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Jan Vontobel: Wir haben uns heute vorgenommen, über Medikamente gegen die Krankheit Covid-19 zu sprechen. Bereits haben wir über Immunität und Impfstoffe gesprochen, und wir wissen, dass es nicht so schnell gehen wird, einen Wirkstoff zu finden. Der Fokus liegt also darauf, Medikamente zu finden, welche die schweren Krankheitsverläufe etwas eindämmen. Herr Glogger, da läuft aktuell sehr viel in der Forschung.
Beat Glogger: Ja es ist eine eigentliche fast Hyperaktivität ausgebrochen. Natürlich möchte jeder möglichst viel beitragen, seitens Forschung, der Industrie. Denn, wer das Medikament hat, das muss man ganz klar sagen, der könnte auch ein Geschäft machen. Ich möchte das nicht negativ darstellen, aber es ist enorm viel im Gange.
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Jan Vontobel: Schlüsseln wir die verschiedenen Ansätze auf und schauen, wie weit man aktuell ist. Dafür muss man zuerst einmal verstehen, was bei einer Infektion abläuft. Dass wir eine Virus-Phase haben, in der das Virus im Fokus steht, das sich vermehrt. Das ist meistens in der ersten Woche der Infektion der Fall. In der zweiten Woche hat man eine Virus-Phase plus die Immunsystem-Phase, in der die Reaktion des Immunsystems einsetzt, und ab der dritten Woche, insbesondere in schweren Verläufen, setzt die Immunsystem-Phase ein, wo das Immunsystem teilweise auch überschiesst und es zu Entzündungen in der Lunge kommen kann. Diese drei Phasen sind sehr wichtig, um bei den Medikamenten zu unterscheiden.
Beat Glogger: Und es macht auch Sinn, dass man auf drei Ebenen angreift. Man kann sagen, es wird zuerst versucht, antiviral, gegen das Virus selbst vorzugehen, und dort gibt es genetische Ansätze oder einfach Ansätze, die verhindern, dass das Virus in die Körperzelle dringt. Dann gibt es den nicht-klassischen Antiviral-Ansatz, wo versucht wird, das Immunsystem der Menschen zu pushen, damit sie die Viren besser abwehren können. Dann gibt es die – wir haben davon gesprochen, dass das Immunsystem überschiessen kann – die Immunmodulatoren. Da sagt man: Wir wollen eine Immunantwort, aber nicht zu viel, damit es nicht schädlich wird, mit dieser Methode will man das Immunsystem im Zaun halten. Und letztlich – das wäre dann krankheitsmässig in der letzten Phase, wird versucht, klassische Medikament gegen Lungenentzündungen bis hin zu Darm- und anderen Entzündungen, einzusetzen.
Jan Vontobel: Beginnen wir bei den antiviralen Medikamenten. Wo ist der Stand der Forschung?
Beat Glogger: Die ernüchternde Antwort: Bei keinem der genannten Ansätze ist man am Ziel. Wichtig ist, dass die Forschung jetzt versucht, alle die vorhandenen antiviralen Medikamente «umzunutzen»: Wir kennen verschiedene Krankheiten, die durch Viren ausgelöst werden, sei es HIV, sei es Ebola oder auch einfach Grippeviren. Auch ein Grippemedikament könnte nützen. Jetzt schaut man bei allen antiviralen Medikamenten, ob sie gegen Covid-19 wirken und auch, ob sie allenfalls in Kombination miteinander wirken. Ein Beispiel, das relativ bekannt ist, Remdesivir, das wurde ursprünglich für Ebola entwickelt, hat dagegen aber nicht so viel oder gar nicht gewirkt. Aber plötzlich hat man gesehen, im Labor zumindest, dass es gegen Mers-Viren wirkt. Nun wird geschaut, ob es gegen das Sars-Cov-2 nützt.
