Das musst du wissen

  • Momentan gibt es weltweit drei besorgniserregende Varianten des Coronavirus.
  • Diese Varianten sind ansteckender als das ursprüngliche Sars-CoV-2 oder entwischen dem Immunsystem leichter.
  • Selbst bei neuen Varianten bleibt im Fall von Immunität aber ein Restschutz.
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Letztes Update: 29. April

Mittlerweile zirkulieren weltweit über ein Dutzend Varianten des neuen Coronavirus – sie sind zum Beispiel auf der Webseite Covariants.org aufgeführt, welche die Epidemiologin Emma Hodcroft von der Universität Bern betreibt. Welche dieser vielen Variationen als besorgniserregend gelten, definiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Ausschlaggebend ist zum Beispiel, ob die veränderten Viren ansteckender sind oder dem Impfschutz leichter entkommen als die ursprüngliche Variante von Sars-CoV-2.

Welches sind die besorgniserregenden Varianten von Sars-CoV-2?

    Im Moment gibt es drei sogenannt besorgniserregende Varianten von Sars-CoV-2:

  • Variante B.1.1.7, die erstmals im September 2020 in Grossbritannien auftrat und nun auch in der Schweiz für die grosse Mehrheit der Neuinfektionen verantwortlich ist. Laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) stammten bis zum 8. April 2021 hierzulande 96 Prozent der sequenzierten Proben von B.1.1.7.
  • Variante B.1.351, die auch Südafrika-Variante genannt wird, weil sie dort im Oktober 2020 erstmals gefunden wurde. Sie ist in der Schweiz laut BAG bis zum 14. April bereits 245-mal nachgewiesen worden.
  • Variante P.1, die zuerst im Dezember 2020 in Brasilien entdeckt wurde und die im Frühling 2021 in der Stadt Manaus stark grassiert. In der Schweiz gab es laut BAG bis zum 14. April 2021 von dieser Variante 13 nachgewiesene Fälle.
  • Seit Ende April die Variante B.1.617, die sich stark in Indien verbreitet. In Indien stecken sich etwa über 300 000 Menschen täglich mit ihr an. Auch in der Schweiz ist die Variante bereits aufgetaucht: Laut «Gisaid», einer internationale Plattform für Corona-Daten, sind bis am 29. April sechs Fälle aufgetaucht.

Was zeichnet Varianten von Sars-CoV2 aus?

Die drei genannten Varianten enthalten verschiedene Mutationen, also Veränderungen im Erbgut. Einige von ihnen haben zur Folge, dass sich die Form des Spikeproteins an der Oberfläche des Virus leicht verändert. Dieses Protein ist der Schlüssel, mit dem das Virus in die menschlichen Zellen eindringt.

Die Anzahl der Mutationen pro Variante ist unterschiedlich. Einige von ihnen haben keine grosse Bedeutung für uns oder für das Virus. Andere aber sind richtige Spielverderber. Sie heissen zum Beispiel N501Y, H69- oder E484K und sorgen dafür, dass sich ein Virus leichter überträgt oder der Immunantwort entwischt.

Was bedeuten die kryptischen Namen der Mutationen?

Ein Protein wie das Spikeprotein des Coronavirus besteht aus aneinandergereihten Aminosäuren. Diese Aminosäuresequenz schreiben Forscherinnen und Forscher als eine Reihe von Grossbuchstaben auf, wobei jeder Buchstabe für eine der 20 Aminosäuren steht. So bedeutet E484 etwa, dass an der 484sten Stelle der Sequenz die Aminosäure Glutaminsäure (E) steht. Die Mutationsbezeichnung E484K bedeutet, dass Glutaminsäure (E) an dieser Stelle durch Lysin (K) ersetzt wurde. Steht hinter der Position ein Minuszeichen, wie bei H69-, bedeutet dies, dass an dieser Stelle eine Aminosäure gelöscht wurde.

Warum ist die Variante B.1.1.7 besorgniserregend?

Die Variante B.1.1.7 führt wahrscheinlich zu schwereren Verläufen als das ursprüngliche Sars-CoV-2. In einer Studie aus Grossbritannien stieg das Sterblichkeitsrisiko für B.1.1.7 im Vergleich zur alten Virusvariante um den Faktor 1,64. Eine weitere Studie aus England kam zum Schluss, dass das Todesrisiko für einen Mann zwischen 55 und 69 Jahren durch B.1.1.7 von 0,6 Prozent auf 0,9 Prozent steigt.

