Das musst du wissen
- Unser Epigenom steuert, wie und wann unsere Gene zum Zug kommen, also ob sie stumm sind oder nicht.
- Der epigenetische Code besteht aus biochemischen Veränderungen der DNA und Molekülen um die DNA herum.
- Das menschliche Epigenom verändert sich permanent durch Umwelteinflüsse und wird teilweise vererbt.
Frau Mansuy, Ihr neues Buch heisst: «Wir können unsere Gene steuern!». Wie soll das gehen?
Über die Epigenetik. Das sind Steuerungsmechanismen in unseren Genen, die durch Umwelteinflüsse ausgelöst werden können. Je nach Epigenom kommen unsere Genome anders zum Zug, es beeinflusst also die Genom-Aktivität, also wann welche (der codierende Genome) aktiv oder inaktiv sind. Unser Epigenom erben wir teilweise. Anders als unser Genom ist unser Epigenom aber veränderlich.
Isabelle Mansuy
Isabelle Mansuy ist Professorin am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH Zürich sowie stellvertretende Leiterin des Instituts für Neurowissenschaften. Sie erforscht epigenetische Mechanismen in der psychischen Gesundheit.
Ist das Epigenom also eine Art Gebrauchsanweisung, wie die Gene zu lesen und interpretieren sind?
Ich vergleiche es lieber mit einer Bibliothek: Unser Genom ist eine Anhäufung von Büchern, die Epigene sind die Leser, welche die Bücher aufschlagen – sie also aktivieren – und auf ihre Weise interpretieren. Ähnlich wie ein Leser kann sich auch unser Epigenom erinnern.
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Wie denn das?
Das Epigenom ist geprägt durch die Lebensbedingungen und den Lebensstil unserer Vorfahren und auch unser eigenes Leben hinterlässt darin Spuren, die wir unseren Kindern weitergeben. Wenn unsere Grosseltern zum Beispiel über längere Zeit in Hungersnot lebten, dann stellte sich ihr Epigenom so um, dass der Körper mit wenig Nahrungszufuhr funktionierte. Dieses Epigenom vererben sie ihren Nachfahren teilweise und auch deren Körper ist dann auf wenig Nahrungszufuhr gepolt, selbst wenn sie nie eine Hungersnot erlebt haben. Isst eine Person mit einem solchen Epigenom dann viel Fett, kann es zum Beispiel zu Stoffwechselstörungen kommen.
Wir erben also ein Stück weit die Geschichte unserer Vorfahren. Wie viel des Epigenoms bekommen wir denn von ihnen?
Das ist die grosse Frage und noch lange nicht geklärt. Was wir wissen: Die Erlebniswelt unserer Ahnen hat Einfluss auf unsere heutige Gesundheit. Das geht von der Ernährung unserer Vorfahren, über deren sportliche Betätigung bis zu seelischen Traumata, die ebenfalls vererbt werden können – und das über bis zu vier Generationen hinweg! Wir wissen aber noch nicht genau, welche Erlebnisse in welchem Gewebe und in welchen Zellen langfristige epigenetische Veränderungen auslösen, welche Gene aktiviert und welche deaktiviert werden. Denn die Bandbreite dieser Mechanismen ist sehr gross.
Es gibt verschiedene Arten von Modifikationen: Manche bestehen aus Molekülen, die sich an die DNA hängen und so die Lesbarkeit der DNA beeinflussen. Andere beeinflussen die Lesbarkeit durch ihre Reine Präsenz in der Nähe der DNA. Und wir kennen bestimmt noch nicht alle Mechanismen. Auch sind die Modifikationen sehr dynamisch: Manche halten nur wenige Minuten an, manche Tage, manche Jahre und manche für immer. Die Bibliothek ist also vollgestopft mit ganz unterschiedlichen Lesern. Gewisse Modifikationen sind auch reversibel, können also rückgängig gemacht werden – die Leser kommen und gehen. Wenn die Leser weg sind, bleiben die Bücher geschlossen – also stumm.
Gibt es Lebensabschnitte, in denen das Epigenom besonders beeinflussbar ist?
Dazu gehören der Zeitpunkt der Zeugung, die pränatale und postnatale Phase sowie die Pubertät. Wie das unser Epigenom aber genau beeinflusst, ist noch nicht aufgeschlüsselt. Auch gibt es Unterschiede zwischen Grossvätern und -müttern, zwischen Frauen und Männern.
Das tönt alles noch sehr unsicher. Ist das überhaupt bewiesen, dass wir von unseren Ahnen ein epigenetisches Päckli bekommen?
In Experimenten mit Mäusen ist das in verschiedenen unabhängigen Studien gezeigt worden. Die Mäuse wurden auf die epigenetischen Einflüsse von verschiedenen Diäten, giftigen Stoffen wie Pestiziden und traumatischer Erfahrungen getestet und die Resultate zeichnen ein einheitliches Bild.
Gerade bei der Übertragung von Traumata spielt doch aber die Sozialisierung durch die Eltern eine entscheidende Rolle. Verwechselt die Forschung da nicht die Einflüsse?
Die Forschenden haben sichergestellt, dass das nicht passiert, in dem sie die Mäusebabys von ihren Vätern getrennt haben. Die neu geborenen Mäuse haben ihren Vater nie gesehen. Und doch zeigen sich an ihren Genen dieselben epigenetischen Veränderungen, wie bei den Vätern – und verhalten sich ähnlich zum Beispiel bezüglich verminderter Stressresistenz.
Es bleiben aber Mäuse. Kann man so überhaupt Aussagen über die Epigenetik des Menschen treffen?