Und es gibt Medikamente, die aktuell in der HIV-Therapie eingesetzt werden, vor allem zwei Wirkstoffe: Das Lopinavir und Ritonavir, die man zum Teil mit einem dritten Stoff testet. Es sind zwar HIV-Medikamente, wirken aber auch gegen Hepatitis B. Und so befruchten sich die Forschungen und Anwendungen gegenseitig. Und wer weiss, vielleicht findet man auf diesem Weg ein einzelnes Medikament oder eine Kombination, die auch gegen Sars-Cov-2 wirkt.
Jan Vontobel: Das bedeutet, dass bekannte Medikamente, die bereits zugelassen sind, zum Teil auch an Menschen getestet werden, ohne genau zu wissen, ob sie wirken?
Beat Glogger: Es ist nicht aussergewöhnlich, dass man das macht. Man kann das auch mit anderen Medikamenten machen, man nennt das den Off-Label Use: Wir wissen, dass es gut ist gegen eine bestimmte Krankheit, und jetzt probieren wir es in einem ähnlichen Fall gegen eine andere Krankheit. Das ist Gang und Gäbe. Warum man das machen kann, lässt sich einfach erklären: Das Medikament ist ja verträglich im Menschen. Die ganzen Verträglichkeitstests müssen nicht vorgenommen werden, darum ist es möglich, es bei einer neuen Erkrankung zu verwenden. Im allerschlimmsten Fall hätte das neue Medikament den Effekt einer neuen Nebenwirkung. Aber das Medikament ist getestet auf Hepatitis B, Hepatitis C oder Ebola. Man probiert es nun auf einem anderen Virentyp aus. Das ist in der Medizin nicht Alltag, aber auch nicht aussergewöhnlich.
Jan Vontobel: Und wie weit ist man nun in den klinischen Studien? Gibt es schon Aussagen, positive, negative, ob einzelne Medikamente wirken?
Beat Glogger: Es gibt beides. Aussagen zu Medikamenten, die überhaupt keine Wirkung haben, andere, die vorsichtig positiv sind. Ein Medikament zeigte einen frappierenden Rückgang der Virenzahl, zum Teil bereits nach wenigen Stunden. Aber das sind meistens Erfahrungen mit einzelnen Patienten. Grossangelegte Studien gibt es zeitbedingt natürlich noch nicht. Dann gibt es andere, zum Teil sehr mit Vorsicht zu geniessende, Erfolgsmeldungen. Zum Beispiel von Zellkultur-Tests, wo man Wirkungen feststellte. Es gibt Forscher, die sagen, sie hätten den «Break through». Oder Trump, der twitterte: «A game changer – I feel good about it». Aber wenn nach Versuchen die Daten nicht offengelegt werden, ist das schwierig zu beurteilen. Und das Ganze hat sich auf eine Abwandlung von Chloroquin bezogen, auf das so genannte Hydroxychloroquin. Es wird jetzt viel mit Hoffnung gearbeitet. Aber der Durchbruch ist noch nirgends zu verzeichnen.
Jan Vontobel: Bei den antiviralen Medikamenten, die man in der Virus-Phase verabreicht, damit sich das Virus nicht zu stark vermehrt, hat man ja jetzt bei dem Sars-CoV-2-Virus das Problem, dass die Menschen die erste Virus-Phase gar nicht bemerken oder nicht wissen, ob es einen schweren Verlauf gibt. Die Medikamente müssten aber früh zum Einsatz kommen, was unter diesen Bedingungen wohl schwierig ist.