Die Variante B.1.1.7 hat ausserdem einen Fitnessvorteil gegenüber dem Original-Virus, da sie leichter übertragbar ist. Möglicherweise ist das so, weil sich B.1.1.7 schneller vermehrt als das ursprüngliche Virus. Somit steige die Viruslast im Rachen sehr schnell, bevor das Immunsystem die nötigen Immunzellen und Antikörper herstellen könne, erklärt der Immunologe Christian Münz von der Universität Zürich. «Das könnte die bessere Übertragbarkeit erklären.» Allerdings liegen noch keine experimentellen Daten vor, die erklären, wieso sich B.1.1.7 besser ausbreitet, sagt der Virologe Volker Thiel von der Universität Bern. «Im Moment können wir nur Vermutungen aufgrund der epidemiologischen Daten anstellen.»

Besorgniserregend für die Schweiz ist die Variante B.1.1.7 also vor allem deshalb, weil sie derzeit die Fallzahlen trotz der gegenwärtigen Massnahmen in die Höhe treibt, noch bevor die Impfkampagne hierzulande Fahrt aufgenommen hat. Deshalb sei zu erwarten, dass die Fallzahlen weiter steigen, insbesondere, wenn die Massnahmen wieder gelockert werden sollten, so Münz.

Schaubild das zeigt, dass die Coronavirusmutation B.1.1.7 in der Schweiz die Ursprungsvariante verdrängt hat.covariants.org

Die Entwicklung in der Schweiz mit der alten Sars-CoV-2-Variante (orange) und der neuen B.1.1.7-Mutation (rot). Die Y-Achse stellt den Anteil der Varianten an der Gesamtzahl der sequenzierten Proben dar.

Warum sind die Varianten P.1 und B.1.351 besorgniserregend?

Die beiden Varianten, die erstmals in Brasilien beziehungsweise in Südafrika entdeckt wurden, sind – wie auch B.1.1.7 – leichter übertragbar. Eine noch nicht begutachtete Studie schätzt, dass die brasilianische P.1-Variante 2,6-mal übertragbarer ist. Und eine noch nicht begutachtete Modellierungsstudie rechnete aus, dass sich die Variante 1,4 bis 2,2-mal besser überträgt.

Sowohl die brasilianische P.1 als auch die südafrikanische Variante B.1.351 enthalten unter anderem die sogenannte «immune-escape» Mutation E484K. Diese ist ein Problem, da sie das Spikeprotein so verändert, dass der Schutz durch Antikörper teilweise ausgehebelt wird. Im Labor haben Forschende die südafrikanische Variante B.1.351 mit Antikörpern von Menschen gemischt, die nach einer Infektion mit dem Original-Virus genesen waren. Es zeigte sich: Es waren etwa zehnmal mehr Antikörper nötig, um B.1.351 zu neutralisieren. Das heisst, B.1.351 kann dem Immunsystem leichter entwischen. Eine noch nicht begutachtete Studie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis für die Variante P.1: Die Wirkung neutralisierender Antikörper gegen P.1 war um ein Sechsfaches reduziert.

«Aber das ist keine alles-oder-nichts-Reaktion», sagt Immunologe Münz. «Es gibt weitere Mechanismen des Immunsystems, die einen Schutz liefern.» So könne man zwar bei einer Zweitinfektion mit der südafrikanischen Variante erneut erkranken, aber es gebe noch keine Hinweise auf sehr schwere Verläufe der Zweitinfektion, so Münz.

Ist die indische Variante B.1.617 auch besorgniserregend?

Diese Variante besitzt Mutationen an drei strukturell wichtigen Stellen (L452R, E484Q und P681R), die womöglich die Eigenschaften des Virus beeinflussen können. Sie führen zu einem Austausch von Aminosäuren in der Proteinsequenz des Spike-Proteins, das sich an der Oberfläche des Virus befindet und die Bindung des Virus an die menschliche Zelle ermöglicht. Inwiefern diese Veränderungen dem Virus ermöglichen, Immunantwort zu entkommen oder zu einer leichteren Übertragung des Virus beitragen, ist noch nicht geklärt.

Zurzeit fehlen jedoch noch harte Daten, dass B.1.617 ein verändertes Verhalten wie erhöhte Infektiosität, geänderten Krankheitsverlauf oder auch ein Entkommen der Immunantwort aufweist. «Mir scheint es zum jetzigen Zeitpunkt unklar, inwieweit geänderte Eigenschaften von B.1.617 die Haupttreiber sind für die derzeitige katastrophale zweite Welle in Indien», sagte Carlos Guzman, Leiter der Abteilung Vakzinologie und Angewandte Mikrobiologie, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), gegenüber dem Science Media Center. «Das sollte man nicht ausschliessen, aber gleichzeitig gibt es verschiedene Umstände wie Öffnungsmassnahmen inklusive Massenveranstaltungen und ein überfordertes Gesundheitssystem, die sicherlich auch einen grösseren Einfluss haben als die Mutationen. All dies ist auch reflektiert in der bisherigen Einordnung von B.1.617 als ‚Variant of Interest‘ (VOI) und nicht ‚Variant of Concern‘ (VOC).»

