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Dieses Gespräch wurde am Dienstag, dem 21. November 2017, im Rahmen der Talkreihe «Wissenschaft persönlich» geführt.

Herr Kamber, Sie treten zwei Jahre vor der Pensionierung zurück. Bei einem Läufer würde man sagen, er gibt auf der Zielgeraden auf.

Was man erreicht, hat nichts zu tun mit dem Pensionierungsalter. Wichtiger ist: Kann ich diese Organisation jetzt schon gut übergeben, oder muss ich noch zwei Jahre weitermachen? Natürlich gibt es auch gewisse Ermüdungserscheinungen. Vor allem wegen dieser Russen-Sache.

Russland hat systematisch Athleten gedopt und Kontrollen vertuscht. Warum lastet die Geschichte so schwer auf Ihnen?

Weil die Russen es nie zugegeben haben, obschon die Beweise erdrückend sind. Wir in der Schweiz versuchen, etwas aufzubauen. Wir haben eine gute Prävention, sind Partner der Athleten, sorgen gleichzeitig aber dafür, dass Dopingfälle auffliegen. Wenn ich nun sehe, dass in anderen Ländern staatlich gedopt wird, und unsere Athleten treten gegen die an – das ist nicht fair.

René Ruis

Einsamer Weg: Matthias Kamber ist im Kampf gegen Doping allen vorausgelaufen – nach drei Jahrzehnten zieht er einen Schlussstrich.

Der Leiter des russischen Dopinglabors ist in die USA geflüchtet und jetzt in einem Zeugenschutzprogramm des FBI. Wer auspackt, lebt gefährlich. Haben Sie Angst?

Nein. Denn ich habe keine Geheimnisse, die es zu schützen gilt. Wenn etwas nicht richtig ist, sage ich es sofort.

Versuchte man, Sie zu bestechen?

Bestechen nicht. Aber es baten mich hohe Funktionäre, ich solle eine bestimmte Probe nicht analysieren.

Wer war das?

Das kann ich hier nicht sagen. Nur so viel: Auf solche Forderungen gehe ich nie ein.

Sie haben berühmte Leute auffliegen lassen. Die Triathletin Brigitte McMahon oder den Radrennfahrer Oscar Camenzind. Was empfinden Sie, wenn Sie einen Star demontieren?

Wenn die Ergebnisse so klar sind, habe ich keine Scheu, die Athleten zu bestrafen. Und wir schützen so die sauberen Athleten. Hätte Camenzind an den Olympischen Spielen teilgenommen, hätte er jemand anderem den Platz weggenommen. Das haben wir verhindert. Triumphgefühle empfinde ich aber nicht, wenn wir jemanden überführen. Eher, wenn wir verhindern, dass jemand dopt.

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Wenn man sein Geld mit Sport verdient, ist der Druck zu dopen enorm. Mit welchen Argumenten können Sie jemandem davon abraten?

Doping ist schädlich bis tödlich – und unfair. Zudem waren viele, die aufflogen, froh, dass es endlich auskommt. Die stehen unter einem so grossen Druck, dass sie es fast nicht mehr aushalten. Oft outen sie sich auch, wenn sie Kinder haben und denen nicht mehr in die Augen blicken können.

René Ruis

Aufgenommen im Monbijoupark in Bern.

Ist Ihr Glaube an saubere Sportler nicht naiv? Wir wissen, dass an einer Tour de France alle Top-Fahrer gedopt sind. Nur der Schweizer Fabian Cancellara soll es nicht sein.

Man muss unterscheiden. Was die Spitzenfahrer an der Tour über drei Wochen leisten, ist sicher nicht möglich, ohne zu dopen. Auf einzelne Rennen hingegen kann man sich seriös vorbereiten und sie gewinnen ohne Doping.

Das ganze System ist doch korrupt: In der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada sitzen die Vertreter der internationalen Sportverbände.

Das stimmt, es gibt grosse Interessenkonflikte. Zum Beispiel in der Türkei. Der Präsident des türkischen Olympischen Komitees sitzt auch im Internationalen Olympischen Komitee IOC, und gleichzeitig im Aufsichtsorgan der Wada. Das kann doch nicht sein. Seit ich das aber ankreide, bin ich nicht mehr allzu beliebt in diesen Kreisen.

Antidoping Schweiz hat seit 2010 ein Budget von 4,8 Millionen Franken, doch die Aufgaben wurden immer mehr. Hat Sie auch das frustriert?

Ja, sehr. Wir haben so viel geleistet. Kürzlich haben wir einen Brief der Wada erhalten mit der Forderung, bis kommenden Februar sieben Anforderungen zu erfüllen. Mit unserem Budget ist das aber unmöglich.

Also ist dann Schluss mit Antidoping Schweiz?

Das ist ein Problem. Unsere Partner Swiss Olympic und der Bund sehen nicht ein, dass wir mehr Geld brauchen. Sie sagen: Ihr seid zu gut, geht runter mit der Qualität. Für mich ist das inakzeptabel. Es ist schon erstaunlich: Der Bund gibt uns 2,7 Millionen. An die Olympiakandidatur gibt er wahrscheinlich etwa eine Milliarde.

René Ruis

Aufgenommen im Monbijou-Park in Bern

Also ist es auch der Schweiz nicht ernst mit dem Kampf gegen Doping.

Im Prinzip ist es keinem Land wirklich ernst. Jeder ist mit jedem verknüpft. Swiss Olympic definiert sich einerseits über die vielen Medaillen – das ist auch gut so –, andererseits sollen sie sich für die Bekämpfung des Dopings einsetzen. Das ist ein Zielkonflikt. Man müsste das anders lösen, mit unabhängigen Geldgebern. Doch dafür fehlt der Druck.

Sind Sie enttäuscht von der Politik?

Ja. Der Bund hat 1993 die Europaratskonvention gegen Doping unterzeichnet. Damals ging es vorwärts. 2008 hat die Schweiz die Unesco-Konvention gegen Doping ratifiziert. Ich habe in beiden Fällen als Experte mitgearbeitet. Heute geschieht nicht mehr viel.

Warum gibt man Doping nicht einfach frei?

Das könnte man sich überlegen. Bei Zirkusakrobaten machen wir ja auch keine Kontrollen. Doch soll man einer jungen Kunstturnerin Doping geben? Für mich ist das ein No-Go. Die Stars haben auch eine Vorbildfunktion. Wenn sie nicht sagen können «ich halte die Regeln ein», dann haben wir sehr viel verloren.

Trotz allem ist Ihnen die Freude am Sport nicht abhandengekommen?

Nein, ich persönlich könnte nicht sein ohne. Und im Beruf habe ich so viele Spitzenathleten erlebt, die kein Doping brauchen. Sehr viele meiner Ziele habe ich erreicht.


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«Wissenschaft persönlich» ist ein Live-Event, in dem Gäste aus der Wissenschaft nicht nur über Fakten reden, sondern auch über sich selbst – über ihre Begeisterung, ihre Niederlagen und ihre Träume. Der rund einstündige Talk findet regelmässig statt.
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