Beat Glogger: Das ist in der Tat so. Es gibt tatsächlich antivirale Therapien, die man sogar vor der Exposition mit dem Virus einsetzt. Die so genannte Präexpositions-Medikation wird beispielsweise von HIV-gefährdeten Menschen angewendet, bevor sie heiklen Geschlechtsverkehr haben. Das ist heute eine Methode, die in «HIV-Communities» eine Möglichkeit ist, sich zu schützen. Das ist nun bei einem Virus wie Sars-CoV-2 natürlich nicht ratsam. Ich hatte ein ähnliches Erlebnis mit dem Chloroquin, das auch gegen Malaria wirkt. Das Medikament dient als Notfall-Präparat bei ersten Anzeichen wie Schüttelfrost, um das Virus abzutöten. Ich war damals auf einer Reise in den Tropen und hatte diese Anzeichen. Ich schluckte das Medikament panisch, ging zum Tropenarzt und sagte ihm: «Ich glaube ich habe Malaria.» Er fragte, ob ich Chloroquin genommen habe. Ich bejahte. Er sagte, das sei das Schlechteste, was ich hätte tun können. Nun könne er nicht mehr feststellen, ob ich tatsächlich Malaria hatte, weil ich das Virus abgetötet habe. Besser wäre gewesen, zum Arzt zu gehen, die Diagnose zu stellen und dann das Medikament zu nehmen. Es ist also nicht immer ratsam, so früh wie möglich zu handeln. Es verhindert die Diagnose.
Jan Vontobel: Im Fall von Sars-CoV-2 ist es ohnehin schwierig, weil man nicht weiss, wenn man sich ansteckt. Das heisst, man müsste das Medikament dauernd einnehmen, solange das Virus kursiert. Und das ist nicht möglich, denn die Medikamente haben Nebenwirkungen.
Beat Glogger: Auf jeden Fall. So kann Chloroquin beispielsweise Sehstörungen auslösen, auch das weiss ich aus eigener Erfahrung. Jedes Medikament hat Nebenwirkungen. Ich würde von einer flächendeckenden Präventiv-Medikation absolut absehen.
Jan Vontobel: Das heisst, bei diesen antiviralen Medikamenten hat man den Durchbruch noch nicht und ist weiterhin am Forschen. Dann gibt es die Immunmodulatoren, mit denen die Überreaktion des Immunsystems verhindert werden soll.
Beat Glogger: Ja, und das wirkt auf den ersten Blick fast paradox. Wenn man auf der einen Seiten Interferon einsetzt, das das Immunsystem stützt, auf der anderen Seite Medikamente sucht, die das Immunsystem modulieren oder herunterfahren. Das sind Medikamente, die klassischerweise gegen rheumatische Erkrankungen und chronische Entzündungen eingesetzt werden, die zum Teil durch eine überschiessende Immunantwort hervorgerufen werden. Dazu gehören Sarilumab oder ähnliche Medikamente. Man weiss zurzeit nicht, ob es besser ist, das Immunsystem anzukurbeln oder herunterzufahren…
Jan Vontobel: …es kommt wohl sehr darauf an, in welcher Erkrankungs-Phase man sich befindet und welchen Verlauf man hat.
Beat Glogger: Absolut. Und auf der aktuellen Liste der heissen Kandidaten fällt ein bestimmtes Medikament auf, das die Firma Roche gegen Arthritis auf den Markt brachte: Tocilizumab wird bei schweren Lungenentzündungen eingesetzt, laut einer Studie auch bei Covid-19-Patienten, die jetzt auf den Intensivstationen liegen. Und man kann nur hoffen, dass es den gewünschten Effekt hat.
Jan Vontobel: Zusammengefasst: Man ist überall dran, macht Tests. Man macht Menschenversuche. Und dies ist offenbar notwendig, um herauszufinden, was wirkt und was nicht. Man weiss aus China, dass man riesige Kombinationen verabreicht hat. Am Schluss gab es zwar geheilte Patienten, aber man wusste nicht, welcher der 30 oder 40 Wirkstoffe letztlich genützt hat.
Beat Glogger: Das ist absolut so. Und genau vor diesem Hintergrund hat die Europäische Arzneimittel-Zulassungsbehörde EMA einen Appell ausgerufen an die Forschenden, sie sollen gemeinsam arbeiten statt dass jeder für sich drauflos forscht und drauflos verabreicht. Die EMA sagt, man solle nicht einfach mal geben und schauen ob es nützt, sondern zwei Patientengruppen in ähnlichem Zustand vergleichen, indem die einen das Medikament erhalten, die anderen nicht. Das hat natürlich eine ethische Komponente. Denn der einen Gruppe geht es immer schlechter als der anderen. Dann muss man die andere Kontrollgruppe auch entsprechend behandeln und kann sie nicht sterben lassen. Aber die EMA hat zur besseren Koordinierung aufgerufen. Ebenso die Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie hat eine gross angelegte Studie initiiert. Damit sollen vier klassische antivirale Medikamente getestet werden, unter klarer Definition, was sie herausfinden will. Die Studie läuft seit dem 18. März unter dem Namen «Solidarity Trial». Die Schweiz ist auch beteiligt. Es ist interessant, dass sich Patientinnen und Patienten recht einfach einschliessen lassen.
