Das musst du wissen

  • Satellitenortungssysteme werden nicht erst seit dem Ukraine-Krieg zu militärischen Zwecken eingesetzt.
  • Russland will sich damit unter anderem vor dem Beschuss von GPS-Raketen schützen.
  • Ein Land von Ortungssystemen abzukoppeln, würde aber Risiken bergen: Davon wären auch Rettungsdienste betroffen.

Seit es Satellitentechnologien gibt, werden sie in bewaffneten Konflikten eingesetzt. Der Krieg in der Ukraine bildet hierbei keine Ausnahme. Russland hat vor kurzem erst gezeigt, wie sich sogenannte GPS-Geopositionierungssysteme im europäischen Luftraum stören lassen. In Finnland hatte das Land bereits 2018 eine Nato-Übung gestört, zuvor auf der Krim und in Syrien. Da stellt sich die Frage: Kann die Kontrolle über Informationen von Satelliten den Verlauf eines Krieges beeinflussen?

Warum es kompliziert ist. Informationen in Echtzeit sind in einem Krieg von grösster Bedeutung. Google zögerte nicht, seinen Online-Kartendienst Google Maps in Russland und der Ukraine zu stoppen, um zu verhindern, dass sie von den Konfliktparteien instrumentalisiert werden. Doch so entscheidend satellitengestützte Geopositionierungssysteme für zivile und militärische Operationen auch sein mögen: Sie sind bei weitem nicht das einzige Werkzeug, das zur Verfügung steht. Vor allem sind nicht alle Kriege in gleichem Masse auf solche Geopositionierung angewiesen.

Um mehr darüber zu erfahren, sprach Heidi.news mit Bertrand Merminod, Professor am Labor für Topometrie der ETH Lausanne und Kenner dieser Technologien.

Wovon wir reden. Man spricht oft von GPS, dem Global Positioning System, das ursprünglich vom US-Militär entwickelt wurde. Dies mit dem Zweck, die Gesamtheit der satellitengestützten Echtzeit-Geopositionierungssysteme zu beschreiben. Diese werden unter dem Begriff Global Navigation Satellite Systems (GNSS) zusammengefasst.

Aber GPS ist nicht mehr das einzige dieser Satellitenortungssysteme. Davon gibt es heute mehrere, die diese Funktion erfüllen:

  • GPS (amerikanisches System)
  • Galileo (europäisches System)
  • Beidou (chinesisches System)
  • Glonass (russisches System)

«Da wir über mehrere Satellitenortungssysteme verfügen, können wir die genauen Positionen zuverlässiger eruieren», sagt Bertrand Merminod. «Es gibt übrigens internationale Reglemente, die es der Luftfahrt verbieten, sich nur auf ein einziges System zu verlassen.»

Missbrauch via Internet. Am 17. März 2022 warnte die Europäische Agentur für Flugsicherheit im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine vor den Gefahren, die von Satellitenortungssystemen ausgehen. Für Bertrand Merminod ist es wenig überraschend, dass es Russland gelingt, die Satellitennavigationssysteme von Verkehrsflugzeugen zu stören.

«Es ist einfach, ein Gerät zu stören, das auf GNSS basiert. Das Signal ist sehr schwach und man kann – illegal – Geräte im Internet dafür finden. Selten wird nur das US-amerikanische GPS gestört, denn die Frequenzbänder, die von anderen GNSS-Systemen genutzt werden, liegen sehr nah beieinander. Man stört gleichzeitig auch die anderen Systeme.»

Das Thema beflügelt nach Ansicht des Experten noch immer viele Fantasien. Das sogenannte Spoofing eines GPS-Signals – also ein Signal zu fälschen, um etwa einem Gerät vorzugaukeln, dass es sich an einem anderen Ort befindet – kam im James-Bond-Film «Der Morgen stirbt nie» zu Ehren. Da die Signale der GNSS-Satelliten jedoch verschlüsselt sind, ist diese Art des Missbrauchs nicht unmöglich, aber schwierig.

Wie kann man feststellen, ob eine Störung vorliegt? In der Praxis ist es einfach, eine Störung zu erkennen, allerdings erst im Nachhinein. «Das kann man mit einer einfachen Signalanalyse überprüfen. Zum Beispiel mit einer Messstation am Boden, deren Höhe und Position man kennt. Man kann also relativ schnell feststellen, ob es zu einer Störung gekommen ist.» Doch bei militärischen Zwecken spricht man von Echtzeitanwendungen, die nur wenig Gelegenheit zur nachträglichen Überprüfung lassen, ergänzt Bertrand Merminod.

Benoit Roturier, Programmdirektor für Satellitennavigation bei der französischen Generaldirektion für Zivilluftfahrt (DGAC), erklärt: Dem Militär gehe es nicht darum, die zivile Navigation zu stören, sondern darum, russische Truppen vor möglichen GPS-gesteuerten Raketen zu schützen.

Eine Besonderheit von GNSS-Systemen ist, dass sie nur in eine Richtung funktionieren: Die Signale werden gesendet, ohne dass der Satellitenbetreiber wissen kann, wer sie verwendet hat, erläutert Bertrand Merminod. Mit anderen Worten: Selbst wenn die russischen Streitkräfte das amerikanische GPS anstelle von Glonass verwenden, können die USA daraus keine Informationen über die Standorte der Truppen ableiten.

