Die politische Partizipation der Bevölkerung ist ausschlaggebend für eine funktionierende Demokratie. Um mitzureden und an Abstimmungen teilzunehmen, muss man sich aber erst einmal eine Meinung zu den oftmals komplexen Vorlagen bilden können. Mittlerweile weiss man: Wem es schwerfällt, sich bei einer Abstimmungsvorlage für ein Ja oder Nein zu entscheiden, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an der Abstimmung teilnehmen.

Doch wie kann sich die Stimmbevölkerung über eine Sachvorlage informieren? In den 1970er-Jahren entschied das Stimmvolk, dass der Bundesrat jeweils vor jeder Abstimmung eine «kurze, sachliche» Abstimmungserläuterung publiziert. Seit 1977 ist das sogenannte Bundesbüchlein Standard. Der Bundesrat erfüllt darüber seine Informationspflicht. Für die anstehende September-Abstimmung erhält die Stimmbevölkerung nun zum ersten Mal das neu designte Bundesbüchlein. Mit der Neugestaltung hat die Bundeskanzlei nicht zuletzt auf die wiederkehrende Kritik am Bundesbüchlein reagiert. Während manche den Inhalt anzweifeln und insbesondere die Frage stellen, ob das Bundesbüchlein neutral informiert, argumentieren andere, dass diese bundesrätlichen Informationen viel zu komplex und für viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht verständlich seien.

An diesem Punkt setzt auch Easyvote an. Easyvote ist ein Programm des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente (DSJ), das sich zum Ziel gesetzt hat, mit verständlicher und neutraler Information vor allem junge Stimmbürgerinnen und Stimmbürger anzusprechen und zur politischen Beteiligung zu motivieren. Denn nur wenn die Informationen als hilfreich und ausgewogen empfunden werden, können wir erwarten, dass die Leute vor Abstimmungen diese Informationen auch tatsächlich nutzen.

Gütekriterien von Abstimmungsinformationen

Wir haben untersucht, wie das Bundesbüchlein – damals noch die alte Version – und Easyvote bei den Menschen ankommen. Sowohl Easyvote wie der Bundesrat produzieren zudem einen Video-Clip, und auch diese Videos wurden beurteilt. Wir betrachteten drei Gütekriterien:

▪ Die Präsentation der Informationen: Sind die Informationen ansprechend und verständlich?

▪ Der Nutzen der bereitgestellten Informationen: Werden hilfreiche und relevante Informationen vermittelt?

▪ Die Ausgewogenheit der Informationen: Wird fair über beide Seiten informiert? Gerade bei den Abstimmungsinformationen des Bundesrats, welche von vielen als Informationsquelle genutzt wird, ist der Anspruch an ein ausgewogenes, vollständiges und korrektes Informieren besonders hoch. Aber auch Easyvote stellt sich diese Ansprüche.

Video-Clips informieren besser

Hinsichtlich der Präsentation der Informationen haben wir zwei Aspekte betrachtet: Einerseits als wie kompliziert eine Information wahrgenommen wird und andererseits, wie ansprechend sie den Befragten erscheint.

Auffallend ist, dass das Bundesbüchlein von einer relativen Mehrheit der Befragten als eher kompliziert eingeschätzt wird, während die anderen drei Abstimmungsinformationen als mehrheitlich eher nicht kompliziert befunden werden. Am wenigsten kompliziert sind dabei die beiden Video-Clips, wobei der Clip von Easyvote als noch weniger kompliziert eingestuft wird als der Clip des Bundesrats. Der Bundesrat informiert somit komplizierter als Easyvote, die Videos sind aber grundsätzlich weniger kompliziert als die Broschüren.

Die verschiedenen Abstimmungsinformationen im Vergleich: Das rote Büchlein des Bundesrats kommt punkto Verständnis am schlechtesten weg.DeFacto

Die verschiedenen Abstimmungsinformationen im Vergleich: Das rote Büchlein des Bundesrats kommt punkto Verständnis am schlechtesten weg.

Auch bei der optischen Einschätzung der Abstimmungsinformationen zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Video-Clips von Easyvote und dem Bundesrat werden als am ansprechendsten bewertet, wobei sich kein statistischer Unterschied zwischen den Clips der beiden Anbieter feststellen lässt. Demgegenüber werden die Broschüren als signifikant weniger ansprechend eingeschätzt. Am wenigsten gefällt das Bundesbüchlein, etwas besser schneidet die Easyvote Broschüre ab.

Nicht nur was für junge Wähler

Easyvote erfüllt also sein Ziel, einfache und ansprechende Informationen zu vermitteln. Der Unterschied ist vor allem bezüglich der Broschüren ausgeprägt, während der Bundesrat mit dem Video-Clip über ein Instrument verfügt, welches in Bezug auf Einfachheit und Optik mit den Informationen von Easyvote mithalten kann. Interessant ist, dass sich der aufgezeigte Easyvote-Vorteil nicht nur auf die Zielgruppe der Plattform, also auf die jüngeren Stimmberechtigten beschränkt. Dasselbe fanden auch die älteren Befragten. Zwar kommt die Broschüre von Easyvote bei der älteren Alterskohorte etwas schlechter an als bei der jüngeren, jedoch noch immer signifikant besser als die Broschüren vom Bundesrat.