Die DNA von Mäusen und Menschen ist sehr ähnlich – die codierte Sequenz ist bis zu 90 Prozent die gleiche. Zudem gab es auch einige Beobachtungsstudien und Tests beim Menschen. Im nordschwedischen Overkalix zum Beispiel wurden Probanden darauf getestet, ob ihr Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes zu erkranken, davon abhing, ob ihre Grosseltern als Kinder an Hunger litten. Es konnte ein Zusammenhang gezeigt werden – allerdings nur bei Männern. Und bezüglich Sport gab es Experimente mit Probanden, die während drei Monaten nur mit einem Bein trainierten. Eine Biopsie des Muskelgewebes zeigte auch dort epigenetische Veränderungen.
Können wir also durch gesunde Ernährung, Sport und wenig Stress unser Epigenom aufpolieren?
So einfach ist das natürlich nicht. Man kann nicht einfach Brokkoli essen und so seine geerbten Traumata beheben. Dafür wissen wir noch viel zu wenig über diese komplexen Vorgänge. Viel eher liefern wir nun die Erklärungen, warum eine gesunde Lebensführung eigentlich so gesund ist. Dieses Wissen kann helfen, zu verstehen, wieso gewisse Krankheiten, zum Beispiel auch psychische Leiden, auftreten können. Es zeigt: Die Betroffenen müssen nicht immer «selber schuld» sein – sie können auch einfach ein schwieriges Erbe angetreten haben. Und die gute Nachricht ist: Das Epigenom ist nicht in Stein gemeisselt. Es kann teilweise verändert werden. Das könnte zukünftige Diagnose- und Therapiemethoden verbessern. Bei gewissen Krebsarten ist das schon heute der Fall.
Wenn Traumata vererbt werden, müssten dann zum Beispiel wegen des Zweiten Weltkrieges nicht ganze heutige Bevölkerungen psychisch belastet sein?
Die Vererbung der Traumata ist nicht systematisch. Nicht jeder, dessen Grossmutter oder Grossvater den Weltkrieg erlebt hat, ist depressiv. Epigenetische Veränderungen können korrigiert sein. Hier fehlt uns eben noch viel Wissen. Fakt ist aber: Es kann übertragen werden.
So sieht ein Tag aus, der deinem Epigenom gut tut
Die Aktivierung und Deaktivierung unserer Gene hängt von mehreren epigenetischen Faktoren ab, zu denen die DNA-Methylierung gehört. Bei der Methylierung hängen sich Methyl-Gruppen an die DNA an. Meistens wird das betroffene Gen dadurch stumm. Dieser Prozess vollzieht sich durch eine Kaskade biochemischer Reaktionen, für die gewisse Nährstoffe eine wesentliche Rolle spielen. Unabdingbar sind die Vitamine A1, B2, B6, B9 (Folsäure) und B12 sowie die Stoffe Cholin und Betain. «Aktivatoren», welche diese Reaktionen begünstigen, sind Zink oder Magnesium und bioaktive Verbindungen wie Resveratrol, Isoflavone und Beta-Carotin. Zentral ist auch die Aminosäure Methionin. Es gibt viele weitere beteiligte Stoffe. Eine «epigenetische Diät» ähnelt der mediterranen Ernährungsweise. Das heisst: Iss täglich Früchte und Gemüse in ganz unterschiedlichen Farben und stets Bio und gut gewaschen, um das Einnehmen von Pestiziden zu verhindern. Dazu kommen täglich Getreideprodukte wie Vollkornbrot, Nüsse, täglich Milchprodukte, der regelmässige Verzehr von Hülsenfrüchten und eine Portion Fisch, Fleisch oder Ei pro Tag. Besonders geeignet sind Fettfische wie eingelegte Sardinen. Tägliches Kosten von Olivenöl, Kräutern und Gewürzen ist ebenfalls nützlich. Täglich ein Grüntee soll ebenfalls wirken.
Zum Frühstück könntest du also zum Beispiel Joghurt und ein gekochtes Ei geniessen, denn diese liefern Methionin. Das Mittagessen könnte aus Roggenbrot (Zink) belegt mit Ölsardinen (B12 und Magnesium) bestehen. Zum Zivieri gibt’s Grüntee, ungeschälte Mandeln (B2) und Pistazien (B6). Und der Znacht könnte aus Kalbsleber (B9), Rosenkohl (Cholin), Brokkoli und Volkornpasta bestehen. Dazu ein Glas Rotwein (Resveratrol). Generell gilt auch: Eine kalorienreduzierte Ernährung hat einen positiven Einfluss auf die Expression bestimmter Gene. Das gilt auch für Sport, das Pflegen sozialer Beziehungen, Musik und Meditation. Vor dem Frühstück könntest du also 20 Minuten meditieren. Das Mittagessen mit Freunden einnehmen. Nach der Arbeit einen Sport machen, der dir Spass macht. Und nach dem Abendessen mit deiner Familie Musik hören.
Viele machen sich schon heute grossen Druck, ihr Leben zu optimieren und achten auf jede Kalorie. Setzt Ihr Buch nun nicht noch mehr Druck auf? Schliesslich sind wir jetzt auch noch dafür verantwortlich, unseren Enkeln das bestmögliche Epigenom zu vererben.
Das Ziel ist nicht, den Druck zu vergrössern sondern Gründe zu geben, warum ein gesunder Lebensstil so wichtig ist. Bisher kannten wir die Konsequenzen eines ungesunden Lebensstils auf künftige Generationen nicht. Wir wussten nicht, dass wir damit nicht nur unser eigenes Leben beeinflussen, sondern sogar jenes unserer Ururenkel. Jetzt aber wissen wir das – und wir sollten das anerkennen.
Werden wir unser Epigenom irgendwann so steuern können, dass wir zu Supermenschen werden?
Das ist nicht das Ziel. Das Ziel ist, Krankheiten behandeln zu können und gesünder zu leben.