Ein Gespräch über Vor- und Nachteile der Partnersuche im Internet mit Psychologe und Paartherapeut Christian Roesler.
Christian Roesler, Online-Partnersuche boomt. 2018 gaben Schweizerinnen und Schweizer über 40 Millionen Franken dafür aus. Verändert dieses relativ neue Phänomen unsere Gesellschaft?

Ja, das glaube ich schon. Natürlich kann man das nicht so einfach nachweisen. Aber ich denke, es wirkt sich insofern aus, als viele Menschen die Vorstellung haben, dass es da online einen riesigen Markt gibt, auf dem man sich jederzeit jemanden suchen kann. Längerfristig wird das vermutlich die Bereitschaft, sich schneller zu trennen, erhöhen – obwohl es tatsächlich nicht so einfach ist, online jemanden für eine langfristige Partnerschaft zu finden. Dafür muss man schon ziemlich viel investieren. Die Beziehungen, die im digitalen Raum begonnen haben, sind insofern belastet, als beide wissen: Wo wir uns kennengelernt haben, gibt es noch sehr viele andere potenzielle Partnerinnen und Partner.

Christian Roesler

Christian Roesler ist Diplom-Psychologe, Psychoanalytiker (C. G.-Jung-Institut Zürich), Psychologischer Psychotherapeut und Paartherapeut mit eigener Praxis und Professor für Klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg.

Wie wirkt sich das auf die Qualität dieser Beziehungen aus?

Es gibt Studien dazu, wie tragfähig Beziehungen sind, die in Online-Portalen begonnen haben. Diese Resultate sind interessant, weil man annehmen würde, dass diese Beziehungen kurzlebiger sind. Doch das ist nicht der Fall. Sie sind mindestens so tragfähig wie Beziehungen, die auf traditionellem Weg zustande gekommen sind. Ich vermute, dass das damit zu tun hat, dass man im Online-Portal, im Gegensatz zur analogen Zufallsbekanntschaft, ein gezieltes Interesse hat und die Absicht, jemanden für eine Partnerschaft zu finden. Dafür muss man ein Profil von sich erstellen, für das man sich mit sich selbst beschäftigen muss. Wer bin ich, wie möchte ich mich präsentieren und was will ich hier finden bzw. wen suche ich? Wenn man sich mit diesen Fragen beschäftigt, ist das letztendlich förderlich für eine Beziehung.

Dann ist es eine falsche Vorstellung, dass soziale Beziehungen insgesamt unverbindlicher werden?

Es ist jedenfalls nicht so eindeutig, wie populäre Debatten in den Medien das behaupten. Es gibt keine verlässlichen Studien und Daten, die die These belegen würden, dass Beziehungen auf breiter Front unverbindlicher werden.

Also trifft wohl auch die Einschätzung nicht zu, dass Paare sich heute schneller trennen, weil online ein grosses Alternativangebot besteht?

Richtig, auch dafür gibt es keine Daten, die das belegen würden. Die Scheidungsrate ist seit Jahren hoch. Rückläufig ist hingegen in den vergangenen zehn bis 15 Jahren die Zahl derer, die überhaupt heiraten. Das hat auch mit einer Verunsicherung zu tun. Diese Menschen denken, dass sie eine Ehe gar nicht hinkriegen würden. Die nicht Verheirateten haben aber eine noch höhere Trennungsrate als die Verheirateten. Damit ist eine Heirat statistisch gesehen ein Schutzfaktor gegen Trennung.

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Je höher die Scheidungsrate, desto stärker die Vorstellung, dass man eine Ehe nicht hinkriegen würde?

