Das musst du wissen

  • Obwohl Migräne verbreitet ist, erhalten viele erst nach mehreren Jahren eine offizielle Diagnose.
  • Heilen lässt sich die Krankheit nicht. Routine, Bewegung und Vitamine können helfen, Migräne vorzubeugen.
  • Gegen akute Attacken helfen Ruhe und Dunkelheit, aber auch verschiedene Medikamente.
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Colette AndréeMigraine Action

Colette Andrée, Chemikerin, Pharmazeutin und Geschäftsführerin des Vereins Migraine Action.

Mindestens jede zehnte Person in der Schweiz leidet an Migräne. «Etwa jede fünfte Frau, jeder 14. Mann und jedes zehnte Schulkind ist betroffen», präzisiert Colette Andrée, Chemikerin, Pharmazeutin und Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins Migraine Action. Wer an der neurologischen Erkrankung leidet, hat regelmässig Kopfschmerzen, die die Lebensqualität beeinträchtigen. Eine Heilung gibt es zwar nicht, aber verschiedene Möglichkeiten, um besser damit zu leben.

Um den Schmerz zu lindern, ist es zunächst nötig, die richtige Diagnose zu erhalten. Denn Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz. Und was gegen manch anderes Kopfweh hilft, kann bei Migräne wirkungslos sein. Das Problem daran: «Über fünfzig Prozent der Migränebetroffenen erhalten erst nach mehr als fünf Jahren eine korrekte Diagnose vom Arzt», sagt Colette Andrée, die untersucht hat, wie es um die Behandlungsqualität von Migränepatienten in Europa steht. Ihr Fazit: Schlecht. Deshalb lohne sich der Versuch einer Selbstdiagnose sowie eine genaue Selbstbeobachtung, bevor man zum Arzt oder zur Ärztin geht, so die Expertin.

Science-Check ✓

Studie: Poor medical care for people with migraine in Europe – evidence from the Eurolight studyKommentarDies ist ein Kommentar der Autorin / des AutorsMittels Fragebögen untersuchten die Forschenden, ob und wie häufig Migränebetroffene einen Arzt aufsuchten und ob sie dort adäquate medizinische Hilfe bekamen. Die Stichprobe ist mit knapp zehntausend Teilnehmenden relativ gross, was sie zuverlässig macht. Allerdings waren die Methoden der Rekrutierung in den zehn untersuchten europäischen Ländern unterschiedlich. Manche Stichproben waren bevölkerungsbasiert, also aus der gesamten Population eines Landes, in manchen Ländern wurden Menschen befragt, die aus unterschiedlichen Gründen einen Arzt aufsuchten, also eine Stichprobe aus Arztbesuchen.Mehr Infos zu dieser Studie...

Selbstdiagnose: Ist es wirklich Migräne?

Wer mindestens zwei der folgenden drei Fragen mit Ja beantwortet, hat einer Studie zufolge mit einer 93-prozentigen Wahrscheinlichkeit Migräne:

  1. Waren deine Aktivitäten in den vergangenen drei Monaten an einem Tag oder auch länger durch Kopfschmerzen eingeschränkt? Colette Andrée betont: «Eingeschränkt bedeutet, dass man die Aktivität nicht durchführen kann.»
  2. Musst du erbrechen, während du Kopfschmerzen hast?
  3. Stört dich Licht, wenn du unter Kopfschmerzen leidest? Colette Andrée ergänzt: «Stören heisst, dass ich das Licht gar nicht ertragen kann.»

Nach der Selbstdiagnose sollte ein gut vorbereiteter Arztbesuch folgen, um eine offizielle Diagnose zu erhalten. Denn spezielle Medikamente zur Linderung der Migräne-Kopfschmerzen müssen verschrieben werden. Doch oft ist eine Verbesserung der Situation auch ohne Pharmazeutika möglich, zum Beispiel mit Hilfe von Bewegung und der richtigen Ernährung.

Vorbeugende Mittel zur Linderung der Migräne

Damit es gar nicht erst zu einem Migräneanfall kommt, gibt es verschiedene Mittel, Migräne zu lindern.

Mehr Routine im Alltag: Wer Migräne hat, kennt es: Ausgelöst werden die Kopfschmerzen durch Stress und unterschiedliche Veränderungen im alltäglichen Leben. Das kann ein Wetterwechsel sein, aber auch Veränderungen im Schlafrhythmus oder das Einsetzen der Menstruation. Betroffene können die schmerzhaften Auswirkungen dieser Veränderungen laut Colette Andrée durch feste Routinen in ihrem Alltag abschwächen. Denn die Migräne komme immer dann, wenn sich im Körper ähnlich wie in einem Dampfkochtopf zu viel Druck sammle: «Manchmal kommt vieles zusammen und der Dampfkochtopf kocht über», erklärt Colette Andrée. Wisse der Körper aber, dass – wie an jedem anderen Tag auch – zu einer festen Uhrzeit eine bestimmte Aktivität folge, könne er besser mit den Veränderungen umgehen. Die Migräne-Expertin erläutert: «Wer solche Aktivitäten regelmässig zur selben Uhrzeit durchführt, sorgt dafür, dass Druck und Stress besser entweichen können.»