Russland abkoppeln? Ist es unter diesen Umständen denkbar, das GPS in Russland abzuschalten, wie es der ukrainische Präsident kürzlich von den G7-Staaten gefordert hat? Ist dies aus technischer Sicht überhaupt möglich? Bertrand Merminod von der ETH Lausanne erklärt: Es wäre schwierig, die Grenzen genau einzuhalten und die Signalqualität nur in Russland zu beeinträchtigen. Denn es besteht die Gefahr, dass auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird:

«Das GPS hatte lange Zeit zwei Signalqualitäten – je nachdem, ob es sich um zivile oder militärische Anwendungen handelte. So verfügten Letztere über ein genaueres Signal. Im Jahr 2002 überarbeiteten sie ihr System und der Unterschied wurde minimal. Das Risiko, wenn man die Genauigkeit des zivilen Signals absichtlich einschränkt, besteht darin, dass auch die Rettungsdienste davon betroffen wären.»

Er fährt mit einem historischen Beispiel fort. «Man kann trotzdem Überraschungen erleben. Beim ersten Golfkrieg gab es noch ein degradiertes ziviles GPS-Signal. Überraschenderweise entschieden sich die USA damals, die selektive Degradierung des Signals anlässlich ihrer Militäroperationen zu stoppen. Denn die Truppen verfügten nicht über genügend militärtaugliche Empfänger und hatten mehr zivile Empfänger. Und die gegnerischen Truppen hatten ihrerseits nur sehr wenige GPS-Empfänger.»

Schliesslich würde es nicht viel bringen, Russland vom GPS-System abzukoppeln, wenn das Territorium weiterhin von anderen chinesischen, russischen oder europäischen Satellitenkonstellationen überflogen wird.

«Ein neuerer GNSS-Empfänger funktioniert mit GPS genauso gut wie mit Beidou, Galileo oder Glonass. Man könnte sogar von GPS getrennt werden, ohne es zu bemerken.»

Sich von Satelliten unabhängig machen. In der Praxis werden Navigationssysteme heute so konzipiert, dass sie sich nicht nur auf GNSS stützen. Bertrand Merminod nennt als Beispiel die Trägheitsnavigationssysteme, die in U-Booten, aber auch ganz allgemein in der Navigation sehr häufig eingesetzt werden. «Kurz gesagt: Mit diesen Systemen kann man die Beschleunigung messen, woraus sich die Geschwindigkeit und dann die Position ableiten lässt. Der Nachteil ist, dass diese Methode die Ungenauigkeit der Messung erhöhen.» Er erklärt:

«Der Vorteil dieser Systeme ist, dass sie nicht gestört werden können. Sie werden auch bei einigen Drohnen eingesetzt, da sie vorübergehende Probleme beim Empfang des GNSS-Signals überbrücken können.»

Es geht auch um Abschreckung. Vier Staaten – die USA, Russland, China und Indien – haben bereits demonstriert, dass sie in der Lage sind, einen Satelliten abzuschiessen. Technisch gesehen ist es ihnen also möglich, einen feindlichen Satelliten abzuschiessen.

Ein Low-Tech-Krieg. Es ist ein trauriges Paradoxon: Obwohl die Satellitenbilder noch nie so präzise waren, forderten die russischen Luftangriffe in der Ukraine zahlreiche zivile Opfer, weil keine Präzisionswaffen eingesetzt wurden. Oder, die Russen sich bewusst dafür entschieden, Terror zu verbreiten.

Bertrand Merminod erinnert sich: «In Belgrad wurde die Bevölkerung vor zwanzig Jahren ausdrücklich aufgefordert, die GPS-Signale nicht zu stören, damit nicht versehentlich Häuser statt strategischer Ziele getroffen werden.»

«In der Ukraine sind wir von ‹chirurgischen› Schlägen weit entfernt, es ist fraglich, ob die Ortung von Satelliten in diesem Konflikt eine wesentliche Rolle spielt. Auch wenn sich die Bildqualität der Satelliten verbessert hat und man die Satelliten dank technischer Fortschritte präziser lenken kann.»

Es handelt sich in der Ukraine also nicht um einen ultratechnologischen Krieg, so der Experte, für den «die wenigen eingesetzten Überschallraketen eher wie Warnungen an die Nato klingen».

Dieser Beitrag wurde erstmals auf Heidi.news veröffentlicht. Er wurde von Corinne Goetschel aus dem Französischen übersetzt.

Heidi.news

Hier gibt es Wissenswertes aus der Westschweiz. Die Beiträge stammen von unserem Partner-Portal Heidi.news, wir haben sie aus dem Französischen übersetzt. Heidi.news ist ein Online-Portal, das im Mai 2019 lanciert wurde und das sich unter anderem auf die Berichterstattung über Wissen und Gesundheit spezialisiert. Die Partnerschaft zwischen Heidi.news und higgs ist durch eine Kooperation mit dem Schweizerischen Nationalfonds SNF entstanden.
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