Das wäre meine These, ja. Denn was sehr gut mit Daten belegt ist, ist die sogenannte soziale Transmission des Scheidungsrisikos. Wenn man als Kind oder Jugendlicher die Trennung der Eltern miterlebt hat, schädigt das die Beziehungsfähigkeit nachhaltig. Man kann sich das so verdeutlichen: Paarbeziehungen zu leben, lernen wir dadurch, dass wir die Paarbeziehung unserer Eltern beobachten. Nicht nur kognitiv. Vielmehr ist das eine Beobachtung, die wir auch auf einer unbewussten Ebene tief verinnerlichen. Wenn man erlebt, dass die Beziehung der Eltern zerbricht, wird auch dies – eine Beziehung kann nicht auf Dauer funktionieren – verinnerlicht. Diese Erfahrung nehmen die Betroffenen mit in ihr Leben und entwickeln verschiedene Kompensationsstrategien. Manche heiraten verfrüht, weil sie denken, das sei ein Schutz vor Trennung. Andere lassen sich gar nicht erst auf Beziehungen oder eine Heirat ein. So oder so haben diese Menschen ein erhöhtes Scheidungsrisiko.

Egal ob nur einer der beiden ein Scheidungskind ist?

Ja, es reicht, wenn eine der beiden Personen ein erhöhtes Risiko mitbringt, dass die gesamte Paarbeziehung ein erhöhtes Trennungsrisiko erfährt. Das heisst, Gesellschaften mit hohen Scheidungsraten, wie die unsere, akkumulieren das Scheidungsrisiko über Generationen hinweg.

Zurück ins Internet: Bei dieser Art der Kontaktnahme sind die introvertierten Schüchternen für einmal im Vorteil. Warum ist das so?

Der Vorteil dieser Art der Partnersuche ist, dass man viel mehr Kontrolle über den Vorgang hat. In jeglicher Hinsicht. Man kann kontrollieren, was man von sich selbst präsentiert, man kann sich genau überlegen, wie man Kontakt aufnimmt und man kann sich Zeit lassen mit dem Auswählen. Solange es noch anonym ist, kann man auch jederzeit aussteigen. Für Introvertierte, die sich eher schwertun mit sozialen Kontakten, ist das sicher ein Vorteil.

Wie gross ist die Verlockung, sein digitales Selbstporträt da und dort ein wenig aufzupolieren?

Das findet tatsächlich statt und dazu gibt es auch Daten. Es ist klischeehaft und es hat mich erschüttert, als ich gelesen habe, dass Frauen tatsächlich ihren Bildungsstand hinunterverfälschen. Offenbar weil sie davon ausgehen, dass es Männer abschreckt, wenn Frauen einen hohen Bildungsgrad haben.

Das ist ja auch tatsächlich noch so.

Offenbar ja. Was hier mitspielt, sind zunächst die Erwartungen, die Menschen darüber haben, was andere gut oder weniger gut finden. Ob das tatsächlich so ist, ist schwerer zu erfassen. Doch es scheint eine sehr verbreitete Auffassung zu sein, dass Männer nicht wollen, dass ihre Partnerinnen einen höheren Bildungsgrad haben als sie. Man weiss aus US-amerikanischen Studien, die allerdings schon etwas älter sind, dass ein Bildungsgefälle von der Frau zum Mann das Trennungsrisiko erhöht.

«Es gibt Daten dazu, dass Frauen tatsächlich ihren Bildungsstand hinunterverfälschen.»

Und was ändern Männer in ihren Profilen an der Realität?

Sie schrauben ihre Körpergrösse nach oben, insbesondere kleine Männer machen sich etwas grösser. Zudem verfälscht die Mehrheit der Männer ihr Gewicht nach unten. Das bringt Probleme mit sich, wenn man das zu doll macht. Denn irgendwann will man sich ja live treffen und dann hat man ein Vertrauensproblem, wenn man seine Angaben zum Körper zu stark verfälscht hat.

Es kann ja nur nach hinten losgehen, wenn man sich ungebildeter, jünger oder grösser macht, als man ist.

Ich vermute, dass die Leute darauf hoffen, dass der Prozess des Kennenlernens das ausgleicht. Dass wenn man emotional aneinander angedockt hat, diese kleine Sünde verziehen wird.

Beim virtuellen Chatten fällt eine wichtige Komponente von Kommunikation weg, nämlich dass man in der Mimik des Gegenübers eine unbewusste, ungesteuerte Reaktion auf sich wahrnehmen kann. Ist das eine Einweg-Kommunikation?