Sie gibt ein Beispiel: «Ich bin selbst von Migräne betroffen und mache deshalb jeden Tag um neun Uhr abends Sport.» Auch andere tägliche Routinen seien möglich: Mit dem Hund spazieren gehen, Atemübungen lernen, Yoga machen oder auch singen. Immer gelte: «Der wichtigste Termin am Tag ist der mit mir selbst.»

Sport und Bewegung: Während einer Migräneattacke sollten Betroffene die Joggingschuhe nicht anziehen. Doch Joggen, Aerobic und andere sportliche Betätigungen haben eine vorbeugende Wirkung. Auch Yoga kann den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen, wie eine Studie zeigt. Colette Andrée empfiehlt: «Jede Person sollte herausfinden, was ihr guttut und was in ihr Leben passt.»

Vitamine und Ernährung: Vorbeugend eingenommenes Vitamin B2 in Tablettenform kann helfen, besser mit den regelmässigen Kopfschmerzen zu leben. Auch Magnesium und die vitaminähnliche Substanz Coenzym 10 können als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden und lindernd wirken. Informationen über die richtige Dosierung dieser Supplemente gibt es auf der Website des Vereins Migraine Action. Eine Studie konnte zudem zeigen, dass eine Ernährung, die reich an Omega-3-Fettsäuren und arm an Omega-6-Fettsäuren ist, die Häufigkeit von Migräneattacken und die Intensität des Kopfschmerzes verringern kann. Omega-3-Fettsäuren sind zum Beispiel in Fisch und Chiasamen enthalten. Omega-6-Fettsäuren sind unter anderem in Pflanzenölen und Fleisch enthalten.

Vorbeugung mit Medikamenten: Verschiedene Medikamente wie Betablocker, Antidepressiva oder auch Antiepileptika können laut Colette Andrée eine vorbeugende Wirkung haben. Die Therapie sollte mindestens drei Monate lang dauern, um einen Effekt zu zeigen und mit dem Arzt oder der Ärztin besprochen werden.

Akuthilfe: Wenn der Kopf schmerzt

Kommt es doch zu einer Migräne-Attacke, sind vorbeugende Mittel nicht mehr hilfreich. Aber auch in dieser Situation können Betroffene mit verschiedenen Hausmitteln oder Medikamenten für Linderung sorgen.

«Manchen Betroffenen hilft es, bei den ersten Anzeichen eines Anfalls einen doppelten Espresso mit Zitrone oder auch etwas warmes Wasser mit Zitrone zu trinken.»Colette Andrée, Pharmazeutin

Soforthilfe ohne Medikamente: Bettruhe in einem ruhigen, dunklen Zimmer – diese Sofortmassnahme ist vielen Menschen bekannt, die an Migräne leiden. Doch es gibt noch weitere Methoden. Colette Andrée empfiehlt im Akutfall einen kalten Umschlag und etwas Pfefferminzöl auf der Stirn. Manchen Menschen helfe es, zeitgleich ein Wärmekissen in den Nacken zu legen. Zu Beginn eines Anfalls sei es zudem empfehlenswert, den Magen zu bewegen, weiss Colette Andrée: «Manchen Betroffenen hilft es, bei den ersten Anzeichen eines Anfalls einen doppelten Espresso mit Zitrone oder auch etwas warmes Wasser mit Zitrone zu trinken. Das stimuliert den Magen, der sich während eines Migräneanfalls nicht bewegt.» Diese Stimulation lindert Übelkeit – und unterstützt den Körper dabei, Medikamente aufzunehmen, die im Fall einer Migräne eingenommen werden können.

Soforthilfe mit Medikamenten: In Absprache mit dem Arzt oder der Apothekerin können bei einem Migräneanfall frei zugängliche oder auch rezeptpflichtige Medikamente eingenommen werden. Wichtig ist auch hier, den Magen-Darm-Trakt ein paar Minuten vor der Einnahme des Medikaments zu stimulieren. Bei der Dosierung der Schmerzmittel sollte man im akuten Migränefall nicht sparsam sein, wie Colette Andrée sagt: «Das Motto lautet, nicht kleckern, sondern klotzen.» Das heisst: Das Mittel sollte im Akutfall hochdosiert eingenommen werden. Sie stellt einen Vergleich an: «Einen Wasserfall kann man auch nicht mit der Hand aufhalten. Man muss einen Damm bauen.» Informationen zu möglichen Wirkstoffen und ihrer Dosis hat die Pharmazeutin auf der Website ihres Vereins Migraine Action zusammengestellt.

Fauler Zauber: Diese Versprechen helfen nicht gegen Migräne

«Es gibt keine Möglichkeit, Migräne zu heilen», sagt Colette Andrée. Darum rät sie zu Skepsis, wenn in Büchern oder mit Produkten die vollständige Befreiung von der Migräne versprochen wird. Es gebe beispielsweise Magnet-Matten, die Strahlen abhalten sollen und die Migräne so heilen wollen. Auch die sogenannte Bioresonanzmethode betrachtet die Pharmazeutin skeptisch. Damit sollen körpereigene Schwingungen gemessen und die Heilung herbeigeführt werden. Bei der Psychophonie, so informiert die Migräne-Expertin, werden Betroffenen die in Musik umgewandelten Aufnahmen ihrer Hirnströme vorgespielt, um sie zu heilen. Colette Andrées Fazit zu all diesen Methoden: Teuer und nicht wirksam gegen Migräne.

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