Grundsätzlich: Alle Abstimmungsinformationen sind hilfreich

Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Einfachheit und das ansprechende Design von Easyvote zu Lasten des Informationsgehalts gehen. Unsere Daten liefern dazu eine erste wichtige Antwort: Alle vier Abstimmungsinformationen werden von einer deutlichen Mehrheit der Befragten als eher hilfreich oder sehr hilfreich erachtet. Dabei gibt es keine signifikanten Unterschiede zwischen Easyvote und den Informationen des Bundesrats. Allerdings: Die Video-Clips werden jeweils als signifikant hilfreicher bewertet als die Broschüren.

Wie steht es mit der Ausgewogenheit?

Unterschiede sehen die Befragten auch bei der Neutralität der Informationen. Zunächst wird das Bundesbüchlein des Bundesrats als signifikant weniger glaubwürdig eingeschätzt als die Easyvote-Informationen. Dagegen geniesst der Video-Clip des Bundesrats interessanterweise deutlich mehr Glaubwürdigkeit – nicht weniger als der Clip von Easyvote.

Informieren die beiden Anbieter fair über Pro und Kontra? Hier schneiden die Easyvote-Informationen signifikant besser ab als die Informationen des Bundesrats. Sowohl die Broschüre als auch der Video-Clip von Easyvote werden als fairer eingeschätzt als die beiden Informationskanäle des Bundesrats.

Wie ausgewogen sind die Informationen? Erneut bewerten die Umfrageteilnehmenden das Büchlein und den Video-Clip des Bundes am schlechtesten.DeFacto

Wie ausgewogen sind die Informationen? Erneut bewerten die Umfrageteilnehmenden das Büchlein und den Video-Clip des Bundes am schlechtesten.

Diese Einschätzung mag damit zusammenhängen, dass gerade das Bundesbüchlein in letzter Zeit immer wieder in der Kritik stand, zu stark die Regierungsposition zu vertreten. Easyvote kann hier offensichtlich als unabhängige Organisation auftrumpfen. Gleichzeitig – und das mag überraschen – variiert die wahrgenommene Glaubwürdigkeit nach Informationsart, sprich die Video-Clips werden als glaubwürdiger bewertet als die Text-Informationen. Erneut kann der Bundesrat mit seinem Video-Material durchaus mit Easyvote mithalten. Das Glaubwürdigkeitsproblem des Bundesrats ist also in erster Linie ein Glaubwürdigkeitsproblem des Bundesbüchleins. Alles was davon abweicht und somit auch Bestrebungen des Bundesrats, neue Informationskanäle zu verwenden, bewertet die Bevölkerung hingegen durchaus positiv. Ob das Neudesigns des Bundesbüchleins diesbezüglich als Schritt in die richtige Richtung wahrgenommen wird, bleibt im Moment eine offene Frage.

Glaubwürdigkeitsproblem des Bundes

Diese Resultate weisen auf ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem des Bundesrats hin – vor allem des Bundesbüchleins. Die Befunde stehen in Einklang mit jüngeren Entwicklungen in Richtung stärkerer Polarisierung und «Anti-Establishment»-Rhetorik. Das Bundesbüchlein ist ein Paradebeispiel für «das, was die in Bern sagen» und stösst damit bei einem nicht unwesentlichen Anteil der Befragten auf Skepsis. Diese Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, dürfte nicht nur wichtig sein, um anstehende Reformprojekte erfolgreich über die Bühne zu bringen, sondern könnte auch die Informationsvermittlung und -verarbeitung in Abstimmungskampagnen beeinflussen.

Dagegen erweisen sich die Video-Clips von Bundeskanzlei und Easyvote als Erfolgsmodell. Für beide Anbieter dürfte sich deshalb die Fortführung der filmischen Strategie sowie ein Fokus auf die weitere Verbreitung der von ihnen produzierten Video-Clips lohnen.

Allerdings: Das Angebot von Abstimmungsinformationen ist allein noch keine Garantie dafür, dass sich Wählerinnen und Wähler tatsächlich mit diesen beschäftigen. Die Stimmbürgerschaft dafür zu motivieren, ist deshalb die grosse Herausforderung, welche sich unabhängig von Informationsanbieter und Informationstyp stellt.

Methodisches Vorgehen

Die Studie untersuchte zum ersten Mal überhaupt, wie unterschiedliche Abstimmungsinformationen bei der Bevölkerung ankommen und ob Easyvote tatsächlich als einfacher und verständlicher wahrgenommen wird als die Informationen des Bundesrats. Wir sind diesen Fragen im Rahmen einer Bevölkerungsumfrage und basierend auf Umfrageexperimenten nachgegangen. Konkret haben wir den Befragten zufällig entweder Informationen des Bundesrats oder von Easyvote zugewiesen. Sowohl Easyvote wie der Bundesrat produzieren sowohl eine Broschüre wie auch einen Video-Clip. Die Befragten wurden anschliessend gebeten, die erhaltenen Abstimmungsinformationen nach verschiedenen Kriterien zu bewerten.

Mit diesem Vorgehen lässt sich natürlich nicht testen, wie und ob die verschiedenen Informationen in der Realität die bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommen. Aber unsere Ergebnisse geben über eine grundlegende Voraussetzung Auskunft, nämlich wie die Bevölkerung auf diese Informationen überhaupt reagiert.

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