Diese Frage ist für den Bereich der Psychotherapie sehr gut untersucht. Mittlerweile gibt es ja auch beispielsweise Psychotherapie über Skype. Wer Psychotherapien über Skype oder auch E-Mail anbietet, braucht eine spezielle Ausbildung. Denn man muss handhaben können, dass viele Dimensionen einer Kommunikation in diesem Rahmen wegfallen. Für den Bereich der Online-Partnersuche kann es auch ein Vorteil sein. Denn es ist die erste Kontaktnahme, ein zielgerichteter Prozess, bei dem man seine Absichten steuern kann. Beim weiteren Kennenlernen gibt es eine Abstufung von Medienwechseln. Typischerweise nimmt man zuerst schriftlich Kontakt auf, irgendwann will man ein Bild vom anderen sehen, später telefoniert man vielleicht. Diese Medienwechsel scheinen Hürden zu sein, bei denen die Sache auf jeder Stufe wieder schiefgehen kann. Wenn man es gut machen will, muss man Erfahrung sammeln mit diesen Wechseln – und damit, sich nicht allzu verfälscht darzustellen und den anderen nicht mit neuer Information zu überfordern. Insgesamt ist das ein ziemlich anspruchsvoller Prozess. Deshalb ist es nicht unbedingt einfacher, jemanden online kennenzulernen als analog.

Viele Menschen erleben beim Chatten mit jemandem eine grosse Vertrautheit, fallen aber beim ersten Treffen aus allen Wolken, weil das Gegenüber hinten und vorne nicht zu einem passt.

Als Psychoanalytiker würde ich sagen, dass es völlig normal ist, dass wir im sozialen Kontakt Fantasien entwickeln über andere. Je weniger Informationen wir haben, also wenn wir etwa die Stimme nicht kennen oder sogar das Aussehen, desto stärker setzen wir auf unsere Fantasien. Das Problem bei der Online-Partnersuche ist, dass die Diskrepanz zwischen Fantasie und Realität eigentlich eingebaut ist. Man wird in diesem Prozess eine Menge Überraschungen, aber auch Enttäuschungen erleben. Deshalb nenne ich ihn «das Kennenlernen von innen nach aussen». Zuerst lernt man die Persönlichkeit des anderen kennen. Merkmale wie Aussehen oder Ausstrahlung kommen erst später hinzu. Lernt man einander traditionell kennen, hat man von Beginn weg einen Gesamteindruck, bei dem meiner Meinung nach sehr viele Informationen rüberkommen.

Dann wäre diese Art des Kennenlernens realitätsnaher?

Auf einer gewissen Ebene schon, ja. Ich glaube, dass das, was für eine Paarbeziehung wichtig ist, beim ersten Eindruck der realen Präsenz der anderen Person anhand vieler wichtiger Informationen übermittelt wird.

Wer online eine Partnerschaft sucht, macht oftmals die Erfahrung, dass ein Chatpartner sich plötzlich nicht mehr meldet, man wird geghostet. Was macht das mit einer Person?

Das kann schon heftig sein für einen Menschen. Ich hatte mal eine Klientin, die ernsthaft online nach einer Partnerschaft gesucht hat und der das nach langer Kennenlernzeit mit einer Person passiert ist. Das brauchte viel Arbeit in der Therapie, um darüber hinwegzukommen.

Warum tut jemand so was? Einfach, weil es online halt möglich ist?

Das ist schwer zu sagen. Offenbar gibt es Leute, die mehrere Beziehungsanbahnungsprozesse parallel laufen lassen und sich dann den vermeintlich besten aussuchen. Dann müssen sie die anderen Prozesse beenden, haben vielleicht Schuldgefühle dabei und schleichen halt einfach weg. So müssen sie nichts mehr dazu sagen. Zudem sind Menschen in der Regel ambivalent, wenn es um Paarbeziehungen geht. Einerseits wollen wir sie, andererseits auch nicht. Wir wollen unsere Freiheit nicht verlieren oder denken, dass es doch nicht so gut passt, man hat Angst vor Enttäuschungen usw. Diese Ambivalenzen sind den Menschen nicht immer bewusst. Jemand denkt, er sei ernsthaft auf der Suche, doch kaum bahnt sich etwas an, wirds ihm zu heiss und er beendet das Ganze wieder. Online ist das wie gesagt einfacher, weil die Steuerungsmöglichkeiten grösser sind.

