechanismus ausser Gefecht setzt, kann die ganze Virus-Synthese verhindern. Es ist unheimlich raffiniert, unheimlich punktgenau, unheimlich präzis. Aber ob es bei Sars-CoV-2 wirkt, wissen wir noch nicht. Bei Mers konnte man die Wirksamkeit nachweisen, aber alles noch nicht in der breiten Anwendung. Es gibt auch die siRNA, die Short Inhibting RNAs, das sind winzigste Genpartikel, die man wie ein Bremsklotz oder Bremsschuh auf die RNA des Virus setzen kann, so dass gewisse Prozesse nicht mehr ausgeführt werden können. Also sehr spezifische Medikamente, aber wir sind in der Medikamentenentwicklung weit von einem Allerweltsstoff entfernt wie zum Beispiel Aspirin. Damit flutet man den Körper und es macht etwas. Jetzt sind wir auf einer molekularen Ebene, welche sehr selektiv und präzis wirkt.
Jan Vontobel: Und es braucht natürlich in diesem Bereich (da) noch viel mehr Forschung und Versuchsstudien, um zu schauen, wie die ganzen Medikamente wirken. Ob sie den gewünschten Erfolg erzielen können. Und – wir haben bereits in einer Sendung darüber gesprochen – das ist die Bekämpfung des Virus. Und wenn sich die Krankheit Covid-19 fortentwickelt, dass man das Überschiessen des Immunsystems verhindern kann. Das sind aber wieder Ansatzpunkte, die wir schon besprochen haben in der Sendung. Und auf welche wir wahrscheinlich wieder zurückkommen werden, wenn es diesbezüglich in der Forschung Fortschritte geben wird. Wir haben heute wieder viel gelernt.
Beat Glogger: Ich war ein wenig fasziniert vom Virus. Ich möchte einfach, dass es nicht falsch rüberkommt: Ich finde es biologisch sehr faszinierend, aber deswegen epidemiologisch und gesundheitlich nicht weniger bedrohlich. Und drum: Bleibt sauber und haltet den Abstand.
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