Was bedeuten die besorgniserregenden Varianten für die Impfungen?

Die gute Nachricht ist, dass die gängigen mRNA-Impfstoffe gegen die hiesige Variante B.1.1.7 schützen. Die Wirksamkeit des AstraZeneca-Impfstoffs gegen diese Variante ist nur leicht vermindert.

Die schlechte Nachricht: Gegen die südafrikanische Variante B.1.351 schützen Impfstoffe weniger gut. Eine Studie untersuchte die Blutseren von Menschen, die entweder mit dem mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer oder mit dem AstraZeneca-Vakzin geimpft waren. Die Wirksamkeit der Antikörper von Geimpften war gegen B.1.351 um ein 8-bis 9-faches reduziert. Eine weitere Untersuchung mit dem AstraZeneca-Wirkstoff kam gar zu dem Schluss, dass dessen Wirksamkeit auf nur zehn Prozent absank. Auch der Impfstoff von Moderna war in einer Studie gegenüber B.1.351 vermindert wirksam.

Zur Wirkung der Impfung gegenüber der P.1-Variante gibt es weniger Studien. Eine von ihnen zeigte aber, dass das Moderna-Vakzin Antikörper produziert, die gegen B.1.1.7 und P1 eine vergleichbare Wirksamkeit liefert.

Dennoch vermittelten die Impfungen auch einen Restschutz gegen B.1.351, der – analog zum Immunschutz bei einer Zweitinfektion – schwere Verläufe verhindern könnte. «Daten aus Ländern in denen die Impfkampagnen schon sehr weit sind, stimmen zuversichtlich», sagt der Virologe Volker Thiel von der Universität Bern. «Dort gehen die Hospitalisierungen und Todesfälle zurück und die neuen Varianten erzeugen keine schweren Verläufe.»

Die mRNA-Vakzin-Herstellerin Moderna führt bereits eine Studie mit einem angepassten Vakzin durch, welches das Spikeprotein der Variante B.1.351 enthält. «Das ist sicher sinnvoll», sagt Immunologe Münz, «da Antikörper gegen die B.1.351-Variante ebenso gut gegen das ursprüngliche Virus schützen.» Wie schnell ein solches angepasstes Vakzin zugelassen würde, ist derzeit noch unklar. Möglicherweise kann die Regelung für die jährliche Anpassung der Grippeimpfstoffe als Grundlage für das Zulassungsverfahren dienen.

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Was werden neue Varianten bewirken?

Die Neuigkeiten über ansteckendere und krankmachendere Varianten sind beunruhigend. Und es entstehen immer noch neue Varianten. So ist etwa in Angola eine Variante namens A.VOI.V2 aufgetaucht, die in Reisenden aus Tansania entdeckt wurde, einem Land mit mangelnder Pandemiekontrolle. Sie trägt mehr Mutationen als jede andere Variante, mindestens 31. Wobei das nicht unbedingt bedeuten muss, dass diese Variante auch gefährlicher ist. Weitere Varianten sind in New York, den Philippinen und Indien aufgetaucht.

Noch gibt es nicht genug Daten, um die Gefährlichkeit dieser Varianten einzuschätzen. Auffällig aber ist: Viele Varianten tragen bereits bekannte Mutationen. Die Tatsache, dass Varianten aus verschiedenen Regionen der Erde ähnliche Mutationen aufweisen, zeigt aber, dass das Virus immer wieder die gleichen oder ähnlichen Lösungen findet, um die Immunität des Menschen zu umgehen. Die Optionen des Virus, sich zu verändern, sind begrenzt. «Es ist ein Wechselspiel zwischen Infektionen und Immunität, die die Veränderungen begünstigen», sagt Volker Thiel. Sobald ein grosser Teil der Bevölkerung einen Immunschutz erreicht habe, werde das Virus Wege suchen, diesen zu umgehen, neue Varianten entstünden – auch wenn sie wahrscheinlich keine schweren Verläufe mehr auslösten. «Das dauert ein paar Jahre, bis sich das einpendelt. Wir müssen uns an das Virus gewöhnen, und das Virus sich an uns.»

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