Kann man das überhaupt emotional prästieren, zehn Beziehungsanbahnungsprozesse gleichzeitig laufen zu lassen?

Das ist eine sehr gute Frage und ich würde sagen: eher nein. Ich denke, das ist eine der Fallen, die in diesem Feld eingebaut sind, dass sich da viele Suchende überfordern und durcheinandergeraten. Ich hatte mal einen Klienten, der führte gleichzeitig vier Beziehungen zu Frauen, die nichts voneinander wissen durften. Das hat den so dermassen gestresst, das aufrechtzuerhalten. Er hatte aber auch Angst, reinen Tisch zu machen. Dieser Mann war richtig schwer belastet. Dafür sind wir nicht gemacht.

«Das Misstrauen ist in diesem System eingebaut.»

Meldet sich der eine nicht mehr, chattet man halt mit dem Nächsten. Damit wird ein potenzieller Partner, aber auch man selbst, zu einem unter Millionen. Das ist jetzt nicht das, was das Selbstvertrauen stärkt, oder?

Genau, das würde ich eben auch sagen. Das Misstrauen ist in diesem System eingebaut. Denn man muss sich im Klaren sein, dass die Person, mit der man gerade Kontakt hat und in die man Gefühle investiert, parallel mit x anderen dasselbe tut. Auch dafür sind wir nicht gemacht. Wir wollen Exklusivität in unseren Paarbeziehungen.

Trotzdem lässt man die Finger nicht von der Online-Partnersuche.

Das ist das Üble daran. Schlussendlich ist es nichts anderes als die Kapitalisierung menschlicher Beziehungen, die schon Marx beschrieben hat, was mittlerweile aber von der Realität weit übertroffen wurde. Das ist Gift für Beziehungen. Wenn sie diesen Charakter bekommen, werden soziale Zusammenhänge zerstört.

Früher haben – ganze verkürzt gesagt – Männer schöne Frauen gesucht und Frauen ranghohe Männer. Online vervielfacht sich die Zahl von potenziellen Partnern enorm. Verändert das auch die Präferenzen, nach denen Menschen ihre Partner wählen?

Ich kann das nicht mit Daten belegen, habe aber den Eindruck, dass es einen Prozess der Standardisierung gibt. Ich beobachte bei jungen Menschen, dass sie sehr unter Druck sind, bestimmten Standards zu entsprechen. Man macht Dinge in einer bestimmten Reihenfolge, etwa beim Ausbildungsweg. In meiner Jugend waren wir da noch viel freier, mehr noch hatte es einen Wert, einen individuellen Weg zu gehen. Durch die Kapitalisierung des digitalen Partnermarktes nun muss man auch bestimmten Standards entsprechen, sonst kann mans gleich lassen. Zumindest ist das heute die Vorstellung bei den jungen Menschen.

Haben Sie selbst Erfahrungen gesammelt in Online-Partnerportalen?

Ja, ich habe mir zu Forschungszwecken mal ein Profil zugelegt und ein wenig gechattet. Insgesamt fand ich das ziemlich ernüchternd.

Also würden Sie eher zur analogen Partnersuche raten?

Nicht in jedem Fall. In meine Praxis kommen viele Menschen, die eine Trennung erlebt haben, die tiefe Wunden in ihnen hinterlassen hat. Trotzdem haben diese Menschen immer noch die Sehnsucht nach einer Paarbeziehung in sich. Für sie, die sehr genau wissen, was sie wollen und was sie nicht mehr wollen, ist die Online-Partnersuche keine schlechte Möglichkeit. Denn eine gezielte, absichtsvolle Suche hat schon auch Vorteile. Aber man braucht gewisse Kompetenzen dafür. Man muss offen sein, sich selbst gut kennen und das gut in Worte fassen können – ebenso das, was man sucht.

Dieser Beitrag erschien erstmals im doppelpunkt.
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