Jan Vontobel: Können da auch Schweizer Patienten mitmachen?
Beat Glogger: Ja. Sobald ein bestätigter Covid-19-Fall vorliegt, kann die Ärztin die schriftliche, von der WHO definierte Zustimmung der kranken Person einholen. Die WHO prüft das, und sobald die Zusage vorliegt, kann sie den Patienten in den Versuch aufnehmen. Ich kann nicht sagen, wie viele Tage das dauert, aber sie spricht davon, dass das sehr zeitnah geschieht.
Jan Vontobel: Insgesamt scheint es auch wichtig, dass man versteht, wie diese Abläufe vor sich gehen. Und dass man weiss, dass es viele laufende Studien gibt. Es werden zum Teil Zwischenergebnisse und auch weniger seriöse Studien publiziert. Aber man muss jetzt auch die Zeit geben, damit man die Grundlagen erforschen kann. Und das heisst: Es braucht Geduld und es braucht Zeit.
Beat Glogger: Und das, obwohl uns der schnellere Weg zur Verfügung steht: bestehende Medikamente, die gegen eine andere ähnliche Krankheit nützen, zu testen. Sicherheitsbedenken gibt es keine oder fast keine. Aber auch das geht schon mindestens ein Jahr, alles andere sind Versuche mit ausdrücklicher Zustimmung der Patienten. Das andere wäre, einen neuen Wirkstoff zu finden. Und da haben wir in der Schweiz einen interessanten Ansatz an der Uni Zürich. Das Team unter der Leitung von Professor Urs Gerber hat eine Wirkstoffbank mit 5000 chemischen Wirkstoffen. Diese werden mit Zellkulturen durchgetestet, einer nach dem anderen – Sie müssen sich das roboterisiert vorstellen – um festzustellen, ob sie zumindest in den Zellkulturen das Sars-CoV-2 hemmen können. Und dies könnte allenfalls ein neues Medikament hervorbringen. Aber auch Gerber sagt in einer Mitteilung der Uni Zürich: Die Zellkulturtests sind zwar schnell im Sinne der Medikamentenentwicklung. Aber wenn der Wirkstoff gefunden ist, braucht es Versuche an Tieren, danach vorsichtig am Menschen. Aber das wird auch nicht vor dem nächsten Jahr zu einem Ergebnis führen. Aber dass es nützlich sein kann, dieses Screening aller bekannter Substanzen, zeigt eine Erfolgsmeldung aus dem Labor Gerber: Dort wurden Wirkstoffe gefunden gegen Atemwegserkrankung verursachende Viren, so genannte Adeno-Viren. Hier ist man tatsächlich im Testen der klinischen Wirksamkeit vorwärtsgekommen.
Jan Vontobel: Das heisst, man verfolgt alle Ansätze. Die Zulassung kann ein Jahr dauern. Man kann aber schon sagen, es gäbe die Möglichkeit, einen gefundenen Wirkstoff nach Zustimmung der Patienten schon früher zu verabreichen (Off-Label-Use)?
Beat Glogger: So ist es. Das Jahr kommt uns nun lange vor. Aus Sicht der pharmazeutischen Entwicklung ist das hingegen unglaublich schnell – wenn man dann was hat. Ich habe es schon gestern im Podcast gesagt, der Lucky Punch ist bei allem möglich. Aber der lässt sich einfach nicht voraussehen, weder im Lotto noch in der Medikamentenentwicklung.
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